Man nennt sie jetzt Cyber-Dissidenten, auch wenn ihre Ziele gleich
geblieben sind: Menschen, die mit Hilfe des Internet für mehr
Demokratie und Freiheit in China kämpfen. Die neuen
Kommunikationsmittel stellen das kommunistische Regime vor große
Herausforderungen, denn seine Kritiker können damit Informationen
schneller austauschen und in die ganze Welt tragen.

Ganz so einfach, wie es die
Internet-Nutzer aus demokratischen Ländern gewöhnt sind, ist das
allerdings in China nicht. Die Regierung hat zahlreiche Wege, um den
Inhalt von Webseiten zu überprüfen, den Email-Verkehr zu überwachen und
gegebenenfalls auch zu bremsen. Cyber-Dissidenten müssen mit hartem
Durchgreifen rechnen und wandern oft für Jahre ins Gefängnis, wenn die
Überwachungsbehörden der Meinung sind, dass sie die Stabilität im Lande
und vor allem das kommunistische System gefährden.

Bei über 20 Millionen
Internetnutzern und um die 60.000 Webseiten in China erscheint es
verwunderlich, dass die Regierung in der Lage ist, Inhalte zu filtern
und Regimekritiker ausfindig zu machen. Auch wenn nicht alle Emails
kontrolliert werden können und das Filtern von Webseiten nicht
uneingeschränkt funktioniert, hat Peking Wege gefunden, das virtuelle
Geschehen zumindest teilweise zu beeinflussen. Bei den Internet Service
Providern (ISPs) wurden vom Ministerium für Staatssicherheit Systeme
installiert, die Inhalte und Empfänger von Emails kontrollieren. Die
Polizei kann darüber hinaus von den ISPs verlangen, die Identität ihrer
Kunden preiszugeben. Betreiber von Webseiten sind zur Selbstzensur
verpflichtet und haben häufig Angestellte, sogenannte "Big Mamas", die
die Seiten auf unerwünschte Inhalte durchforsten. Die Androhung von
hohen Strafen leistet ein übriges, um den Cyber-Dissidenten das Leben
schwer zu machen.

Dennoch sind die Streiter für
Freiheit und Demokratie in China zahlreich, und das Internet hat ihnen
die Möglichkeit gegeben, Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention
schnell in die Weltöffentlichkeit zu tragen. Unterstützt werden sie von
der chinesischen Diaspora: Im Exil lebende Chinesen steuern von den
USA, Großbritannien und anderen Ländern aus Websites mit Informationen
und Diskussionsforen bei.

Wer im Land selbst in dieser Hinsicht tätig ist, wird – das liegt in
der Natur der Sache – in der Regel erst bekannt, wenn er von den Behörden
gestellt wurde. Nur wenige Systemkritiker versuchen öffentlich, mit Hilfe
des Internets zu mehr Freiheit aufzurufen, und ihre Tätigkeit ist in der
Regel nur von kurzer Dauer. In China sind derzeit 18
Personen
wegen ihrer Online-Initiativen inhaftiert. Ein prominenter Fall
war das "New Culture Forum", das offen im Internet für mehr Demokratie
plädierte. Es war drei Monate im Netz, bevor die Seite von Sicherheitbeamten
abgeschaltet wurde. Teile ihres Inhalts sind allerdings von der Organisation
Human Rights in China
gespiegelt worden und auf chinesisch unter http://www.hrichina.org/Xinwenming/index.htm
abrufbar.

Die Spiegelung von Seiten mit
kontroversen Inhalten und die Veröffentlichung kritischer Artikel bei
internationalen Medien ist ein beliebter Weg für die chinesischen
Dissidenten, den Zugriff dauerhaft zu ermöglichen. Exil-Chinesen und
Menschenrechtsorganisationen steuern eigene Websites bei, die von den
chinesischen Behörden teilweise blockiert werden, teilweise aber auch
frei abrufbar sind.

Jugendliche in China machen sich
einen Spaß daraus, in weniger strikt kontrollierten Internetcafés über
sogenannte "Proxy-Server", das sind zwischengeschaltete Computer, auf
denen sie sich einloggen, die Blockierung unerwünschter Seiten zu
umgehen. Einer dieser Jugendlichen demonstrierte Lin Neumann vom Committee to Protect Journalists
(CPJ), dass man auf diese Weise auch Seiten der verbotenen
Falun-Gong-Sekte oder Dokumentationen über das Massaker auf dem Platz
des Himmlischen Friedens von 1989 abrufen kann. Allerdings gelingt es
laut einem Bericht von CPJ
der chinesischen Regierung ohnehin nicht immer, die unerwünschten
Seiten zu blockieren, so dass die Menschen im Land teilweise auch ohne
Umwege Zugriff auf Informationen aus dem Ausland haben.

Ein beachtlicher Teil der systemkritischen Kommunikation wird über Emails abgewickelt. Eine Studie von Reporter ohne Grenzen
berichtet beispielsweise von Lin Hai, der mit zwei Jahren Gefängnis
bestraft wurde, weil er 30.000 chinesische Email-Adressen an
Dissidentenorganisationen im Ausland weitergegeben hatte, die diese
dann zum Versand ihrer Publikationen nutzten. Andere Dissidenten im
Inland nutzen ihre Email-Datenbanken direkt zum Versand von Artikeln.

Darüber hinaus wird von
Newsgroups, Chaträume und Diskussionsforen Gebrauch gemacht, um die
entsprechenden Informationen zu streuen und zur kritischen
Auseinandersetzung anzuregen. Dies betrifft dann nicht mehr nur
Dissidenten, sondern auch einen Teil der "normalen" Bevölkerung. Diese
Menschen suchen den Austausch mit anderen über Themen, die sie bewegen,
und so entwickelt sich das Internet zu einem wichtigen Forum zur
Meinungsbildung.

Natürlich schwebt über all dem
immer das zensierende Schwert des Staates, der nicht zögert,
einzugreifen, wenn er die Bevölkerung bei einem allzu freizügigen
Meinungsaustausch ertappt. Dennoch lässt diese Entwicklung hoffen, dass
der stete Tropfen der Kritik, der über das Internet weit herumgtragen
wird, dazu beiträgt, das diktatorische Regime in China auzuhöhlen.