Zum Wahlkampf gehört längst auch der getippte Auftritt im Chat. Fast täglich stellen sich Politiker in digitalen Diskussionen. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg werden Politikerchats derzeit genauer untersucht, und auch chattende Volksvertreter selbst bewerten die Kommunikationsform. Für politik-digital.de erläutert der Autor Karsten Heuke selbst erste Ergebnisse der laufenden Studie.
Viele Politiker sehen den Chatroom als eine Art Infostand, der virtuell im Web steht: „Inhalte rüberbringen und Lust auf mehr machen“ will der Bundestagsabgeordnete Dirk Niebel (FDP). Die unmittelbare, schriftliche Chat-Diskussion schätzt auch Ursula Heinen (CDU). Die Bundestagsabgeordnete hat in Köln eine regelmäßige Chat-Reihe mit Politikern initiiert und sieht darin ein „politisches Werbemittel“. Dazu gehöre durchaus auch, dass Parteianhänger abgesprochene Fragen stellten: „So kann ich meine politische Meinung rüberbringen.“ Parlamentskollege Jörg Tauss (SPD) sieht ebenso keine Manipulation, wenn seine Büromitarbeiter gelegentlich den Diskussionsinhalt unterstützen. Nur wenige Politiker lehnen „Wunschfragen“ generell ab, Dirk Niebel (FDP) bezeichnet diese Praxis als „dämlich und völlig unnötig“.
Die bewusste inhaltliche Steuerung beziehen die Politiker in erster Linie auf Chats, die auf eigenen Parteisites durchgeführt werden. Dabei erwarten die Volksvertreter, dass die Diskussionsteilnehmer politische Einseitigkeit akzeptieren. Dieser direkte Einfluss auf die „getippten Gespräche“ wiegt für viele Politiker zumindest teilweise den Nachteil der geringen Teilnehmerzahlen auf.
Die Politiker sehen ein Massenmedium, dem die Masse fehlt. So bewerten sie Chats auf unabhängigen Onlineplattformen durchaus als ernst zu nehmende journalistische Form, die allen Beteiligten nützt. Doch beim Blick auf Aussagen der befragten Politiker, ließe sich als mehrheitliches Fazit formulieren: Weshalb dem journalistischen Anspruch unterwerfen, wenn trotzdem kein größeres Onlinepublikum zu erreichen ist.
Viele Volksvertreter setzen somit auf eigene Chats. Wer letztlich die elektronischen „Infostände“ besucht, das überlassen die befragten Politiker jedoch bisher dem Zufall. Allenfalls bestehen Hoffnungen: „Menschen erreichen, insbesondere junge, die andere Medien nicht so nutzen“, möchte der politische Geschäftsführer von Grüne/Bündnis 90, Reinhard Bütikofer.
Genannt wird immer wieder der Kontakt in den Wahlkreis, wenn Chats auf der eigenen Abgeordneten-Homepage angeboten werden. Ein Grund für Dirk Niebel (FDP), der zudem auf „vielbeschäftigte Bürger und Journalisten“ als Adressaten für den ortsunabhängigen Chat setzt. Den regionalen Aspekt sieht auch Uwe Küster (SPD), der allerdings nicht glaubt, Multiplikatoren und Meinungsführer mit Chats erreichen zu können.
Wissenschaftliche Studien lassen jedoch das Gegenteil vermuten, sie sehen politische Meinungsführer deutlich überrepräsentiert im Netz. Gerade dieses Potential wird durch die Chatangebote der Politiker kaum aktiv genutzt. So stellt Petra Pau (PDS) selbstkritisch für ihre Partei fest: „Zukünftig müssen wir genauer planen. Beispielsweise, welche Zielgruppe wir mit welchen Themen zu welcher Uhrzeit erreichen können. Das macht meine Partei leider noch nicht.“
Die PDS-Politikerin schätzt insbesondere Chats, die sich an Fachpublikum richten, da sie so konkret etwas für ihre Arbeit „rausziehen“ könne. Und auch Jörg Tauss (SPD), Beauftragter für Neue Medien seiner Fraktion, sieht es als Hauptziel von Chats, neue Argumente und kritische Sichtweisen zu erfahren.
Die Stichproben sprechen jedoch dafür, dass die Mehrheit der Politiker mit Chats andere Ziele verfolgen: Vor allem das Verbreiten der eigenen Positionen ohne journalistische Filterung wird genannt. Und in Wahlkampfzeiten sollen zudem unentschlossene Wähler gebunden und Sympathisanten bestärkt werden.
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Uwe Küster nutzt Chats auf der eigenen Homepage sogar erfolgreich, „um Anhänger auch zu einer projektbezogenen Mitarbeit im Wahlkampf zu bewegen.“
Solch messbare Erfolgskontrolle ist die Ausnahme. Überwiegend chatten Politiker bis dato ins Blaue hinein, einfach um kein Medium ungenutzt zu lassen. Mit begrenzten Erwartungen: „Ich glaube nicht, dass wir im Internet neue Wähler gewinnen können, denn unsere Wähler sind präsenter im Netz, als das bei anderen Parteien der Fall ist“, meint Reinhard Bütikofer (Grüne/Bündnis 90). Dieser Schluss darf jedoch als zu pessimistisch eingeschätzt werden. Potenzial ist vorhanden: Ginge nur jeder dritte Nichtwähler online, wären dies bereits so viele Nutzer wie die gesamte Wählerschaft der Grünen.
„Ich denke, ich kann es mir in meiner Position nicht erlauben, generell auf Chats zu verzichten“, so Petra Pau. Viele Kollegen sehen die Chatform ebenso etabliert. Doch so sehr sie den digitalen Austausch schätzen, so sehr vertrauen sie dem klassischen Infostand. Und auf den, das zeigen klar die Untersuchungen, will kein befragter Politiker zugunsten von Chats verzichten.
Karsten Heuke ist Journalist, Student an der Universität Erlangen-Nürnberg und Autor des Buches “Bürgersprechstunde im Chat – Internetkommunikation zwischen Politikern und Wählern”
Erschienen am 26.09.2002
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