In knapp zwei Wochen wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Aktuelle Umfragen deuten auf einen Regierungswechsel in Hannover hin. Zusätzliche Bedeutung erhält die Wahl durch die sich möglicherweise verschiebenden Machtverhältnisse im Bundesrat, außerdem könnte die neue Sitzverteilung im Leineschloss als Fingerzeig für die Bundestagswahl im Herbst 2013 interpretiert werden. In einer Artikelreihe beleuchten wir das netzpolitische Wahlprogramm der Parteien: Wer ist wofür? Wer ist wogegen? Welche Themen werden nicht erwähnt?
Die Netzpolitik hat es in das Wahlprogramm der SPD Niedersachsen mit drei großen Blöcken geschafft: Bildung, Wirtschaft und Verwaltung. Klassische Politikfelder, in denen der digitale Wandel von der Politik meist ignoriert wurde. Die Genoss_innen zwischen Weser und Elbe allerdings haben sich der Bedeutung entsprechend ausführlich mit netzpolitischen Themen auseinander gesetzt und doch manches vergessen.
Medienwandel in der Schule
Die netzpolitischen Fragen im Bildungsbereich nehmen einen größeren Platz im Wahlprogramm der niedersächsischen Sozialdemokrat_innen ein. Auf dem Papier beweist die SPD, dass sie sich hier mit den aktuellen Diskussionen beschäftigt hat. Der Medienwandel, der auch in den Klassenzimmern stattfindet, führt nicht etwa zu populistischen Forderungen, wie etwa nach einem Tablet pro Schulkind, sondern konzentriert sich vor allem auf die fachgerechte Vermittlung von Medienkompetenz, die für die SPD eine “Schlüsselqualifikation für digitale Teilhabe” darstellt.
Bildungspolitik wird hier zeitgemäß gedacht und versucht nicht “zu verhindern, was nicht zu verhindern ist – sondern einen aufgeklärten, verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Medien” zu vermitteln. Sehr aufgeschlossen begreift die SPD, dass eine ausgeprägte Medienkompetenz “im Internet den besten Schutz vor kinder- und jugendgefährdenden Inhalten” bietet. Der Umgang mit den neuen Medien soll deshalb möglichst früh “an den Schulen durch fächer- und jahrgangsübergreifende Medienbildung zum verbindlichen Unterrichtsthema werden”.
Dafür sollen medienpolitische Inhalte fester Bestandteil einer pädagogischen Ausbildung von Lehrer_innen werden, damit die Kinder auch fachgerecht unterrichtet werden und die Möglichkeiten digitalisierter Lernmaterialien genutzt werden. Die SPD spricht sich hier für den Einsatz von analogen wie auch digitalen Lernmaterialien aus, “die als offene Lizenzen von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern genutzt werden können”. Mit dem Einsatz offener und freier Lizenzen können restriktive Regelungen des Urheberrechts ohne eine Gesetzesreform heute schon umgangen werden.
Gesellschaftliche Teilhabe durch Zugang zum schnellen Internet
Eines der Wahlversprechen der SPD richtet sich vor allem an die niedersächsische Wirtschaft, ist aber zugleich als sozialer Programmpunkt im Wahlprogramm aufgenommen. Für die SPD ist “die landesweite Grundversorgung mit schnellem Internet Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge”. Eine “gesellschaftliche Teilhabe ohne Zugang zum schnellen ist Internet heute beinahe undenkbar”, weshalb die SPD sich für “flächendeckende Grundversorgung mit schnellen breitbandigen Internetverbindungen” einsetzt.
Dieser durchaus als soziale Leistung zu verstehender Punkt ist in Wirklichkeit klassische Wirtschafts- und Strukturförderung, wie sie besonders in Flächenstaaten wie Niedersachsen lange verschlafen wurde. Ziel ist es, genau wie es in der “Digitalen Agenda” der Europäischen Kommission formuliert ist, bis 2020 die Hälfte der Einwohner mit einer Bandbreite von bis zu 100 Mbit/s zu versorgen. Dies soll durch ein Kompetenzzentrum erreicht werden, in dem Kommunen, Stadtwerke sowie Vertreter_innen von Wirtschaft und Gesellschaft miteinander den Breitbandausbau planen.
Sollte dies nicht funktionieren, denkt die SPD über die Anwendung einer Universalverpflichtung nach, ähnlich wie beim Telefonnetz. Durch § 78 des Telekommunikationsgesetzes ist der Zugang zu öffentlich zugänglichen Telefondiensten ohne eine Form der Diskriminierung ein Mindestangebot an Diensten für die Öffentlichkeit. Da wettbewerbliche Lösungen wegen der wirtschaftlich nicht lukrativen Zielsetzung von 100 Mbit/s kaum denkbar sind, wäre es besser, wenn die SPD die Idee einer Universalverpflichtung nicht nur als Alternative nennen, sondern gleich stärker fordern würde.
Ein Informationsfreiheitsgesetz für Niedersachsen
Die SPD Niedersachsen will einen informatorischen Kulturwandel herbeiführen – weg vom Amtsgeheimnis, hin zur offenen Verwaltung. Inspirieren lassen haben sich die Genoss_innen dabei von der “Europäischen Bürgerinitiative”, die “als digitales Angebot zur Bürgerbeteiligung an der EU-Politikgesstaltung” beispielgebend ist. Geplant ist, dass durch “Open-Data”– und “Open-Source”-Modelle staatliche Daten offen zugänglich und das Verwaltungshandeln transparent gemacht wird. Die SPD will sich deshalb in Regierungsverantwortung für ein niedersächsisches Informationsfreiheitsgesetz nach dem Vorbild der elf Bundesländer einsetzen, die bereits eines besitzen.
Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung will die SPD eine E-Government-Strategie erarbeiten, die Transparenz, Bürgernähe und Partizipation in den Mittelpunkt stellt. Beim Thema Datenschutz plädiert die SPD für neue Regelungen, die zwar die “unübersehbar vielfältigen
Verbindungen von öffentlich zugänglichen und personenbezogenen Daten” im Interesse der Bürger_innen ermöglichen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber nicht vernachlässigen. Der Schutz der Persönlichkeit und der persönlichen Daten im Internet ist für die SPD jederzeit zu gewährleisten. Als Landesregierung plant die SPD im Bundesrat eine Initiative für weitergehenden Datenschutz für Beschäftigte.
Was nicht im Wahlprogramm steht
Interessant ist auch immer, was nicht in einem Wahlprogramm steht. Ein Thema, dass die SPD in der Vergangenheit immer beschäftigte, war die Vorratsdatenspeicherung. Von Netzpolitiker_innen der Partei abgelehnt, fordern es besonders die Innenminister_innen der SPD-geführten Länder. Erst im Sommer letzten Jahres scheiterte ein von einem niedersächsischen Basismitglied (inzwischen nicht mehr SPD-Mitglied) gestartetes Mitgliederbegehren, dass die SPD zu einem Nein zur Vorratsdatenspeicherung bringen sollte. Im Regierungsprogramm findet sich das Thema innere Sicherheit überhaupt nicht, weshalb unklar ist, womit bei einem SPD-geführten Innenministerium zu rechnen ist.
Das Thema Urheberrecht ist nicht unbedingt ein Landesthema und mit dem Einsatz unter offenen Lizenzen stehender Lehrmaterialien, hat die SPD einen vielversprechenden Weg gefunden, auch ohne eine breite Reform des Urheberrechts die Möglichkeiten des digitalen Wandels zu nutzen. Wenn aber das Wahlversprechen abgegeben wird, sich für “eine Modernisierung des Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft” einzusetzen, kann mehr erwartet werden als sich nur für einen Interessenausgleich zwischen Kreativen, Urheber_innen und den Nutzer_innen stark zu machen. Hier wären konkrete Aussagen interessant gewesen.
Auch zur Störerhaftung bei WLAN-Betreiber_innen schweigt die SPD Niedersachsen, obwohl dieses Thema von den Genoss_innen aus Berlin und Hamburg als Initiative in den Bundesrat eingebracht wurde. Wie die Digitalisierung zum Erhalt des niedersächsischen Kulturerbes genutzt werden kann, wie Bibliotheken, Museen und Archive auf das 21. Jahrhundert nachträglich vorbereitet werden, wird leider auch nicht gesagt.
Fazit
Die SPD in Niedersachsen begreift Netzpolitik als das, was es ist – ein Querschnittthema. Dementsprechend oft ziehen sich netzpolitische Themen durch das Wahlprogramm der Sozialdemokrat_innen, dass leider nur in einem PDF-Dokument vorgelegt wird. Andere Parteien haben neben Inhalten auch auf das Äußere ihrer Programmatik geachtet und vor allem für den besseren Zugang gesorgt.
Mit den Themen Bildung, Urheberrecht, Breitbandausbau, Open Data und Datenschutz werden wesentliche Punkte einer modernen Netzpolitik behandelt. Kritisch zu hinterfragen bleibt das Fehlen von Aussagen zu polizei- und nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Internet und konkrete Ideen, wie eine Modernisierung des Landes erreicht werden soll.
Im Fazit ist festzustellen, dass Netzpolitik in der SPD als wichtiges Thema erkannt und sich ordentlich damit beschäftigt wurde. Zwar fehlt es oft noch an Innovation und politischen Mut, aber der Bedeutung des Themas entsprechend ist aus netzpolitischer Sicht ein solides Wahlprogramm vorgelegt wurden.
Disclosure: Der Autor ist neben seiner Tätigkeit als Blogger und Journalist auch Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen Berlin.
Hier finden Sie das Programm der Piratenpartei im Netzpolitik-Test.
Hier finden Sie das Programm von Bündnis 90 / Die Grünen im Netzpolitik-Test.
Hier finden Sie das Programm der FDP im Netzpolitik-Test.
Hier finden Sie das Programm der CDU im Netzpolitik-Test.
Hier finden Sie das Programm von DIE LINKE. im Netzpolitik-Test.
Hallo –
danke für die kritische Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen!
Die SPD bietet ihr Wahlprogramm durchaus auch als HTML und nicht nur als PDF an – und zwar hier: http://www.entdecke-niedersachsen.de/regierungsprogramm/
Die Kurzversion gibt es zudem auch als Audioversion und verschiedenen Sprachen!
Auch eine Version in leichter Sprache ist erhältlich.
Beste Grüße,
Jonathan Gauß
Vielen Dank für das Lob und den Hinweis. Die Seite war mir wirklich nicht bekannt. Bei der Suche mit einer Suchmaschine finde ich auch erst auf Seite 3 einen Eintrag zu den Suchbegriffen “SPD Niedersachsen Wahlprogramm” und auch das ist nur eine PDF.
Unter der Rubrik “Landtagswahl 2013” auf http://www.spdnds.de findet sich ein Hinweis zu dem Link auch nur mit der Bemerkung, dass dort das Regierungsprogramm kommentiert werden kann.
Auf Politik-Digital.de hat Germar Molter sich gestern mit den Internetauftritten der Parteien beschäftigt und auf die verschiedenen Versionen des Wahlprogramms und die Seite “Entdecke Niedersachsen” hingewiesen.