"Wenn ich Visionen habe, gehe ich zum Arzt", sagte Helmut Schmidt einmal und sicherte sich damit auf unabsehbare Zeit einen vorderen Platz in der Hitliste der am häufigsten zitierten Bonmots. Auch auf der Hamburger e-Business Lounge (Thema: eGovernment), zu der Hamburg@work Anfang Dezember 2002 einen illustren Teilnehmerkreis in den ‘Havana Club’ einlud, wurde dieser Evergreen wieder bemüht.Die Panellisten waren sich in diesem Punkt weitgehend einig und betonten, dass beim eGovernment vor allem pragmatische Ansätze gefragt sein: "Es geht nicht um Visionen, sondern um Kosten" brachte es Moderator
Peer-Arne Böttcher durchaus amüsant auf den Punkt, stellte der vormalige Protagonist der Hamburger New-Economy-Szene damit doch die eigene Lernfähigkeit unter Beweis. Und um die Frage, wie mit elektronischen Verwaltungsdienstleistungen Geld verdient werden kann, müsste noch ergänzt werden.
Kein Businessmodel für die elektronische Verwaltung?
Dabei ist zunächst deutlich geworden, wie es nicht gehen wird. Auf die Frage nach seinem Businessmodel für dieses Marktsegment, zuckte Gerhard Röthlinger, frisch gebackener Geschäftsführer des bislang defizitär wirtschaftenden Stadtportals
hamburg.de GmbH & Co.KG, mit den Achseln. Auch der Hinweis eines Teilnehmers, dass er gerne bereit wäre, für elektronische Dienstleistungen, die den Amtsgang ersparen würden, ein paar Euro zu bezahlen, überzeugte nicht. "Wenn Sie sich mich fragen, an welcher Stelle auf meiner Prioritätenliste ein Geschäftsmodell für das eGovernment steht", so Röthlinger trocken, müsste ich erst mal lange blättern." Die Erfahrung gibt ihm recht, derartige Geschäftsmodelle sind keineswegs neu und bislang wohl sämtlich gescheitert. Ein finanzielles Interesse an der Digitalisierung von Behördenleistungen sollte nicht bei Internetportalen wie hamburg.de gesucht werden, sondern zunächst bei der öffentlichen Verwaltung selbst, die durch Effizienzsteigerungen langfristig erhebliche Personalkosten sparen kann. Und natürlich bei den Beratungsunternehmen und Technologiedienstleistern, die der Administration zeigen wie es geht und die benötigte soft- und hardwaretechnische Infrastruktur im Angebot haben.
Ob diese Einsparungen allerdings im Bereich von 400 Mio. Euro pro Jahr liegen, wie die
Bundesregierung schätzt, darf skeptisch beurteilt werden. Schließlich wird eine solche Kostenreduzierung nur dann zu realisieren sein, wenn die entsprechenden Angebote von den Bürgerinnen und Bürgern – kurz Nutzern – auch angenommen werden. Und über die Präferenzen dieser Nutzer weiß man so gut wie nichts. Nach einer Studie von
PriceWaterhouseCoopers verfügten im Jahr 2000 nur 25% der städtischen Verwaltungen über statistische Informationen, die Aufschluss über die Art der Kontaktaufnahme zwischen Bürgern und Verwaltung geben. "Noch weniger Kenntnisse sind über die Erwartungen der Bürger an das EGovernment-Angebot ihrer Stadt vorhanden: 89% der Stadtverwaltungen sind nicht über die entsprechenden Wünsche der Bevölkerung informiert".
Niemand weiß, was Nutzer wollen
Daran dürfte sich in den letzten zwei Jahren nicht viel geändert haben und es könnte sich überdies als schwierig erweisen, diese Erwartungen zu erheben. Den meisten Menschen sagt der Begriff eGovernment nämlich überhaupt nichts und wer davon noch nichts gehört hat, wird auch keine spezifischen Erwartungen entwickelt haben, über die Auskunft geben werden könnte. Dies muss nicht als Zeichen eines Modernisierungsrückstandes gewertet werden, nimmt doch ein Bürger lediglich zwischen ein und zweimal im Jahr Kontakt zu seiner Verwaltung auf. Mit anderen Worten brennt den Bürgern das Problem, für das sich eGovernment als Lösung empfiehlt, nicht grad auf den Nägeln. Und auch sie müssen in der Liste ihrer persönlichen Prioritäten wohl eine Zeitlang blättern, bis die Rubrik behörden-online auftaucht.
Zumindest gilt dies solange eGovernment mit eAdministration gleichgesetzt wird. Dass regieren gleich verwalten sei, ist allerdings ein Missverständnis, dass vielleicht gerade durch das vorschnelle Entsorgen aller Visionen begünstigt wird, die seit dem Platzen der New-Economy-Blase unter den Generalverdacht der Blauäugig- und Unwirtschaftlichkeit geraten sind. Die Fixierung auf Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerung vergisst dagegen leicht den "Abnehmer digitaler Politikdienstleistung" (Bieber): den Bürger.
Christoph Bieber hat in seinem Einführungsvortrag zur Hamburger eBusiness Lounge darauf hingewiesen, dass zu eGovernment neben der elektronischen Verwaltung auch die sogenannte elektronische Demokratie gehört, also Bürgerinformation, Bügerbeteiligung und Bürgerprotest sowie internetbasierte Wahlen.
Hans Jürgen Kleinsteuber erinnerte an das ursprüngliche Konzept für hamburg.de, das die drei Säulen Staat und Verwaltung, Kommerzielle Angebote und Bürgersäule vorsah. Von der Bürgersäule sei indes nur eine Überschrift für ein Sammelsurium überwiegend veralteter oder uninteressanter Informationen geblieben.
Bürgersäulen oder Dialog mit Regierenden
Die Verwaisung dieses Bereichs hat aber nicht nur mit knappen Geldmitteln zu tun, es fehlt auch am Engagement der ‘Zivilgesellschaft’ – nach Kleinsteuber der Adressat der Bürgersäule, sich die virtuellen Räume anzueignen und mit Leben zu füllen. Es zeigt sich hier, dass nicht nur die elektronische Verwaltung mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat, sondern auch die sogenannte elektronische Demokratie. Die Hoffnungen, dass die kommunikativen Möglichkeiten des Internets eine Art basisdemokratische und zivilgesellschaftliche Revolution auslösen, haben sich längst nicht erfüllt. Es zeichnet sich dagegen immer deutlicher ab, dass ‘Bürgersäulen’ und partizipative Angebote den gleichen Bedingungen der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegen wie alle anderen auch. Diese Angebote müssen bekannt gemacht werden, attraktiv gestaltet sein und einen "added-value" für diejenigen bieten, die hier ihre knappe Ressource Zeit investieren. Ein Knopf mit der Aufschrift ‘Bürgersäule’, irgendwo in der Navigationsleiste versteckt, erfüllt per se erst mal keine dieser Bedingungen.
Dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um erfolgreiche Online-Partizipation zu realisieren, hat sich jüngst in Hamburg gezeigt. Im Rahmen des
Ideenwettbewerbs
Wachsende Stadt, der über vier Wochen im Internet durchgeführt worden ist, wurde versucht, den skizzierten Anforderungen Rechnung zu tragen. Mit einigem Aufwand wurde dieses Angebot beworben, es wurde in fast allen Lokalzeitungen sowie im Radio und Fernsehen darüber berichtet. Verwaltung, Bürgerschaft und Experten aus Wissenschaft und Politik haben das Thema auf der neu entwickelten Plattform
DEMOS durchaus kontrovers – diskutiert. Schließlich werden fünf Ideen von einer Jury ausgewählt und zur Umsetzung empfohlen sowie die daran beteiligten Diskutanten zu einem Essen mit dem Bürgermeister eingeladen. Zwar kann sich das Ergebnis sehen lassen – etwa 500 Registrierungen, knapp 4000 Diskussionsbeiträge und über 50 zum Teil sehr präzise ausgearbeitete Ideen – es zeigt aber gleichzeitig auch: von einer eCitizenship (das letzte ‘e’ Wort, versprochen) sind wir noch weit entfernt. Sich im Netz politisch zu engagieren, bleibt bislang einer kleinen Avantgarde vorbehalten.
eCitizenship und aufgeklärte Bürger
Der Begriff eCitizenship setzt auf älteren Konzepten wie dem ‘Netizen’ (
Hauben/Hauben) auf und was darunter genau verstanden werden könnte, wird gegenwärtig auf wissenschaftlichen Symposien diskutiert. Sicher geht es nicht um den elektronischen Bürger, wie
Ann Macintosh kürzlich auf der
Fachtagung "E-democracy: scenarios for 2010" in Paris betonte, sondern schon eher um ‘enabling, empowering und engagement’. Es sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Bürgerinnen und Bürger das Recht zur Mitgestaltung ihrer Lebens- und Arbeits- und Umwelt haben und das Internet hierzu vorzügliche Instrumente und auch neue Möglichkeiten bereitstellt bzw. eröffnet. Die ‘electronic Citizenship’ zielt auf den informierten, kompetenten und sich-aufklärenden Bürger, der neue Kommunikationstechnologien zur eigenen Willensbildung wie zur gestaltenden Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse selbstverständlich nutzt. Dabei muss nicht gleich alles am Habermasschen Ideal einer deliberativen Demokratie gemessen werden, die wohl viele Bürger schlicht überfordert, wie
Jeroen Van Den Hoven an gleicher Stelle zu bedenken gab.
Dieses Bewusstsein wird aber nur dann in nennenswertem Umfang entstehen können, wenn sich das Internet als attraktiver Kanal für das politische Alltagshandeln etabliert und die ganze Spannbreite digitaler Dienstleistungen vorgehalten werden. Von der elektronischen Einkommensteuererklärung bis zum Onlineprotest. Vor allem sollten Stadtportale wie hamburg.de den Bürgern die Möglichkeit bieten, mit den Regierenden in einen Dialog zu treten, um so einer gesellschaftlichen Entpolitisierung vorzubeugen. Dass dies wohl gerade durch die Verteilung von Staat und Bürgern auf verschieden Säulen – oder sollte man sagen Räume? – erschwert wird, sei nur am Rande angemerkt.
Genau wie im Falle der elektronischen Verwaltung kann ein an seiner Wirtschaftlichkeit gemessenes Unternehmen den hier angesprochenen Bürgerservice nicht aus eigener Kraft unterhalten, sondern ist auf den politischen Willen und entsprechendes finanzielles Engagement der öffentlichen Hand angewiesen. Wenn es mittelfristig aber gelingt, mehr Nutzer auf die Plattform zu locken und einen größeren Teil der Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung online und damit effizienter abzuwickeln, kann es sich am Ende auch noch ‘rechnen’.Bei allem Pragmatismus sollte die Vision einer eCitizenship, denn um kaum mehr handelt es sich dabei ja bislang, nicht gleich wegtherapiert werden. Sie könnte sich noch als hilfreich erweisen, wenn es darum geht, im allzu kleinkarierten Alltagsgeschäft Ziele auszumachen, auf die hinzuarbeiten sich lohnt. Den Gang zum Arzt kann man sich dagegen für Visionen anderer Art aufsparen. So hat beispielsweise die Europäische Kommission in dem jetzt anlaufenden 6. Rahmenprogramm für Forschung- und Entwicklung kurzerhand die Bereiche e-Business und eGovernment zusammengelegt (
networked governments and business) und fördert fortan (fast) nur noch Großprojekte. "Think big", dröhnte es im Frühsommer diesen Jahres auf der
Eisco 2002 im neuerbauten Konferenzcenter in Cagliari /Sardinien durch den nur halb gefüllten Sitzungssaal, "make Europe the most powerful economy in the world".
Rolf Lührs ist Projektleiter des Delphi Mediation Online System (DEMOS) an der
TU Hamburg-Harburg.
Erschienen am 19.12. 2002
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