Die Abmahnungen gegen Seiten, die mit Links auf andere verweisen, mehren sich. Das ist gegen die guten Sitten
des Netzes, fanden einige Studenten der MerzAkademie und übertrugen klassisch-demokratische
Protestformen ins Internet. Herausgekommen ist dabei unter anderem die Online-Demonstration.

Es gibt sie, die Synthese aus politisiertem Hacker und computerisiertem Aktivisten. Die beiden Spezies haben
sich zusammengetan, um die gute alte Demo-Tradition in zeitgemäßer Form fortzuführen. Zeitgemäß ist, dass
die Demonstranten sich nicht mehr notwendigerweise die Füße plattstehen und ihre Sit-In-Vergangenheit mit
Frostbeulen dokumentieren können, sondern die Blockaden im Internet ausüben.
www.Online-demonstrationen.org heißt die Seite,
die den zivilen Ungehorsam im Netz entwickelt hat und koordiniert. Dahinter steckt ein Semesterprojekt der
Stuttgarter MerzAkademie zum Thema
"Active Link".

Eine neu Form der demokratischen Artikulation im Netz? Alvar Freude, der das Projekt entwickelt hat, sieht
die Online-Demonstration als demokratisches Mittel für internetspezifische Anliegen. So startete die Plattform
am 29. Juni mit einem "Sit-In" auf den Seiten des Server des Justizministeriums. Ziel der Akademie-Veranstaltung
war es, "in Öffentlichkeit und Verwaltung Bewusstsein für die Funktion der Links zu schaffen, deren Nutzung
im WWW derzeit durch Gerichtsentscheidungen, Unternehmensstrategien und administrative Überlegungen
empfindlich beeinträchtigt wird." Ziel: Freedom for links!

Entgegen anderer Berichte handelt es sich bei den Online-Demonstrationen nicht um DOS-Attacken.
Alvar Freude erklärt, wodurch sich die Demonstration von "Denial of Service-Attacken" unterscheidet:
"Die Unterschied liegt auf zwei Ebenen, der ideellen und der technischen." Die Demonstration findet zunächst
einmal angekündigt statt, ist also öffentlich. Dazu kommt, das die Namen der Initiatoren und Teilnehmer bekannt
sind. Es geht nicht darum, eine Seite anonym lahm zu legen, sondern durch den Protest auf ein konkretes
Anliegen der User-Gemeinde aufmerksam zu machen. Für den Angegriffenen wird dieser Protest auch in Form
von einer Art Plakat sichtbar, die, ähnlich wie bei klassischen Demonstrationen auf der Strasse, für die Betreiber
der Seite sichtbar werden.
Die Demonstrationen sind darüber hinaus nur ein Mittel der Plattform, Protest zu artikulieren.
Ein weiteres wichtiges Instrument stellen die Online-Petitionen der Initiative dar.

Technisch liegt der Unterschied -vereinfacht ausgedrückt – darin, dass bei DOS-Attacken eine unkontrollierte
Menge Zugriffe von einer unkontrollierten, unbekannten Zahl an Rechnern erfolgt. Die Online-Demonstrationen
verlaufen aber über eine bewusste und bekannte Teilnahme. Der potentielle Demonstrant wird über die
stattfindende Aktion informiert und muss sich mit einem Namen anmelden.
Anders als bei DOS-Attacken finden die Angriffe auch nicht auf niedrige Protokollebenen statt. Die niedrigen
Protokollebenen sind nicht in der Lage, zu unterscheiden, ob der Verkehr, der auf sie trifft, sinnvoll ist, deshalb
wehren sie ihn ab. Bei massenhaftem Beschuss sind diese niedrigen Protokolle so stark mit dem Abwehren der
eintreffenden Anfragen beschäftigt, dass nichts mehr auf die höheren Protokollebenen durchdringt. In diesem Fall
kann es zu einem Denial of Service kommen. Die Online-Demonstration spricht höhere Protokollebenen z.B.
e-mail an, die "intelligenter" auf den Ansturm reagieren und gegebenenfalls Fehlermeldungen produzieren.
Denial of Service kann bei diesem System so gut wie ausgeschlossen werden.
Die Infrastruktur von User und Server, die bei DOS-Attacken – je nach Betriebssystem – in Mitleidenschaft
gezogen wird, nimmt bei den Online-Demonstrationen keinen Schaden.

Die Demonstration auf dem Server des Justizministeriums lief beispielsweise für Außenstehende nahezu
unbemerkt ab. Mit 150 Teilnehmern war sie zwar – für Internetverhältnisse – recht gut besucht, die Zugriffe
waren aber sehr langsam getaktet. Freude dazu: "Mit einem Zugriff pro Minute pro User legt man keine Server
lahm".
Letztlich ging es auch gar nicht darum. Die Demonstration sollte ein symbolischer Akt sein.
Kennzeichen der Demokratie schematisch ins Netz zu übertragen und dort mit Sinn und Leben zu füllen ist
lautet das Anliegen der Studenten aus Stuttgart. "Es gibt Situationen, da kann man eigentlich nicht außerhalb
des Netzes protestieren" meint Alvar Freude und nennt als Beispiel
die Etoy-Kampagne gegen den
Spielzeugvertreiber e-toys Anfang des Jahres: "Wo hätte man denn gegen eine E-Commerce Firma
sinnvoller protestieren können, als im Netz selbst?"

Auch die Freiheit der Links ist ein netzspezifisches Thema, dessen Problematik am besten im Netz selbst "demonstriert" wird.
Leider ist die Politik noch nicht auf allen Ebenen so weit, den Online-Protest für voll zu nehmen. Deswegen
verhandeln die Betreiber der Plattform der Merz Akademie auch ganz real mit dem Justizmininsterium.
Schon alleine deshalb, um sich nach den Terrorismus-Vorwürfen klar vor Verdächtigungen zu schützen.
"Viele Leute haben überhaupt nicht verstanden, was wir eigentlich machen" bedauert Freude, der sich –
das Projekt schlug hohe emotionale Wellen – Bezeichnungen wie Stalin oder KluKluxKlan gefallen lassen musste.
Falls jedoch das Ministerium den Unterschriftenlisten gegenüber taub bleiben sollte,
wird es eine neue Demonstration gegen die Link-Abmahnungen geben. Die Taktung der Server-Angriffe, so deutet Freude an,
kann intensiviert werden …