Kunstwerke, die im Dritten Reich beschlagnahmt, gestohlen und verbracht
worden sind, hängen in vielen deutschen Museen. Der Grund: Der Kontakt
zum früheren Besitzer und dessen Erben konnte nicht vermittelt werden.
Eine ausführliche Liste der „Beutekunst“ im Internet soll nun Abhilfe
schaffen. Dr. Michael Naumann stellte das Projekt in Berlin vor.

Wenn ein Rembrandt-Gemälde im Museum den Vermerk „Besitz die
Bundesrepublik Deutschland“ trägt, kann es sein, dass dieses Werk in
Wirklichkeit aus dem Bestand der berüchtigten „Linzer Sammlung“ Adolf
Hitlers stammt. Die geklauten Kostbarkeiten aus dem Besitz von
Verfolgten des NS-Regimes wollte Hitler in einem germanischen
Mega-Museum in seiner Heimatstadt Linz zusammenführen, wohl um die Welt
angesichts des deutschen Kunstsinns neidvoll erblassen zu lassen. Die
rechtmäßigen Besitzer dieser Kunstwerke konnten nach dem Krieg nicht
immer ermittelt werden. So sind immerhin 2.200 Bilder in Verwaltung der
Bundesregierung aus dieser zusammengeraubten und beschlagnahmten
Sammlung später an deutsche Museen als Leihgabe gegangen.

Aus deutschen Wohnzimmern und russischen Archiven…

Eine Internet-Initiative der Bundesregierung
veröffentlicht nun die nicht zurückgeführten Kulturgüter auf der Webpage
www.lostart.de, um die
möglichen Vorbesitzer oder Anspruchsberechtigten zu ermitteln. Dabei finden auf diesen Seiten nicht nur
„verfolgungsbedingt entzogene“ Kunstwerke der sogenannten „Linzer Sammlung“ Aufnahme in die
Internetdatei. Neben diesen als gestohlen eingestuften Werken gab und gibt es auch zahlreiche Kulturgüter
in Archiven, Museen und deutschen Wohnzimmern, bei denen vermutet wird, dass sie ihren verfolgten
Eigentümern von Nazis geraubt wurden. Bei diesen Werken ist es besonders schwierig, die Provenienzen
festzustellen. Auf der anderen Seite sind auch Kulturgüter, die als sogenannte Beutekunst aus deutschen
Sammlungen entwendet und ins Ausland gebracht wurden, hier registriert. Allein in Russland befinden sich
etwa eine Millionen Stücke aus deutschen Sammlungen, darunter wahrscheinlich auch der legendäre
Schliemann-Schatz.

… ins Internet und um die Welt

Dr. Michael Naumann, Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung
für Kultur und Medien, stellte die neuen Webseiten von lostart.de am
10.4 in Berlin vor. An das Internet knüpft er in diesem Zusammenhang die
Hoffnung, das der weltweite Verbreitungsradius dazu beitragen wird, mehr
Anspruchsberechtigte zu erreichen. „Das Internet“ erklärte Naumann
„bietet einen qualitativen und quantitativen Unterschied, den es vorher
einfach nicht gab“.

Der Beginn der Bemühungen um Rückführung der geraubten Kunst liegt
selbstverständlich schon weit zurück. Direkt nach dem Krieg richteten
die Alliierten in München einen „Central Collecting Point“ (CCP) ein,
von dem aus viele der eingelagerten Werke der „Linzer Sammlung“ ihren
Vorbesitzern oder jüdischen Organisationen zugeführt wurden.. In
Westdeutschland kümmerte sich die „Treuhandverwaltung Kulturgut“ um eine
Vermittlung der Restbestände des CCP. Seit 1969 schließlich ist das
Finanzministerium für die verwaisten Werke zuständig. In der ehemaligen
DDR war die Wiedergutmachung des NS-Bilderklaus über ihre Anfänge nicht
hinausgekommen. Vonstatten ging hier eher die Rückgabe von verbrachten
Kunstwerken, darunter berühmte Arbeiten wie Raffaels Sixtinische Madonna
(Dresden) oder der Pergamonaltar (Berlin) durch die Sowjetunion.

Suche Borussia….

Nach der Wende bemühte man sich zunächst ebenfalls vor allem um die
Rückführung von kriegsbedingt verbrachten Kunstgegenständen aus
Osteuropa. Erst durch die Washingtoner Konferenz zur Vermögensregelung
von Holocaust-Opfern im Dezember 1998 belebte sich die Diskussion um
Wiedergutmachung von deutscher Seite wieder, und so bat Michael Naumann
zunächst die Direktoren der führenden deutschen Museen um Mithilfe. Da
das Echo aus diesem Kreise nur äußerst zaghaft zurückschallte, beschloss
Naumann andere Wege zu gehen.

Zunächst folgte eine gemeinsame Erklärung
von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden, in der die Prüfung
von verdächtigen Kunstwerken als Ziel genannt wurde. Die
„Koordinierungstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern“,
seit 1998 mit Sitz in Magdeburg, begann daraufhin im Herbst 1999 ihre
interne Verlust-Datenbank für den Internet-Start umzubauen. Mit Hilfe
des Instituts für Betriebliche und Technische Informationssysteme der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
wurde dieser Internetgang
vorbereitet und professionell durchgeführt. Inzwischen dürfte auch den
Direktoren der deutschen Museen klar geworden sein, dass an die Stelle
der Werke, die sie möglicherweise verlieren, lange vermisste Kunstwerke
gehängt werden können. Zudem hat sich gezeigt, dass die rechtmäßigen
„neuen alten“ Besitzer in den meisten Fällen zu einem fairen Verkauf der
Bilder bereit sind.

Die Seiten von www.lostart.de bieten den Kunstsuchenden nun verschiedene
Möglichkeiten. Dr. Michael Franz, Leiter der Koordinierungsstelle in
Magdeburg, erläuterte anlässlich der Pressekonferenz am 10.4., wie die
Vermittlung der Kunstwerke im Internet funktioniert. Zum einen gibt es
Listen der Kunstwerke, die den rechtmäßigen Anspruchsstellern zugeführt
werden könnten. Weiterhin bieten die Seiten die Möglichkeit, gesuchte
Kunstgegenstände anzumelden. Darüber hinaus veröffentlichen deutsche
Institutionen eine Beschreibung von Bildern, die aus ihren Sammlungen
ins Ausland verbracht wurden. Die Koordinierungsstelle ist auch
Herausgeberin des internationalen Newsletters "Spoils of War", der den
Informationsaustausch auf internationaler Expertenebene gewährleisten
soll und ebenfalls auf dieser Website zu finden ist.

….biete van Gogh

Einige Kunstwerke konnten bereits im Vorfeld des Internetstarts
vermittelt werden. So hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereits
verschiedene Objekte der Sammlung Silberg zurückgeben können, darunter
eine Zeichnung von van Gogh. Auch die berühmte Borussia von Menzel ist
im Rückgabe-Prozess begriffen. In vielen Fällen, so betonte Naumann ist
man bei der Deklarierung von Werken mit möglicher NS-Provenienz auf die
moralische Haltung der jetzigen Besitzer angewiesen, da ein Verweis auf
Verjährungfristen den Anspruch formal-juristisch abschmettern würde. Um
so wichtiger sei es, mit Hilfe des Internets Transparenz zu schaffen und
die Biographie von Kunstwerken zu dokumentieren: „Rechtsfrieden ist
nicht in jedem Fall identisch mit Gewissensfrieden“ erklärte Naumann und
stellte weiterhin fest, dass gerade bei einem zwangsläufig immer
unvollkommenen Bemühen um Gerechtigkeit für Opfer des NS-Regimes
juristische Fristen kein Argument sein dürften.

Die www.lostart.de-Initiative verfolgt weitgestreckte Ziele. Dr. Gerd
Harms, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, knüpft an das Projekt die
Hoffnung einer internationalen Zusammenarbeit bezüglich vermisster oder
gestohlener Werke. Mit Hilfe einer allgemein kompatiblen Software soll
irgendwann der gesamte Kunstmark transparenter werden. Vielleicht taucht
der legendäre Schliemann-Schatz dann ja auch wieder auf….

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