Immer mehr Menschen informieren sich vor allem online über Politik. Dass damit Probleme verbunden sein können, zeigt schon das Hate-Speech-Phänomen in sozialen Netzwerken sowie bei Nutzer-Kommentaren von Online-Angeboten. Auch im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft spielt der Streit um Desinformation, Meinungs-Manipulation und postfaktische Tendenzen eine wichtige Rolle: Fact-checking ist sowohl für die Kampagnen der Kandidaten selbst als auch für Medien zur kommunikativen Königsdisziplin avanciert.
Dies ist natürlich kein Zufall, sondern steht in einem Zusammenhang mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, zu dessen Markenzeichen krude Behauptungen gehören, die vehement vertreten werden. Seine elektoralen Überraschungserfolge lassen sich auch als Ausdruck einer verbreiteten Haltung verstehen, die als “postfaktisch” charakterisiert wird. Dieses relativierende Verhältnis zu Wahrheit und Wissenschaft korrespondiert wiederum mit einem Strukturwandel der Öffentlichkeit, der in sozialen Netzwerken einen idealtypischen Ausdruck findet. So beeinflusst Facebook durch seine Algorithmen, was die Nutzer alles in ihrem Newsfeed zu sehen bekommen, und orientiert sich dabei an den Präferenzen, die sie durch ihr Online-Verhalten (abonnierte Profile, befreundete Personen, geteilte Inhalte, Likes usw. usf.) preisgeben. Die daraus resultierende Profilbildung, die Facebook zur Einordnung der Nutzer vornimmt um Werbung optimal zu adressieren, trägt maßgeblich zur Entstehung der gefürchteten “Echokammern” (Cass Sunstein) und “Filterblasen” (Eli Pariser) bei, die bereits vorhandene (Vor-)Urteile verstärken können. Einen erschreckenden Einblick in die dadurch mögliche Welt einseitig politisierter “Nachrichten”-Produktion und ihrer immensen Bedeutung in den USA lieferte die New York Times mit einer unter dem Titel “Inside Facebook’s (Totally Insane, Unintentionally Gigantic, Hyperpartisan) Political-Media Machine” publizierten Recherche.
Böse Bots
Dass solche vermeintlichen Randerscheinungen eine zunehmende Relevanz für das Wahlverhalten haben können, legt dabei ein Befund nahe, den der Reuters Institute Digital News Report 2016 für die USA belegen kann: Für Erstwähler verdrängen soziale Medien das Fernsehen als maßgebliche Quelle für Nachrichten. Damit wird auch eine weitere Problematik bedeutsamer, die bereits bei Abstimmungen wie dem Brexit-Referendum virulent geworden ist: Das neueste Mittel zur manipulativen Stimmungsmache sind “Social Bots”, die als vorgeblich von Personen stammenden Profilen in sozialen Netzwerken automatisiert eine vorgegebene Position vertreten. Wie diese Programme durch massenhaftes Auftreten Wahrnehmungen beeinflussen und ein bestimmtes Diskussionsklima erzeugen können, hat der Politikwissenschaftler Simon Hegelich zuletzt in einer Kurzstudie unter dem Titel “Invasion der Meinungs-Roboter” prägnant analysiert.
Mobile first – information last?
Ein weiterer Trend könnte die postfaktischen Tendenzen spezifisch konfigurierter Online-Öffentlichkeiten verstärken. Johanna Dunaway hat sich in einem Diskussionspapier für das Shorenstein Center der Harvard University damit auseinandergesetzt, wie es sich auswirkt, wenn der Zugang zu Online-Medien vor allem über mobile Endgeräte erfolgt. Kurz gesagt: Es sieht nicht gut aus, denn vor allem auf dem Smartphone werden im Vergleich zu größeren Geräten weniger News-Anwendungen genutzt, und gleichzeitig nutzen gerade benachteiligte gesellschaftliche Gruppen ausschließlich diese für den Online-Zugang. Dunaway resümiert: “It may be correct to conclude, as some already have, that we are entering an era of second-class digital citizenship led by a mobile-only digital underclass”.
Fakten, Fakten, Fakten
Gleichzeitig lässt sich bei der US-Wahl der (vielleicht auch verzweifelte) Versuch feststellen, Fakten gerade durch Online-Kommunikation zur Geltung zu verhelfen. Nach der Debatte der Vizepräsidentschafts-Kandidaten nutzten beide Kampagnen erstmalig “Moments”, das nun für alle Nutzer zugängliche Tool zum Kuratieren von Tweets, um ihre Kritik an der Gegenseite zu kommunizieren. Die betreffende Sammlung der Clinton-Kampagne stand unter dem Titel “The many, many lies Mike Pence told at last night’s debate” und beinhaltete außer eigenen Beiträgen auch Faktenchecks unabhängiger Akteure wie von politifact.com, factcheck.org oder NBC News. Die Inhalte werden dabei meist als share-pic oder GIF präsentiert. Der öffentlich-rechtliche Sender NPR erzielte mit seinem von Experten in Echtzeit kommentierten Online-Transkript der ersten TV-Debatte zwischen Clinton und Trump mit mehreren Millionen Zugriffen eine riesige Reichweite. Eine Variante dieses Fact-checking-Formats praktiziert die Washington Post, die Transkripte der TV-Debatten mittels der Möglichkeiten von Genius.com annotiert. Damit lassen sich dann auch multimediale Inhalte und Nutzer-Kommentare einbinden (siehe z.B.). Artikel, die Faktenchecks beinhalten, kommuniziert die Washington Post auch besonders: Sie sind gebündelt als wöchentlicher Newsletter zu abonnieren und werden unter dem Hashtag “#factcheckfriday” als “Moment” getwittert.
Die Karriere des Fact-checking manifestiert sich schließlich darin, dass Google in den USA und Großbritannien seit Mitte Oktober 2016 in den Suchergebnissen im News-Tab Beiträge als Faktenchecks identifiziert und gesondert ausweist. Ob Rubriken wie “Was wir wissen und was nicht” (so die in deutschen Online-Medien seit einiger Zeit populäre Variante) allerdings ein probates Mittel sind, um in die (sozial-medialen) Sphären des Postfaktischen einzudringen, bleibt abzuwarten.
Titelbild: duncan C via flickr, licenced via CC BY-NC 2.0 and wikimedia commons