bildSocial Media und Online-Plattformen… da denkt jeder an Facebook, Twitter, Google +. Diese Namen gehören heute zum Internet wie die Predigt in die Kirche. Doch es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der von Facebook (noch) keine Rede war, es andere digitale Treffpunkte gab, um miteinander zu kommunizieren und in Verbindung zu bleiben. Viele sind in Vergessenheit geraten. Dabei waren sie in ihren Glanzzeiten das zweite Zuhause für ihre Mitglieder. Für einige kam irgendwann das jähe Ende, andere dümpeln bis heute vor sich hin und wieder andere wagen ein Comeback. Für unsere Sommerreihe haben wir in die Mottenkiste der sozialen Medien geschaut und ein paar Schätze ausgegraben.Im dritten Teil unserer Reihe widmen wir uns der fast vergessenen virtuellen Welt Second Life.

Wie es wurde, was es war

Damals wollten alle dabei sein: Adidas verkaufte Schuhe an Second-Life-Bewohner, die schwedische Regierung schuf eine virtuelle diplomatische Vertretung und sogar Baden-Württemberg eröffnete eine eigene Second-Life-Dependance. Die Bildzeitung veröffentlichte die Second-Life-Zeitung “AvaStar” und der damalige französische Präsidentschaftskandidat Nicholas Sarcozy ließ die “Sarkozy Island” einrichten, um auf Stimmenfang im Netz zu gehen. Genauso übrigens wie seine Kontrahentin Segolène Royal, die nämlich längst schon drin war, in der virtuellen Welt von Second Life. Die Betonung liegt dabei auf “war“. Denn der große Hype um Second Life ist längst passé. Zunächst aber stellt sich die Frage: Wie ging es eigentlich los?
Vor genau zehn Jahren schuf das kalifornische Unternehmen Linden Lab die 3D-Weltsimulation Second Life. Dieses Kunstuniversum war von Anfang an nicht als einfaches Spiel konzipiert, sondern eher als eine Plattform, die kreativen Austausch und Interaktion ermöglicht. Der Besucher kann die Umwelt und sein  virtuelles Selbst, den Avatar, mithilfe unterschiedlicher Gestaltungsfunktionen und einer internen Programmiersprache nach eigenen Wünschen gestalten. In Form ihrer Avatare können die User in Echtzeit miteinander kommunizieren und anderweitig agieren. Von Gesprächen über gemeinsames Tanzen oder Shoppen bis hin zu virtuellem Sex ist nahezu jede Form der Interaktion möglich. Während die Basis-Registrierung und das grundsätzliche Spielen bei Second Life kostenlos ist, kann der User über kostenpflichtige Premium-Accounts unterschiedliche Privilegien erhalten. Ein Premium-Mitglied ist beispielsweise von der monatlichen Landmiete in Höhe von 5 Dollar für eine bestimmte Quadratmeteranzahl an Land befreit. Außerdem haben die Nutzer die Möglichkeit, sogenannte Linden-Dollars, die Second-Life-Währung, durch Jobs im Second Life und virtuelles “Taschengeld” seitens der Betreiber zu erwerben. Diese lassen sich in eine reale Währungen umzutauschen und umgekehrt. Das ermöglicht den Handel zwischen den Bewohnern. Und gehandelt wird alles Vorstellbare und mehr: Kleidung, Autos und Dienstleistungen aller Art genauso wie Nahkampfwaffen oder „zuchttaugliche Feen“. Das schuf den Mythos des schnellen Geldes: Zwar wurden einige Bewohner durch Geschäfte in Second Life auch im realen Leben zu vermögenden Personen, der Großteil der User aber träumte vergeblich vom Reichtum durch den virtuellen Handel.
So oder so, die Gemeinschaft wuchs, und zwar schnell. Schon 2006 hatte Second Life über zwei Millionen Bewohner – auch wenn davon weniger als eine Million User tatsächlich und häufig am virtuellen Leben teilnahmen. 2007 war der Hype um Second Life auf seinem Höhepunkt– da waren es bereits über sieben Millionen „Lifers“. Denn auch Unternehmen hatten die neue virtuelle Welt als Marketingplattform für sich entdeckt. In der Hoffnung, Kunden noch gezielter ansprechen zu können, schufen sich mehr und mehr Firmen eine “zweite Existenz” in Second Life. Mit dabei waren zum Beispiel BMW und Toyota. Auch Künstler und Bands nutzten Second Life, um auf sich aufmerksam zu machen. Dass die Politik folgte, schien nur logisch: Neben den beiden ehemaligen französischen Spitzenkandidaten für das Präsidentschaftsamt versuchten vereinzelt auch deutsche Politiker, virtuellen Wahlkampf zu betreiben. Sogar politische Initiativen entstanden, beispielsweise für die  Einführung des Mindestlohns in Deutschland. In der Folge befassten sich renommierte Wissenschaftler und natürlich die Medien mit der Online-Spielwiese. „Das Spiel hat Potenzial und könnte noch ungeahnte Möglichkeiten zur Kommunikation entwickeln, zu Experimenten – und zur Zukunft des Internets. Einige Experten gehen davon aus, dass Second Life das World Wide Web komplett verändern wird – und User sich in ein paar Jahren so durchs Netz bewegen werden wie heute durch das Onlinegame“, prophezeite der Fokus im April 2007. Für den Spiegel bedeutete Second Life gar “den Beginn einer völlig neuen Anthropologie, eines neuen Menschenbildes. Nach dem freibestimmten Individuum der Renaissance und dem Massenmenschen des Industriezeitalters betritt nun der virtuelle Prototyp die Arena: ewig jung, ewig agil, metropolitan einsam und gleichzeitig unendlich vernetzt.“  Second Life schien das nächste große Ding zu sein, die Möglichkeiten nahezu grenzenlos.

Aus der Traum

Enthusiasten malten sich also die Vision einer besseren Welt aus, während Skeptiker vor einer massiven Realitätsflucht einsamer Nutzer warnten. Letztendlich bewahrheitete sich keines der beiden Szenarien. Denn so schnell der Hype entstanden war, so schnell flaute er auch wieder ab.
Second Life wurde größer geschrieben als es tatsächlich war. Tatsächlich bestand die Plattform auch auf ihrem (medialen) Höhepunkt zu großen Teilen aus sogenannten „Account-Leichen“. 2007 loggten sich nur 0,8 Prozent der Spieler mindestens einmal in der Woche ein. Was auch daran liegen könnte, dass Steuerung und Grafik schon zum Zeitpunkt des Erscheinens von Second Life nicht auf der Höhe der Zeit war. Dazu kamen technische Mängel der Plattform. Bugs und Ausfälle machten den „Lifern“ das Leben schwer. Wer Second Life eher passiv als reines Online-Spiel nutzte, musste außerdem schnell feststellen, dass es außer Shopping, wenig aufregenden Club-Nächten, virtuellem Sex und Small-Talk nicht viel zu tun gab. Darüber hinaus wurde vermehrt Kritik an der Kommerzialisierung von Second Life laut. Insbesondere die treuesten Fans sträubten sich gegen das zunehmende Statusdenken und die Invasion der Unternehmen. Die idealistische Vision einer „zweiten“, besseren Welt ohne  soziale Unterschiede ging nicht in Erfüllung.  Wer kein (virtuelles und reales) Geld hatte, konnte die angesagten Clubs nicht besuchen, sich weder neue Kleidung  noch Land kaufen. Virtuelle Zäune und Absperrungen taten ihr Übriges. In der Folge sank zwar zunächst nicht die Zahl der Bewohner, wohl jedoch die Zahl der gleichzeitig aktiven User langsam aber stetig.
Offenbar trat hier wohl der Effekt ein, dass sich Medienhype und das massive Marketinginteresse der Unternehmen gegenseitig bedingten. Als die hehren Erwartungen nicht in Erfüllung gingen, beendeten viele Firmen ihr Engagement wieder. Weder Bild noch Adidas sind heute noch im Second Life aktiv. Und die Medien? Weniger als zwei Jahre nach den Jubelschriften wurde Second Life von vielen Journalisten praktisch für tot erklärt.  Schlagzeilen wie „Second Life liegt im Sterben“ dominierten die Presse. Es wurde wieder leise um Second Life. 2010 musste Linden Lab 30 Prozent seiner Belegschaft entlassen. Die Welt schrieb dazu: „Es gibt etwas, das ist noch vernichtender als schlechte Presse: gar keine Presse. (…) Obwohl sich “Second Life” ins Nichts schrumpft, scheint das niemanden zu interessieren. Oder es wundert sich einfach keiner.“

Geht da noch was?

Ins Nichts geschrumpft hat sich Second Life nicht. Im Juni dieses Jahres feierte die Plattform ihren zehnten Geburtstag. Wirklich ansprechend und modern ist die Plattform zwar noch immer nicht. Ebenso wenig hat das, was im Second Life passiert,  starken Einfluss auf den medialen Diskurs über das Web.  „Second Life, die Zukunft des Internets“, diese Aussage wird man in der Form nicht mehr lesen. Und wir wären doch sehr überrascht, wenn plötzlich eine virtuelle Merkel gegen einen Steinbrück-Avatar zu Felde ziehen würde. Die tatsächlich teilnehmende Bevölkerung von Second Life scheint geschrumpft zu sein – trotz einer Zahl von insgesamt 20 Millionen 36 Millionen Registrierungen seit Gründung laut Aussage der Betreiber  (korrigiert, vgl. Kommentar).
Andere bauen  derweil schon an neuen Welten. Das ist vielleicht auch gut so. Denn der durchschnittliche Second Life-User ist Mitte dreißig oder älter. Jüngere Generationen stellen durch mehr Erfahrung mit modernen Konsolenspielen häufig höhere Anforderungen an Technik und Grafik. „Cloud Party“ heißt der neue Versuch, das totgesagte Genre  wieder zum Leben zu erwecken. In der 3-D-Anwendung bewegen sich die Avatare durch eine Welt mit riesigen Blasen, die jeweils eine abgeschlossene Welt umfassen. Im Vergleich zu Second Life scheint das Spiel flüssiger zu laufen und einfach zu verstehen zu sein. Medien und User reagieren allerdings noch verhalten auf die neue Welt. Bis zum nächsten Hype um 3-D-Universen wird wohl noch einige Zeit vergehen.
Trotzdem: Second Life hat nach wie vor seine Fans, und die sind treu. Meist sind 35.000 bis 60.000 Nutzer gleichzeitig in das System eingeloggt. Man trifft auf Künstler, Designer und Wissenschaftler, die gemeinsam an „ihrer“ Welt basteln und detailverliebte Landschaften oder Gebäude entstehen lassen. Noch immer werden Vorträge oder Referate  im Second Life gehalten. Die Zahl der zeitgleich aktiven Nutzer steigt zwar nicht an. Aber solange die bestehenden Anhänger von Second Life der Plattform auch weiterhin die Treue halten, kann das virtuelle Universum vermutlich noch länger bestehen.
Hier finden Sie Teil 1 der Reihe: Was macht eigentlich StudiVZ?
Hier finden Sie Teil 2 der Reihe: Was macht eigentlich MySpace?
Bild: Jane (CC BY-NC-SA 2.0)

CC-Lizenz-630x110

Privacy Preference Center