Als die großen „Querdenker“ – Demonstrationen, als Protest gegen die Schutzmaßnahmen im Zuge der Covid-19 Pandemie, in Berlin und Leipzig bis zu 20.000 Menschen angezogen hatten, war die Messenger App Telegram deren Austausch- und Organisationsplattform. Vor allem über Telegram werden Inhalte und Meinungen in Gruppen ausgetauscht, sowie Demo Aufrufe gestartet und organisiert. Dass Social Media Plattformen und Messenger Dienste für die Organisation von sozialen Bewegungen genutzt werden, ist dabei nichts Neues. Überraschend ist es auf den ersten Blick, warum gerade Telegram und nicht Facebook oder Twitter zum Sprachrohr der Querdenker-Bewegung wurde.
Der Messenger besitzt nach eigenen Angaben weltweit über 400 Millionen Nutzer*innen. Täglich sollen weitere 1,5 Millionen dazu kommen. Prominente deutsche Covid-19 Leugner*innen wie der Sänger Xavier Naidoo, der Vegan-Koch Attila Hildmann und die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Hermann nutzten die Vorteile von Telegram, um ihre Anhängerschaft mit (Falsch-)Informationen zu versorgen und Proteste zu organisieren. So erstellen sie Inhalte, die Hintergründe der Pandemie infrage stellen oder die Krise als Ganzes zum Mythos erklären. Doch was macht den Messenger-Dienst aus? Inwiefern unterscheidet er sich von WhatsApp und Co.?
Was ist Telegram
Gegründet wurde Telegram von den beiden russischen Brüdern Pavel und Nikolai Durov im Jahr 2013. Zu diesem Zeitpunkt waren sie schon erfahren im Umgang mit sozialen Netzwerken, da sie bereits das russische VK-Netzwerk gegründet hatten, ein osteuropäisches Pendant zu Facebook. VK verkauften die beiden Brüder im Jahr 2014, um sich ganz auf die Entwicklung von Telegram zu konzentrieren. Offiziell befindet sich der Firmensitz derzeit in Dubai. Zwischenzeitlich wurden auch andere Hauptstandorte bekannt gegeben. Im Telegram FAQ äußert sich das Unternehmen hinsichtlich ihres Standortes wie folgt:
„Das Telegram-Team musste Russland aufgrund lokaler IT-Vorschriften verlassen und hat eine Reihe von Standorten ausprobiert, darunter Berlin, London und Singapur. Derzeit sind wir mit Dubai zufrieden, aber jederzeit bereit, wieder umzuziehen, wenn sich die dortigen Vorschriften ändern sollten.“
Telegram unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von gängigen Messengern wie zum Beispiel WhatsApp. Zur Anmeldung braucht es lediglich eine Telefonnummer, die jedoch nicht die Rufnummer des eigentlichen Geräts sein muss. Nach der Anmeldung kann im Benutzerkonto ein Nutzername eingerichtet werden. Dadurch können Nachrichten gesendet und empfangen werden, ohne dabei die eigene Telefonnummer preisgeben zu müssen. Telegram ist kostenlos und schaltet keine Werbung. Dies soll nach eigenen Angaben auch so bleiben. Die Finanzierung läuft über Spenden, bei denen der Mitgründer Pavel Durov den Hauptanteil investiert. Auch in Zukunft ist es laut den beiden Gründern nicht geplant, dass Telegram sich selbst finanzieren muss. Dies erklärt das Unternehmen auf ihrer Homepage mit der geteilten Vision der Gründer, einen schnellen und sicheren Nachrichtenaustausch für jedermann zu garantieren.
Ein weiterer großer Unterschied zu vergleichbaren Messenger Diensten ist das potenziell gleichzeitig zu erreichende Publikum. Erstellte Gruppen können bis zu 200.000 Mitglieder*innen fassen. Hier kann jedes Mitglied Inhalte einstellen. Kanäle, in denen nur die Kanal-Gründer*innen Inhalte posten können, haben gar keine Größenbeschränkung. Dateien, wie Fotos und Videos, dürfen eine Datengröße von bis zu 1,5 GB besitzen, bei WhatsApp liegt die Begrenzung bereits bei 100 MB. Während sich die App also in ihrer Funktionsweise anderen Messengern ähnelt, bietet sie aufgrund ihrer zu erreichenden Gruppen- und Kanalgröße noch zusätzlich klassische Social-Media-Plattform Features an.
Die Besonderheit dieser Kommunikationsform beschreibt Politik- und Strategieberater Martin Fuchs folgendermaßen: „Damit ist es Nutzer*innen möglich weiter Massenkommunikation zu betreiben, die aber in der Anmutung wie persönliche Kommunikation wahrgenommen wird und wirkt.“
Sicherheit
Aufgrund ihres angeblichen Abstandes gegenüber US-amerikanischer und russischer Einflussnahme gilt Telegram unter vielen seiner Nutzer*innen als besonders sicherer Messenger. In Deutschland fällt Telegramm nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Dieses Gesetz verpflichtet soziale Medien, die mehr als zwei Millionen Nutzer*innen verbuchen können, auf ihrer Plattform gemeldete Inhalte zu überprüfen. Sollte der gemeldete Inhalt in Deutschland rechtswidrig sein, verpflichtet sich das Unternehmen diesen innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Telegram ist jedoch in Deutschland als Messenger und nicht als soziales Netzwerk gelistet. Dementsprechend löscht das Unternehmen so gut wie keine Inhalte. Hiervon ausgenommen ist nur Content mit terroristischen Tendenzen. Nachrichten, Fotos und Videos in Telegram Gruppen sind den Augen des Unternehmens die Privatsache der Nutzer*innen. Es werden keine Meldungen zu möglichen illegalen Inhalten in Gruppenchats bearbeitet.
Darüber hinaus wird von den Gründern versprochen, dass eine Weitergabe von Daten an Dritte nicht stattfindet. Hierzu sollen auch Behörden, Arbeitgeber*innen, Marketingagenturen und Werbeunternehmen gehören. Dieses Versprechen argumentieren sie auf der Grundlage, dass nur die systemnotwendigsten Daten gespeichert werden. Diese verteilen sich auf Rechenzentren, die über den Globus verteilt sind und damit verschiedenen Gerichtsbarkeiten unterliegen. Für die Offenlegung etwaiger Daten wären also mehrere internationale Gerichtsbeschlüsse notwendig, wodurch ein einzelner Staat nicht dazu in der Lage ist an Daten zu gelangen. Bis heute sind nach eigenen Angaben 0 Byte an Daten an Dritte weitergegeben worden. Anders als bei WhatsApp sind die Chats jedoch nicht standardmäßig Ende-zu-Ende verschlüsselt. Diese, heute eigentlich weit verbreitete Verschlüsslungsmethode, gibt es bei Telegramm nur in einem privaten Chat zwischen zwei Nutzer*innen. Gruppen oder Kanäle unterliegen jedoch keiner Ende-zu-Ende Verschlüsselung.
Das IT- Fachmagazin „heise online“ hat den Messenger getestet und Bedenken hinsichtlich der Sicherheit geäußert. Demnach wurde der Link zur eigenen Website in das Chatfenster der Telegram App eingetragen, ohne diese Nachricht abzuschicken. In einem Pop-up Fenster, über dieser noch nicht abgesendeten Nachricht, tauchten bereits Informationen über die eingegebene Website auf. Demnach leitet die App das in das Chatfenster eingetippte bereits an die Telegram Server weiter, ohne überhaupt eine Nachricht verschickt zu haben. WhatsApp handhabt dies ähnlich, jedoch wird hier der eingegebene Link auf dem Smartphone der Nutzer*innen abgerufen. Bei Telegram erfolgt der Abruf von einem externen Server, die Daten wurden also bereits weitergeleitet. Hier kommt es also darauf an, wie die Nutzer*innen Sicherheit für sich selbst definiert. Die Verschlüsselungsstandards besitzen nicht das Niveau anderer Messenger. Auf der anderen Seite ist es aufgrund der verteilten Rechenzentren und der firmenpolitischen Distanz gegenüber Regierungen schwer für Sicherheitsbehörden, einen Zugriff auf die Daten und die Kommunikation der Nutzer*innen zu erlangen.
Zwischen Freiheit und Illegalität
Telegram gibt sich nach außen politisch neutral und genießt dabei den Ruf keine Zensur vorzunehmen. Darüber hinaus agiert der Messenger autonom und lässt sich nicht zur Kooperation mit Regierungen drängen. Dies zeigte sich im Jahr 2018, als es zu einem vorrübergehenden Verbot von Telegram in Russland kam. Das Unternehmen hatte sich zu diesem Zeitpunkt geweigert, Informationen über die eigene Daten-Verschlüsselung an den russischen Geheimdienst FSB weiterzuleiten. Konstatiert werden kann, dass der Messenger-Dienst ein wichtiges Werkzeug in Staaten ist, in denen eine eingeschränkte Meinungsfreiheit herrscht. Im Nachgang der umstrittenen Wahl in Weißrussland gab es für die Opposition nur noch wenige Optionen, um miteinander zu kommunizieren. Die freien Medien, Facebook und Twitter wurden am Wahlabend und in den Folgetagen vom Staat blockiert. Die Proteste gegen die offensichtlich manipulierte Wahl wurden im Staatsfernsehen verschwiegen. Hier nahm Telegram eine wichtige Rolle ein, da es den Bürger*innen in Belarus ermöglichte, sich austauschen zu können.
Es gibt jedoch auch die bereits oben beschriebenen Schattenseiten des Messenger-Dienstes. Er hat eine hohe Beliebtheit bei extremistischen Gruppen. Da YouTube, Facebook und Twitter illegale oder fehlleitende Inhalte löschen oder zensieren, nutzen solche Urheber*innen vermehrt Telegram. Hier werden lediglich terroristische Kanäle gelöscht. Da rechtsextremistische, kriminelle oder pornografische Inhalte nicht entfernt werden, hat sich innerhalb des Messengers ein Schwarzmarkt und Sammlungspunkt für solche Sympathisanten gebildet. Laut MDR Recherche beobachtet das Bundeskriminalamt (BKA) über 140 Telegram-Gruppen in Deutschland. Hier geraten vor allem Kanäle, in denen politisch motivierte Kriminalität vermutet wird, in den Vordergrund. Problematisch ist dabei, dass die Kanäle sehr dynamisch sind und die Anzahl stark schwankt. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wird auf den anderen sozialen Plattformen rigoros gegen irreführende Beiträge vorgegangen. Telegram bietet auch hier eine Ausnahme und verweist auf größtmögliche Freiheit. Deshalb gilt die App schon länger als Treffpunkt für Rechtsextreme und Anhänger*innen von Verschwörungstheorien.
Dass diese Umstände jedoch nicht ausschließlich Telegram als Tool zuzuordnen sind, sieht auch Martin Fuchs so: „Das Problem wird aber nicht gelöst werden, indem man Telegram viel strikter reguliert oder verbietet, dann wandern die Radikalen zur nächsten App weiter“.
Demnach sei die Verbreitung solcher Inhalte kein technisches Problem, sondern eines was sich vor allem auf gesellschaftliche Gründe zurückführen lässt. Die Logik und der Aufbau von Messenger und Social-Media Diensten unterstützen dies lediglich. Wichtig ist nur, dass politische Parteien und Verbände dort sichtbar und ansprechbar sind, wo auch die Bürger*innen sind. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat dies erkannt und geht mit einem eigenen Kanal auf Telegram gegen die Desinformation vor. Mit fast 450.000 Abonnenten hat dieser Kanal eine weitaus größere Reichweite als die, im besten Fall, bedenklichen Kanäle von Xavier Naidoo (ca. 109.000 Abonnenten), Attila Hildmann (ca. 118.000) oder Eva Herman (ca. 158.000). Ein Umstand der positiv stimmt.
Bild von Ümit Solmaz auf Pixabay
Text: CC-BY-SA 3.0
Also was öffentliche Gruppen und Kanäle angeht ist zumindest das Bundes Justizministerium mittlerweile der Auffassung das Telegram ein soziales Netzwerk ist und unter das NetzwerkDG fällt.