Sind wir gegenüber den scheinbar allmächtigen Geheimdiensten machtlos? Der Blogger Michael Seemann meint nein und verweist auf die Chancen von Open Data und Open Source. Trotzdem erleben wir aktuell eine staatliche Neu-Interpretation der Privatsphäre. Und während deutsche E-Mail-Provider auf scheinheilige Weise suggerieren, ihre Mails wären nun vor Überwachung sicher, befassen sich andere mit der Online-Kommunikation deutscher Politiker: Doch auch da sieht es mit der Sicherheit eher schlecht aus. Ein Thema für die etablierten Zeitungen, die durch subjektiven und subversiven Journalismus auch weiterhin im digitalen Medienmarkt überleben könnten. Das und mehr in der wöchentlichen Presseschau.
Video der Woche
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Binders full of women oder Pofalla, der so ziemlich alles beendet, was nicht bei drei auf den Bäumen ist – wer kennt sie nicht, die Internet-Memes. Frontal 21 befasst mit der Entstehung und den Eigenheiten des unterhaltsamen Phänomens, das Wahlkämpfern nun schon länger das Leben schwer macht.
Game over?
Game over. Vorerst. Der Blogger Michael Seemann zieht auf seinem Blog „ctrl+verlust“ Lehren aus dem NSA-Fall: Wir hätten die Kontrolle über unsere eigenen Daten verloren, die Privatsphäre sei tot, der Datenschutz bankrott, Gegenwehr kaum mehr möglich. Denn wer mit genug Macht ausgestattet sei, werde sich über alle Regelungen hinwegsetzen um Daten zu sammeln und sie auszuwerten. Aber der Kampf gegen Überwachung müsse weiter gehen. Und zwar mithilfe von mehr Transparenz und mehr Vernetzung: Open Data und Open Source würden es dem Bürger ermöglichen, die Mächtigen besser zu kontrollieren und effektiver in die Schranken zu weisen. „Aktivistisches Big Data“, also eine intelligente Nutzung moderner Informationstechnologien zur Erfassung und Auswertung politischer Daten – das sei eine Möglichkeit, mit zivilem Selbstbewusstsein im neuen Spiel „Weltöffentlichkeit vs. Staaten“ zu bestehen.
Neuer Standard?
Unbegrenztes Sammeln von Daten ja, unbegrenzte Auswertung der Daten nein. Auf diese Formel bringt Johannes Kuhn die aktuelle Verschiebung der Privatsphäre. „Die Nachrichtendienste der USA, (…) und Großbritanniens haben uns zugesagt, dass es keine flächendeckende Datenauswertung deutscher Bürger gibt.” So zitiert Kuhn den Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in der Süddeutschen Zeitung. Dieses Statement schließe die flächendecken Sammlung von Daten allerdings explizit nicht aus. Auf diese Weise würden die digitalen Bürgerrechte einer neuen Interpretation unterzogen, die unserem bisherigen Grundverständnis von Privatsphäre – nämlich dem Schutz der eigenen Daten vor umfassender Sammlung – widersprechen. Letztendlich hänge die Gesamtinterpretation der Geheimdienst-Affäre durch die Bevölkerung davon ab, wie sehr die Bürger auf einen verantwortungsvollen Umgang der Regierung mit ihren Möglichkeiten vertrauen.
Trickserei
Geheimdienste können unsere E-Mails auch weiterhin ohne große Hindernisse mitlesen, behauptet Peter Welchering in einem Beitrag für WDR5. Und das trotz der Ankündigung von GMX, Telekom und web.de, E-Mails in Zukunft verschlüsselt zu verschicken. Der Grund: Um Zugriff auf die „transportverschlüsselten“ E-Mails zu erhalten, bedürfe es nicht mal eines Originalschlüssels, sondern lediglich eines Zertifikats, das leicht gefälscht oder von den Servern der Zertifikatsanbieter gestohlen werden könne. Geheimdienste würden sich solche Zertifikate „im nationalen Interesse“ sogar direkt von den Anbietern schicken lassen. Außerdem werden die E-Mails auch weiterhin unverschlüsselt auf den Servern der E-Mail-Provider gespeichert. Jeder, der sich Zugang zu diesen Servern verschaffe, könne die Nachrichten nach wie vor einsehen. Damit sei die neue „sichere E-Mail“ von Telekom und Co. nichts mehr als ein PR-Trick.
Giftiges Fleisch
Digitale Selbstverteidigung, Krypto-Partys, Verschlüsslung von E-Mails: Über all dies schreiben auch die etablierten Medien seit Monaten. Wie steht es damit in der Politik? Einer Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge sieht es eher mau aus, schreibt Friedhelm Geis auf golem.de. 72 Prozent aller Parlamentarier gaben an, ihre eigenen E-Mails nie zu verschlüsseln. Eine der wenigen Ausnahmen ist Katharina Nocun, die Geschäftsführerin der Piraten: „Es gibt Dinge, die würde ich auch auf Postkarten schreiben. Für alles andere nutze ich Verschlüsselung” sagte sie golem.de. Auch Friedhelm Geis plädiert in seinem Text dafür, die Verschlüsselung von E-Mails im Alltag zu nutzen. Trotzdem hat der Einwand des Grünen-Politikers Konstantin von Notz seine Berechtigung: „Das ist so, als wenn Sie den Leuten sagen: Es ist giftiges Fleisch im Umlauf, aber ihr habt ja gute Testgeräte, mit denen ihr vorher die Nahrung testen könnt.”
Zehn Jahre PirateBay – und jetzt?
Die Bit-Torrent Plattform PirateBay feiert ihren zehnten Geburtstag – trotz aller Klagen und zwischenzeitlichen Sperrungen, der sie ausgesetzt war. Für viele sei PirateBay ein Symbol der Webfreiheit geworden, in dem Gegenkultur gelebt werden könne, schreibt Loz Kaye auf „freitag.de“. Seit Bestehen der Plattform streiten Hackaktivisten mit der Entertainment-Industrie darüber, ob durch Plattformen wie Pirate Bay im engeren Sinne und Internetfreiheit im weiteren Sinne kulturelle Werte geschaffen werden, oder nicht. Mittlerweile aber sei der Kampf um PirateBay „hohl geworden“: Sperrungen könnten die Plattform nur noch kurzfristig beinträchtigen. Gleichzeitig seien immer weniger Regierungen bereit, lediglich Unternehmensinteressen mit ihrer Netzpolitik zu vertreten und würden vorgesehene Seiten-Sperrungen wieder aufheben. Es sei an der Zeit, dass nun auch die Unterhaltungsindustrie ihren Widerstand gegen den technologischen Fortschritt aufgebe und das „ermüdende Piratennarrativ“ hinter sich lasse.
Subjektiv und subversiv
Wie kann eine Zeitung im digitalen Medienmarkt überleben? Diese Frage stellt sich Miriam Meckel auf Spiegel Online. Ihre Antwort: „Mit einer Strategie der anachronistische Gegenakzente“: Das erfordere zum einem Subjektivität. Die Zeitung könne sich als Individualmedium mit eigener Meinung von der „Objektivität“ im Netz, in dem alle Trends berechnet werden, abgrenzen. Zum anderen sei die Zeitung die letzte verbliebene Schutzzone der intellektuellen Privatsphäre, ein liberales Medium der Selbstbestimmung. Und drittens verfüge die Zeitung über subversives Potenzial: „Im Umfeld der digitalen Informationsmärkte aus berechneten Präferenzen“ biete sie – beispielsweise durch kontroverse Akzente und neue Berichtsformen – ein echtes Kontrastprogramm.