Immer wieder heißt es, Berlin sei ein attraktiver Standort für internationale Startups. Doch bevor junge Unternehmen sich in der Hauptstadt niederlassen, müssen sie so einige Hürden nehmen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ist gefordert, die Bedingungen für junge Firmengründer zu verbessern.
“Im Notfall hilft nur noch ziviler Ungehorsam!” Was wie ein Akt der Verzweiflung klingt, ist das Fazit eines Mitarbeiters in einem Berliner Startup auf die Frage, wie denn die Politik dazu bewegt werden könne, sich endlich der digitalen Kreativwirtschaft in der Bundeshauptstadt anzunehmen. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren zu einer internationalen Hochburg für junge Unternehmen entwickelt, die dank des Internet global agieren. Diese Entwicklung geschah vor allem trotz der Politik und nicht wegen ihr.
Denn so global das Geschäftsfeld ist, so lokal sind die Probleme. Das fängt in Berlin schon in den Bezirken an. Im Land der Dichter und Denker fehlt es vor allem an jungen Entwicklern, weshalb sich das Rekrutieren neuer Mitarbeiter zur zunächst wichtigsten Aufgabe in einem Startup-Unternehmen entwickelt hat, unabhängig vom jeweiligen Kerngeschäft. Nicht selten müssen junge Talente aus Ländern wie Brasilien, Bangladesch oder Indonesien angeworben werden. Diese sehen sich dann in der deutschen Hauptstadt einer Verwaltung gegenüber, die kaum Fremdsprachen beherrscht und sich aufgrund bürokratischer Hürden zu einem wahren Verhinderer von Entwicklung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweist. So scheitern viele ausländische Interessenten – ganz banal –an Formularen in Fremdsprachen.
Hinzu kommt, dass zum Beispiel die Wohnungssuche oder das Eröffnen eines Bankkontos sich auch in einer weltoffenen Stadt wie Berlin im Jahr 2012 zu einer Herkulesaufgabe für Menschen aus fremden Kulturkreisen und ohne Sprachkenntnisse werden kann. Ein Ansprechpartner, der sich schnell und unproblematisch den Problemen der von den Startups benötigten Neu-Berliner annimmt, fehlt in Berlin. Die Berliner Verwaltung sei noch nicht ausländerfreundlich genug, fasste Pawel Chudzinski von dem Investor Point Nine Capital, der sich vor allem auf die Unterstützung von jungen Unternehmen aus dem Technologiebereich konzentriert ,die Kritik gegenüber dem Debatten-Magazin “The European” zusammen.
Neben den Einstellungsproblemen von sogenannten High-Level Experts fehlt es aber vor allem auch an einem digitalen Proletariat. Startups müssen vom ersten Tag an reibungslos arbeiten können, damit ihr Angebot funktioniert und den hohen Ansprüchen der Kunden gerecht wird. Jungfirmen mit drei Freunden in der Garage gehören der Vergangenheit an, doch um den gesteigerten Arbeitsaufwand optimal zu bewältigen, bedarf es größerer Kapazitäten an gut ausgebildeten Arbeitnehmern. Diese müssen und sollen vor allem nicht immer studiert sein, sondern grundlegende Aufgaben in einem Unternehmen selbstständig bewältigen können.
Arbeitgeber in Startups können es sich nicht leisten, in Schulungen die Bedienung von Mailprogrammen oder Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung erst noch erklären zu müssen. Die Entwicklung neuer Ausbildungskonzepte und eines Lehrplans für das 21. Jahrhundert sind offene Aufgaben der Berliner Senatsverwaltung. Dazu kommt, dass sogenannte 400-Euro-Jobs sehr bürokratisch gestaltet sind, aber Festanstellungen bei einem anfangs meist niedrigen Ausbildungsstand ein zu hohes Risiko für die Unternehmen darstellen können. Die Folge ist, selbst bei engagierten Startups, dass vor allem Praktikanten und Freelancer tätig sind. Diese Lösung sollte nicht im Sinne der Stadt sein.
Die beiden genannten Probleme – eine nicht-internationale Verwaltung und der niedrige Ausbildungsstand potenzieller Mitarbeiter – sind zwei hausgemachte Probleme der Stadt, um die das Rote Rathaus sich kümmern sollte, wenn es denn das selbst gesteckte Ziel, Berlin zu einem Silicon Valley an der Spree zu entwickeln, erreichen will. Bisher hat sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in dieser Angelegenheit jedoch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Im Februar 2012 schrieb Christian Reber, Gründer und CEO des Berliner Startups 6Wunderkinder, eine E-Mail an den Chef der Berliner Senatskanzlei Björn Böhning und an Klaus Wowereits persönlichen Referenten Falk Branzke. Darin bat er um einen Termin mit Wowereit, um ihm Einblick in die digitale Kreativwirtschaft Berlins zu geben. Das Rote Rathaus lehnte ab, angeblich weil es dem Regierenden Bürgermeister laut Koalitionsvertrag nicht erlaubt ist, sich mit Unternehmen zu treffen, wenn diese nicht zuvor Kontakt mit dem Wirtschaftssenat aufgenommen haben. Woran auch immer es lag, Reber war brüskiert, und der Ärger war erst einmal da. Seither versuchen Politiker, die in der Webbranche angesehen sind wie der Staatssekretär Nicolas Zimmer aus der Senatsverwaltung für Wirtschaft, den Berliner Senat für die Bedürfnisse der Startups und ihre Bedeutung für die Stadt zu sensibilisieren.
Startups sind aber nicht nur eine einmalige Chance für die Hauptstadt Berlin, neben dem Prestigegewinn auch an Wirtschaftskraft zuzulegen, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland von enormer Bedeutung. Was Berlin hier entwickeln kann, könnte ein Konzept für die gesamte Republik sein. Die digitale Kreativwirtschaft in all ihren verschiedenen Facetten könnte sich von einer Wirtschaftsnische zum Arbeitgeber der Zukunft entwickeln. Umso wichtiger ist es, dass in Berlin erste entscheidende Grundlagen geschaffen werden. Alexander Görlach, der Gründer, Herausgeber und Chefredakteur des Magazins “The European”, beschreibt die Entwicklung der Wirtschaft wie folgt: “Der digitale Wandel erfasst alle Industrien, seien sie Teil der klassischen Wirtschaft oder der Online-Industrie. Ob Medienbetrieb, Schuhhandel oder Lieferservice: Der digitale Wandel ändert alte Industrien und zwingt auch die neuen zur steten Optimierung ihrer Geschäftsmodelle. Wenn klassische Wirtschaft und neue Ökonomie lernen, dem Wandel gemeinsam zu begegnen, ist das ein großer Gewinn für die deutsche Wirtschaft und für die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen.”
Das Bewusstsein für die Möglichkeiten muss sich jetzt ändern, denn der Weg ist noch weit. Rund 80 Prozente der Gesetze, die Startups betreffen, sind Bundesgesetze, also außerhalb der Landeskompetenz und damit auch nicht unmittelbar in Wowereits Einflussbereich. Doch wenn Berlin weiterhin ein Anziehungspunkt für Startups bleiben möchte, dann muss zuallererst mehr von der lokalen Politik kommen. Diese sollte die Gründerszene also nicht mehr wie bisher übersehen, sondern sollte sich aktiv mit ihr beschäftigen. Die bisherigen Treffen der Politik mit Startups wirkten meist unkoordiniert, die Auswahl der Gesprächspartner merkwürdig und nicht immer nachvollziehbar für die Branche.
Mit dem Bundesverband Deutsche Startups e.V. hat sich im September 2012 die erste politische Interessenvertretung gegründet, die Ansprechpartner für Politik wie Startups in Deutschland sein will. Am Dienstag übergab er dem Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler ein selbst formuliertes “Startup Manifesto“, mit dem der Bundesverband sich gegen die Empfehlung des Bundesrates zum Jahressteuergesetz 2013 ausspricht. Wenn, wie vorgeschlagen, Streubesitzanteile, also Beteiligungen unter zehn Prozent, fortan umfangreich besteuert werden, würde dies vor allem Startups schwer in ihrer Entwicklung treffen.
Wowereit will sich mit lokalen Startups noch in diesem Herbst treffen. Ob dabei etwas herauskommt, ist ungewiss. Die Berliner Startups wissen aber schon ganz genau, was sie wollen. Neben einem verbesserten Stadtmarketing, das dringend benötigte Investoren für die Wachstumsfinanzierung in die Stadt holen soll, müssen vor allem bürokratische Hürden bei der Einstellung von internationalen Mitarbeitern abgebaut und zukunftsfähige Konzepte entwickelt werden, um das Ausbildungsdefizit zu verringern und die Berliner Startups auch global wettbewerbsfähig zu machen. Der Ball liegt in Wowereits Feld, der nach dem Flughafendebakel auch ein persönliches Erfolgserlebnis braucht. Mit einer sinnvollen und effektiven Unterstützung der digitalen Kreativwirtschaft könnte ihm das gelingen.
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