FlaschenhalsDie wertneutrale Übertragung  von Daten im Internet: Ein Thema, das bisher vor allem unter Eliten und je nach Staat mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung diskutiert wird. Während sich die Debatte in den USA vor allem um innovationspolitische Aspekte dreht, ist die deutsche Diskussion über den „künstlichen Flaschenhals im Internet“ deutlich normativer aufgeladen. So das Ergebnis einer Studie zum Thema Netzneutralität von Miriam Meckel. Vergangenen Freitag wurde die Studie in Berlin vorgestellt.
In den deutschen Medien war sie erst vor kurzem Gegenstand heißer Debatten: die Netzneutralität. Die Pläne der Telekom, ab 2016 die Bandbreite ihrer Kunden zu drosseln, wenn diese ein bestimmtes monatliches Datenvolumen überschritten haben, führten zu massiven Protesten und einer Online-Petition, die dazu aufrief, Internetanbieter zur Netzneutralität  zu verpflichten. Miriam Meckel, Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität St. Gallen, hat sich nun aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Prinzip der Netzneutralität befasst. Im Auftrag von E-Plus hat sie gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern eine Studie zum Diskurs der Netzneutralität in unterschiedlichen Ländern sowie auf EU- und internationaler Ebene erstellt. Die Ergebnisse ihrer Studie präsentierte sie am vergangenen Freitag im Berliner BASE_camp.
Gleich vorneweg: Netzneutralität ist nach wie vor ein Elitenthema, wie Meckel in ihrem Vortrag betonte. Bisher wird das Thema, von kurzen Phasen der Aufmerksamkeit abgesehen, kaum in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Und auch für Interessierte sind das Prinzip der Netzneutralität und die Ideen dahinter nach wie vor „Neuland“.  Auch deshalb besteht bislang noch keine allgemeingültige Definition von Netzneutralität. Im Gegenteil: Schon allein innerhalb der länderspezifischen Diskurse wird der Begriff höchst unterschiedlich wahrgenommen. Meckel hat sich trotz allem an eine Begriffsbestimmung gewagt und beschreibt den Terminus in ihrer Studie wie folgt: „Netzneutralität ist ein Prinzip der Telekommunikationsregulierung. Sie schreibt die Gleichbehandlung aller Arten von Daten vor.“ Aus Sicht des Endnutzers bezeichne das Prinzip den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Diensten, während es auch Sicht des Anbieters um die diskriminierungsfreie Übermittlung der Information gehe.
Seit Anfang der 2000er Jahre debattieren Befürworter und Gegner die Vor- und Nachteile einer gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität. Und dabei ist es die jeweilige politische Kultur, die den Diskurs prägt, so eine entscheidende Erkenntnis der Studie: Während sich beispielsweise die USA in ihrer Diskussion insbesondere auf wirtschafts- und innovationspolitische Belange konzentriere,  werde die Debatte in Deutschland differenzierter und offener geführt: Neben den wirtschaftlichen Aspekten spielten hierzulande auch die Themenbereiche  „Freiheitsrechte“ und „Zwei-Klassen-Internet“ eine wichtige Rolle. Eine weitere entscheidende Erkenntnis: Bislang gelingt es weltweit keiner Akteursgruppe, den Diskurs nachhaltig in ihrem Sinne zu beeinflussen – auch nicht den Netzaktivisten und Bloggern.
Aber wer sind überhaupt die relevanten Akteure auf diesem Themengebiet? In Deutschland ist es eine sehr heterogene Gruppe. So spielen neben Bloggern auch Politiker, Journalisten und verschiedene Interessenvertreter, beispielsweise Infrastrukturproduzenten, eine Rolle. Provider-Unternehmen hingegen üben sich – das gilt für die meisten Staaten – in Zurückhaltung. Denn gerade in Deutschland birgt die offene Unterstützung von Datendrosselungen oder Verfahren zur Filterung von Daten ein erhebliches Reputationsrisiko. Generell aber flammt die Debatte in den meisten Staaten ohnehin nur dann auf, wenn ein spezieller Fall, zum Beispiel der Vorstoß eines Providers, eine Behörde zur Reaktion zwingt. Formelle Regulierungen folgen dann zwar beizeiten. Letztlich aber verschwindet die Debatte danach rasch wieder aus den etablierten Medien. Umfassende gesetzliche Regelungen zur Netzneutralität finden sich bis heute nur in Chile, den Niederlanden und Slowenien, wo Ende 2012 das bisher strengste Gesetz für ein offenes und neutrales Internet verabschiedet wurde.

Ausblick: Staat oder Markt?

In den meisten anderen Staaten aber bleiben die grundlegenden Fragen unbeantwortet: Soll der Markt oder der Staat über das Anliegen der Netzneutralität entscheiden? Sollten also Internet-Dienstanbieter per Gesetz zur Einhaltung der Netzneutralität gezwungen werden? Und wer soll die nötige Erweiterung der Netzinfrastruktur finanzieren? Muss die Content-Industrie am Ausbau beteiligt werden? Und eine weitere Konfliktlinie zeichnet sich immer stärker ab: Zwar ermöglicht eine strikte Netzneutralität es dem Endnutzer, sein Recht auf Meinungsfreiheit und den ungehinderten Zugang zu Informationen wahrzunehmen. Damit aber steht sie in starkem Konflikt mit der unternehmerischen Freiheit der Netzwerk-Betreiber.
Auch deshalb rechnet Meckel nicht damit, dass die Netzneutralität in Deutschland in ihrer reinsten Form gesetzlich verankert werden wird. Wahrscheinlicher erscheint ihr eine Rechtsetzung, die dem umstrittenen Entwurf der Europäischen Kommission folgt, in dem der Begriff Netzneutralität weiter gefasst wird und den Netzwerk-Providern gewisse Freiheiten gewährt werden.
Die Frage nach „Staat oder Markt“ war auch eines der zentralen Themen in der anschließenden Podiumsdiskussion. Dort diskutierte Miriam Meckel mit Thomas Fetzer von der Universität Mannheim und Matthias Kammer, dem Direktor des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet. Fetzer warnte vor einer Überregulierung durch den Staat, die das Innovationspotenzial des Internets beschränken könnte.
Ohnehin bergen die unterschiedlichen Regulierungen innerhalb der EU die Gefahr einer Fragmentierung des digitalen Binnenmarkts, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Eine solche würde mittelfristig auch Auswirkungen auf den Diskurs in Deutschland haben. Außerdem werden voraussichtlich zwei weitere aktuelle Entwicklungen insbesondere die deutsche Debatte rund um die Netzneutralität färben: An die Stelle der „Quality of Service“ rückt zunehmend die „Quality of Experience“. Damit stehen nicht mehr die Service-Provider, sondern mehr und mehr der einzelnen Nutzer im Fokus der Diskussion. Und auch der Umgang mit den Internet-Providern selbst wird zunehmend Gegenstand von Debatten: In Europa würden verstärkt Stimmen laut, die unter Verweis auf das Datenverkehrsaufkommmen aus den USA eine stärkere Besteuerung der amerikanischen Internet-Dienstleister fordern, berichtete Meckel.
Meckel beendete den Abend mit weit grundsätzlicheren Überlegungen: Da unsere Alltagspraxis zunehmend digitalisiert werde, müssten zunächst elementare Fragen geklärt werden: Wer soll in welcher Form partizipieren? Ist das Internet ein Allgemeingut? Welchen Zugang wollen wir für wen schaffen? Grundsätzlich bestünden gerade auf dem Gebiet der Netzneutralität noch Chancen für einzelne Länder, Vorreiter in diesem Themenbereich zu werden. Sie sei, so Meckel, „mittelstark hoffnungsfroh, dass das in Deutschland passiert.“ In ihren abschließenden Worten gab sie der Hoffnung auf die Bewahrung eines freien Internets Ausdruck – und zwar mit einem Zitat von Tim Berners-Lee, einem der Gründer des World Wide Web: “Freedom of connection with any application to any party is the fundamental social basis of the internet. And now, is the basis of the society built on the internet.”
 
Bilder: André icatus, (CC BY-NC-ND 2.0)
CC-Lizenz-630x110