Die Wahl, die Geschichte, die Lösung

Im Jahre 1789 wussten die Amerikaner
noch, was, vielmehr wen sie wollten. George Washington wurde mit 69 Wahlmannstimmen erster
Präsident der Vereinigten Staaten und verwies John Adams mit 34 Stimmen auf Platz zwei. Vorher
hatten die Amerikanern den Briten gezeigt, was sie von ihnen und ihrer merkantilistischen
Handelspolitik hielten. Mit Schwung in die
Unabhängigkeit
, mit Schwung zur Wahl.

Dieser alte Schwung ist hin. Seit 10 Tagen überlegen die Amerikaner nun schon, wer denn ihr
43. Präsident werden soll. Die alte Welt blickt hämisch auf die transatlantische
Super-Demokratie, die für ihre Stimmzettelauswertung länger braucht als jede "Bananenrepublik".
Und je länger die Zählerei dauert, desto mehr unrühmliche Versäumnisse kommen ans Tageslicht.

Probleme mit der eindeutigen Bestimmung
des Präsidenten
hatten die Amerikaner schon früher einige Male. Dass sie sich aber nie so
sehr blamierten wie in diesen Tagen, liegt an der medialen Geschwindigkeit, mit der die
Wahrheit oder das Wanken durch die Welt geschossen wird.

Tröstlich ist, dass Al oder George ihr Schicksal mit Adams, Cleveland, Tilden und Nixon teilen
werden. Sie alle wären fast als Präsidenten (wieder) gewählt worden. In drei Fällen war der
Wahlausgang besonders hart für die Verlierer, denn die Entscheidung lag nicht beim Volk,
sondern in den Händen politischer Ränkeschmieden: in den
Jahren 1800 und
1824 musste nach einem unentschiedenen Wahlausgang
das "House of Representatives" entscheiden.

Noch dramatischer war das Prozedere bei der Wahl von
1876, bei der
Rutherford Hayes als Sieger für das
Republikanische Lager hervorging. Zwar hatte Samual Tilden die Wahl nach Stimmen des Volkes
gewonnen, in drei entscheidenden Staaten des Südens waren jedoch die Lager genau gespalten und
es wurden für beide Parteien gleich viele Wahlmänner nominiert. Eine unabhängige Kommission
entschied sich schließlich für den Republikaner Hayes, weil dieser versprach, die Truppen aus
den betroffenen Staaten des Südens abzuziehen.

In diesem Jahrhundert ist es nur einmal richtig knapp geworden, im Kampf um das Weiße Haus.
Das Duell Kennedy-Nixon von 1960 wird in diesen
Tagen oft zum Vergleich herangezogen. Als der Newcomer Kennedy
den alten Hasen Nixon mit knapp 100.000 Stimmen das Amt abnahm, hatte er im entscheidenden
Staat Illinois allerdings
einen Vorsprung von 8000 Stimmen herausgearbeitet. Dagegen sind die 300 Stimmen, mit denen
Bush derzeit in Florida in Führung liegt, lächerlich.

Louisiana, Illinois,Florida:
Konnten die Amerikaner früher besser zählen? Warum blamiert sich das amerikanische Wahlsystem
ausgerechnet bei dieser Wahl?

Die Antwort steht vor Ihnen: Schuld an der amerikanischen Schande ist: das Internet.
Die Beispiele der früheren Wahlen mit unklarem Ausgang zeigen deutlich: die Medien sind an der
blitzgeschwinden Verbreitung des amerikanischen Traumas schuld. Unter den Teppich lässt sich
bei der für heutige Verhältnisse geradezu ewigen Wartezeit auf die Präsidentenkür nicht viel
kehren. Doch damit nicht genug: Die Medien und allen voran das Internet sind auch Schuld an
dem Versagen des amerikanischen Wahlsystems überhaupt.

Den Schmackes, den die Gründungsväter hatten, als sie die "letzte Grenze" im Land westwärts
trieben, ist dahin. Und die Geographie, der Wettstreit der "states" stellt für die Amerikaner
offensichtlich kein identitätsbildendes Mittel der politischen Willenbildung mehr dar. Vor
diesem Hintergrund müssen entweder die Wahlmänner weg
(was in einem Land mit so kurzer politischen Geschichte einen echten
Traditionsverlust bedeutet) oder die Wahlmänner müssen anders zugeteilt werden.

Die geographische Interpretation der Welt ist vor dem Hintergrund des Wahlmannsystems ein
Anachronismus. Warum sollte der gleiche Wahlmann einen Tekki aus dem Silicon Valley und einen
Traubenbauern aus dem angrenzenden Tal repräsentieren?
Die Lösung sind Wahlmänner aufgeteilt in der Logik des postgeographischen Internet-Zeitalters:
User, die ihre soziale Anbindung unter pregnacy.com finden, oder ihre politische Identität in
Wired-newslettern verorten, bekommen den gleichen e-state zugeteilt. Dort wird es dann auch
viel einfacher sein, ordentliche Mehrheiten zu bilden. Und die Lobbys müssen nicht länger
irgendwo verstohlen am Rande herumstehen, sondern können endlich den Platz einnehmen, den sie
in Wirklichkeit sowieso schon inne haben: mittendrin in der Politik.

Im Zuge dieses digitalen Föderalismus` könnten die Amerikaner dann gleich noch ihre veraltete
Wahltechnik ausmustern und endlich die ersten Internetwahlen durchführen.
Die Welt hätte wieder ein Vorbild.

Es steht allerdings zu befürchten, dass die einst so nassforschen Pioniere diesen Schritt nicht
mehr hinbekommen. Die Alternative dazu liegt auf der Hand, denn in diesem Falle haben die
Amerikaner ihre hart erkämpfte Unabhängigkeit nicht mehr verdient. Die Queen wird kommen, sie
zu retten. Sie wird ihnen nach Hongkonger Vorbild einen Amerika-Minister vor die Nase setzten,
was den Vorteil hat, dass die Amerikaner nie wieder wählen müssen. Alle Amerikaner lernen
endlich Englisch und der neue Nationalfeiertag wird der 8. November: Indecisive statt
Independance Day.