Das Kreuz mit dem Kreuz im Netz
Just do it.
Die Fähigkeit Politiker-Webseiten anzusehen, muss in ungefähr mit der Fähigkeit gleichgestellt werden nach einem 25-Stunden-Marathon-Vormittagstalkshowprogramm 2 Stunden auf dem Klo mit der neuen Allegra zuzubringen. Unmenschlich also. Dazu braucht man sie sich nicht anzusehen. Wir tun es aber trotzdem, weil wählen ja so traditionsbewusst ist und wir vor 4 Jahren schon versucht haben unserer Wahlentscheidung durch das Netz nachzuhelfen.
Damals war die Zeit, als das Netz noch aufregend und neu war (für Politiker), und man konnte allerlei Peinliches, Zusammengeschustertes und Halbfertiges in den Quellcodes finden. Heutzutage, dachten wir, beauftragt man ja normalerweise Agenturen (oder Ricky) damit, im Netz so geleckt auszusehen wie unter dem wirklichen Scheinwerferlicht, ja selbst Onlinewahlkampfstrategien (sieh an!) werden ausgedacht, und die Foren diverser Parteien haben oft genug schon einen tatsächlichen Nachrichtenwert, so dass z.B. Spiegel.de gerne mal aus den Forenorakeln liest, wenn es was Aktuelles gibt, das dem digitalen Volksmund so auf der Seele brennen könnte.
Also nicht fragen, ob ich nicht Besseres mit meinem Leben anfangen könnte, als mir Politpopbrowsereskapaden reinzuziehen, sondern getreu dem vorherrschenden Marketingmotto aller Parteien: Just do it, erst mal rein in die schmutzige Welt der Tables. Kurze Vorbemerkung noch. Mir ist klar, dass ich mit Mozilla (Explorer verweigert seit ein paar Tagen die Koexistenz) auf Mac und einer Bildschirmauflösung von 600×800 als Exot vermutlich nicht besonders freundlich empfangen werde, wer aber glaubt, das Netz als Wahlkampfinstrument zu einem Mittel der digitalen Ausgrenzung machen zu müssen, hat halt eben Pech und ich bin nicht bereit, mir den DRM- und Virenwahn ins Haus zu holen, nur um zu einer Wahlentscheidung zu kommen, es gibt schließlich Wichtigeres. Da aber die Wahlprogramme der Parteien einen mit ihrem einmütigen “Lass uns was für die Wirtschaft tun und das Netz beschneiden wo wir nur können”, eh nicht dazu überreden können sie zu wählen, müssen wir zum WYSIWYG-Test greifen. What you see is what you get: Was die für sich selber machen, das wollen sie dann auch irgendwie. Also: Wessen Webseite verleitet einen dazu, den Kandidat zum Kanzler zu wählen?
Whois?
Es gibt bekanntlich, glaubt es oder glaubt es nicht, drei Kanzlerkandidaten, auch wenn man mehr als drei Parteien wählen kann. Die anberaumte Personalisierung des Wahlkampfs 2002 lässt einen quasi reflexhaft bei den Homepages der drei Kandidaten vorbeisehen. Denic (wir sind vorsichtige Herantaster und wollen den vollen digitalen Wahlblast etwas herauszögern) gibt einem für
Stoiber.de die klassische Antwort: Das gehört Edmund, wohnhaft in der FJS-Straße, ist über Netplace.de angebunden, (die hosten vieles von der CSU; wir sparen uns blöde Bemerkungen über den dritten Nameserver (nsd.netplace.com)), hört eigentlich auf den schönen Namen stoiber.netplace.de (213.183.5.67), ist recht gut erreichbar (im Mittel 0,069 Sekunden) und liegt ganz kuschelig zwischen www2.csu.de und www3.csu.de. Edmund-stoiber.de hat man noch über Strato dazugekauft (redirect auf ->stoiber.de), falls mal jemand der Vorname einfällt und Edmundstoiber.de gehört Maximilian Kreuzer aus Waldmünchen, ist aber vorsorglich abgeschaltet, und obwohl seine Handynummer (0175/560 4601) auf seiner Autoleasing-Seite steht und der Mann Webadmin einer Homöopathie-Seite ist, können wir nur mutmaßen, was der um alles in der Welt damit wollte.
Klar, dass Schröder nicht so viel Glück hatte, nur auf seinen Nachnahmen bauen zu können, denn Schröders gibt es bekanntlich irre viele, und da war das Berliner Ingenieurbüro Schröder einfach schneller, obwohl die Webseite seit 1996 “under construction” ist. Sowohl gerhardschroeder.de als auch gerhard-schroeder.de sind aber sicher in der Domainbörse des SPD-Parteivorstands, heißen etwas merkwürdigerweise zwar eigentlich www.hessen.spd.de (?), führen aber nur auf eine Art Visitenkartenseite innerhalb vom
SPD.de Köpfeangebot, die einen (nur Lebenslauf und E-Mail) auf
www.bundeskanzler.de verweist.
Westerwelle.de ist zwar ein Karriereportal, gehört aber zur Westerwelle AG und linkt Surfer, die die Namespace-Gier von Guido grundlos überschätzt haben, nicht mal auf die richtige Seite.
Guido-westerwelle.de gehört dem Universum Verlag in Wiesbaden (der die Webseiten für die FDP-Abgeordneten macht) und obwohl Guido gerne als Rezensent des dort erschienen Buchs “Arbeit ohne Barrieren” auftritt, leitet die Seite auf den Abgeordnetenserver der FDP, wo ein PHP-Script dann abfängt, woher man kam, und einem die Homepage von Guido ausspuckt.
Guidowesterwelle.de (gehosted von Kontent in Duisburg) ist dann aber seine eigene Domain (wobei wir nur mutmaßen können, warum der Anwaltssohn sich die mit dem Bindestrich nicht hat überschreiben lassen), hat aber keinen Index, vielleicht benutzt er ja nur den Mailserver (mail.guidowesterwelle.de). Das komplizierteste Setup jedenfalls bislang. Und ob am Ende 18% der Surfer die Seite finden, ist fraglich.
Sourcecode Stoiber
Es lohnt sich eigentlich immer, sich den Sourcecode von Webseiten anzusehen. Nicht nur um festzustellen, dass Jan-Henrick Hempel (Ricky) (Google kennt ihn nicht) die Webseite von Stoiber macht und die Metatags vergessen hat (Google findet Stoiber.de trotzdem im Ranking ganz oben vor stoiber-verhueten.de, verhindert-stoiber.de, stoppt-stoiber, stoiber-for-bundeskanzler.de, spiel-mit-stoiber.de, stoiber-poppen.de im Gegensatz zum Hompagegewusel privater Schröders). Oder um zu sehen, dass das Stylesheet nicht grade auf websafe Farben baut (#CC730B z.B.). Sondern auch, um zu sehen, dass die Webseite nach dem Index sofort auf Frames umsteigt, die keine Noframebrowser mehr unterstützt, weshalb man Inhalte auf der Stoiberseite außer der Homepage auch nicht wirklich über Searchengines findet (Tag vergessen?) und mit Textbrowser (eigentlich ein Muss bei Politikerseiten) gleich ganz aussteigt und deshalb die Frameinfo auch gnadenlos hinter den Head setzen kann. Die auf PHP basierende Seite auf einem Apache Server (1.3.26, mal updaten!) hat nebenbei die Optimierung auf 600×800 ein wenig falsch verstanden, so dass einige Bereiche für mich z.B. nur durch viel Trickerei zu erwischen sind, da die Image-Navigationen ständig aus dem Bild ragen und die Noresizetags doch etwas zu streng sind. Die überschwängliche Verwendung von Bildern überhaupt lässt die Information in einem Minirechteck verschwinden, das man nur durch intensivstes Scrollen dazu bekommt, einem zu sagen, was denn nun auf der Webseite überhaupt an Information ist. Man findet zwar mit etwas Mühe, dass Karin ihm seine Schwäche verzeiht (abends mal ein Stück Schokolade), ein paar sortierte News aus dem CSU-Office (16 Stück, um genau zu sein), kann sich darüber informieren, dass Stoiber trotz schöner Mouseover-Landkarte nur noch zwei Termine hat (einen in Bayern, einen in Berlin), viele Bilder ansehen und Downloaden (das schärfste davon ist selbst gezippt noch fast 8 MB groß, das kleinste, sein @mund Logo, ist übrigens wirklich ein @ und ein Mund, und so hässlich, dass man sich nicht wundert, dass es niemand benutzt). Ansonsten aber verweist die Seite am liebsten auf die sachlicheren Domains
www.wahlfakten.de (eigentlich eine Anti-Einwanderungsseite, die hauptsächlich die Asylpolitik der Bundesregierung angreift), auf
www.regierungsprogramm.de (Downloadseite für das Wahlprogramm der CDU/CSU mit dem “X”-Force Inc.-Logo) und
www.zeit-fuer-taten.de (in meinem Fall ein richtiges Browserdesaster), die eigentlichen Wahlkampf Domains.
Outsourcing Westerwelle
Anstatt also mail.guidowesterwelle.de zu hacken, beglückwünschen wir erst mal die Idee, den Quellcode der Startseite von guido-westerwelle.de mit Shockwave-Begrüßungsanrede von Guido mit </html> zu beginnen. Astreine Arbeit, liebe Universal Verlagsanstalt. Glück gehabt, dass normale Browser das ignorieren. (Textbrowser sehen eh nur zwei Bilderreferenzen, obwohl Guido an eine Textversion gedacht hat unter www.guido-westerwelle.de/text/). Wenigstens bleibt alles in meinem etwas schmalen 600 Pixel breiten Fenster. Und auch wenn die Images in den Tables (stellenweise bis zu sieben ineinander genested) weder gut gerendert sind noch ganz aufeinander passen wollen. Das gibt der gesamten Seite den Charme einer selbst gebastelten von vor vier Jahren. Aber es gibt zumindest, wie man es bei der FDP nicht anders erwarten würde, ein Revenue-Konzept (man kann Westerwelle-Bücher direkt bei Amazon kaufen), astreine, schmierige, animierte Gifs für ein wenig Volksnähe, jede Menge Videos (Real) und Vorträge von Guido auf der PHP basierten Seite (auch hier übrigens wieder ein Apache Server und mit 1.3.19 noch ein wenig updatebarer als der von Stoiber), und Links zu Seiten, die nicht alle nur Wahlkampf sind. Im Gegenteil: von Madonnamusic.com über Beethoven.de bis metmuseum.org ein reichhaltiges Kulturprogramm, mit Firsttuesday.de auch was für Jungunternehmer und sogar ein bisschen Service für Surfer (Paperball, Stadtplandienst etc.). Trotzdem linken auf ihn nur 116 Seiten zurück, wohingegen Stoiber.de glatt über 400 erreicht, der bundeskanzler.de Server 2300 (die Schröder-Seiten übrigens überraschenderweise 0), aber das kann man wohl kaum vergleichen. Mehr als 8000 FDP-Pressemitteilungen runden das Ganze recht informativ-propagandistisch-persönlich ab, mit dem sicheren Gefühl, dass die Zukunft von Westerwelle 1998 eingefroren wurde.
Bundeskanzler Sourcecode
Die Bundeskanzler.de Seite (trotz personalisiertem Wahlkampf immerhin Verzicht auf gerhard-schröder.de usw.) hinterlässt von Anfang bis Ende den Eindruck einer typisch gemachten Business-Seite. Also Layer-Navigation, die so ungefähr auf allen Browsern hinhaut, fast realisierte 600×800 Optimierung, leicht pixeliges, modernes Backdrop-Design, Foren (grade geschlossen), Kinderecke, virtuelle Touren – der Mann hat Geld, das sieht man sofort. Metatags bis zum Umfallen, auch für Robots, Druckversionen, Textbrowser-fähig, Ausrichtung auf die Zielgruppe (bei Kanzlerpolitik steht ganz oben in den Menus “Internet für alle”). Google gibt einem 744 Einträge über Internet auf der Bundeskanzler Seite (Vergleich: Westerwelle 5, Stoiber 0, aber auf der Stoiberseite findet man ja wegen fehlendem Noframetag eh nix). Jegliche 404-Seite wird redirected auf den Index, weder die Forms noch sonst was sind gut auszutricksen, und abgesehen mal davon, dass man die Seite bis nach Togo runterscrollen kann und man nicht auf die Schnelle alles findet, irgendwie slick genug. Selbst wenn man Bundesadler Findulin als Ask-Jeeves-Agenten der Seite fragt, wer Kanzler wird, bekommt man eine Auskunft, die, so orakelig sie auch sein mag, irgendwie stimmt: “Das entscheiden die Bundesbürgerinnen und Bürger im September”. Warum er allerdings auf die Frage, welchen Server die Seite benutzt, mit “Was halten sie eigentlich von der Berliner Currywurst?” antwortet, ist uns einigermaßen rätselhaft, er erweist sich allerdings im Folgenden als ziemlicher Currywurst-Experte. (Erfunden 1949, September, Imbissbude am Stuttgarter Platz). Die ]Init[ Aktiengesellschaft für digitale Kommunikation hat ihren Auftrag auf jeden Fall erfüllt. Aber Wahlkampf? Hier nicht so direkt.
Der findet bei der SPD scheinbar dezentral statt, trotz Kampa und Online-Wahlkampf-Team, und geht von Werbung auf Google bis zu Horden von Anti-Stoiberseiten – von denen es auch noch welche ohne SPD und Juso-Unterstützung gibt, Übersicht auf
www.netz-gegen-stoiber.de oder
www.gemeinsam-gegen-stoiber.de, wie überhaupt die Antistoiberfraktion auf das Sammeln von URLs aus ist, was wohl nach der Stoiberwahl so nicht mehr gehen dürfte. Das mag zwar erst mal dezentral aussehen, hinterlässt aber trotzdem irgendwie den Eindruck, ähnlich strukturiert zu sein wie das Porno-Netzwerk. Wer einmal drin ist, kommt nicht wieder raus.
Kanzler wählen geht also irgendwie gar nicht. Die Ausnahmeperson (G.W.) vertritt Internetdesign-Oldschool-Konzepte, die auch ein Bäckermeister kaum anders machen würde. In Funktionalität lässt er auf Open Source setzen, ohne es vermutlich selber zu wissen oder das nach außen zu vertreten oder gelegentlich mal upzudaten.
Dann haben wir den bayrischen Aspirant, der auf die vielsagenden Bilder für diejenigen setzt, die viel Bandbreite, aber wenig Inhalt brauchen und sich von Amigo Ricky nur scheinbar gut updaten lässt, ohne dafür auf die billige Umsonst-Basisarbeit der Opensourcegemeinde (PHP, Apache) verzichten zu wollen. Und den Kanzler, der einerseits nach reiner Wirtschaftlichkeit riecht, einem aber andererseits das Argument des Nicht-Stoiber-Wählens durch eine Horde von Fusselpornoseiten-Aktivismus vermiest. Da kann man sich zumindest bis auf weiteres nur noch darüber freuen, dass man ja in Deutschland eh keinen Kanzler wählt, sondern Parteien. Doch davon mehr nächstes Mal.
zuerst erschienen in DE:BUG.62 – 08/2002
Mit freundlicher Genehmigung von
DE:BUG
Erschienen am 18.09.2002
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