Man kann sich einen Film anschauen, der einen fröhlich, traurig oder ängstlich stimmt. Die eigenen Probleme vergessen und in der Television versinken. Was ändert sich, wenn aus Television Telepräsenz wird? Was kann Virtual Reality bis heute und wie wird es möglicherweise weitergehen?
Plötzlich bist du in einem Dorf im Kongo. Du schaust dich um, siehst ein paar Kinder spielen. Neben dir stehen zwei Lehmhütten. Jemand kommt auf dich zu. Du hast ihn nur aus dem Augenwinkel gesehen. Er geht ganz dicht an dir vorbei und auf die Kinder zu. Sie sprechen miteinander. Erst jetzt siehst du das Maschinengewehr auf seinem Rücken. Niemand geht auf dich ein. Niemand sieht dich. Denn in Wirklichkeit bist du gar nicht da.
Ich nehme die Brille ab und komme wieder in Berlin an. Ich sitze auf einem Stuhl auf einer Veranstaltung im Telefónica Basecamp zu Virtual Reality (VR). Eine Viertelstunde später unterhalten sich vier Referenten auf einer Podiumsdiskussion über die Möglichkeiten, die diese Technik mit sich bringt. Unter ihnen ist Julia Leeb, die den Film gedreht hat, den ich mir gerade in 360° angeschaut habe.
Virtual Reality heute
Die Diskussion birgt für mich keine großen neuen Erkenntnisse. Virtual Reality ist nicht neu. Es gibt die Möglichkeit seit den 80er Jahren. Der Unterschied von damals zu heute besteht darin, dass die Technik heute erschwinglich geworden ist. Fast jeder besitzt ein Smartphone und viel mehr benötigt man gar nicht mehr um VR zu erleben. Eine Brille kann man sich für 3€ online kaufen. Die besseren Modelle sind natürlich teurer.
Während auf dem Podium weiter debattiert wird, drängt sich mir immer wieder die Frage auf, wie realistisch dieses Szenario ist. Wird sich VR dieses Mal wirklich durchsetzen? Werden wir tatsächlich in einigen Jahren alle allein in unseren Wohnungen sitzen und jeder schaut durch seine Brille, die Realität an, die er sich gerade wünscht?
Die Goldman Sachs Group scheint daran zu glauben. Sie haben vorausgesagt, dass der Markt für VR eines Tages genauso groß sein wird, wie der für Smartphones heute schon ist. Auch Mark Zuckerberg scheint daran zu glauben. Facebook kaufte nicht nur vor 2 Jahren das VR-Start-Up Oculus, sondern kooperiert nun auch mit Samsung, um die Technologie endlich in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Auch Julia Leeb glaubt daran.
Welche wird die schöne neue VR-Welt?
Eins ist sicher: Die Utopie von Zuckerberg ist gänzlich verschieden von dem Traum, den die junge Frau auf dem Podium vor Augen hat. Im einen geht es um Geld und Marktanteile, man denkt an die Möglichkeiten, die die Technologie bietet: Die Nutzer müssen sich ihre Filme, Serien und Computerspiele nicht mehr angucken. Sie könne mittendrin sein, es miterleben. Wenn man am Körper noch einige Sensoren anbringt, die beispielsweise die Herzfrequenz messen, können sogar die Gefühle des Nutzers den Verlauf mitbestimmen. Je personalisierter, desto besser. Je personalisierter, desto teurer.
Die Kriegsberichterstatterin Julia Leeb ist an gänzlich anderen, idealistischeren Dingen interessiert. Sie wünscht sich eine Welt, in der Vorurteile keinen Bestand mehr haben, eine Welt, in der durch VR jeder jederzeit überall sein kann. Wo „der Texaner auf dem Sofa sich umdreht und hinter sich eine wunderschöne Nordkoreanerin sieht, die in anlächelt.“ So kann man sich nicht mehr davor verstecken, dass „die anderen“ doch auch einfach nur Menschen sind. In ihrer Eröffnungsrede sagte Frau Leeb: „In einem Krieg braucht man immer Feindbilder. Ich habe den Feind gesucht. Immer wieder. Gefunden, habe ich ihn nie.“ Das ist die Erfahrung, die sie durch VR mit uns allen teilen möchte. Sie möchte uns emotional ansprechen, damit wir „wach“ werden und etwas gegen das Unrecht in der Welt tun.
Welche der beiden Wege eingeschlagen wird, ist schwer zu sagen. Bisher ist VR noch alles und nichts. Noch sind alle Thesen Spekulationen. Was und ob etwas davon wahr wird, werden wir in einigen Jahren sehen. Doch die Anfänge sind da. Schon heute kann man auf Youtube das Leben eines Flüchtlingskindes miterleben oder auf der Tragfläche eines Segelfliegers durch die Lüfte gleiten.
Bild: Nan Palermo unter Lizenz: CC BY 2.0