Zwischen den Bundespräsidentschaftswahlen und der Europawahl ist sie doch ein wenig untergegangen,
die "richtig wichtige" Wahl zur Vertreterversammlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA): und
dabei gab sich die "Sozialwahl" bisweilen ein ganzes Stück digitaler als die beiden
großen Konkurrenzveranstaltungen – die Mitglieder der Techniker Krankenkasse durften sogar digital zur
Wahlurne schreiten.
Mit einer umfangreichen Informationsinitiative wurde seit Anfang März darauf hingewiesen, daß immerhin
47 Millionen Wahlberechtigte ihre Vertreter für die Selbstverwaltung bei der BfA sowie einem halben
Dutzend Ersatzkassen wählen konnten – und, für viele noch wichtiger: was die gewählten Repräsentanten
denn eigentlich tun. Im Rahmen dieser Wahl-Kampagne der besonderen Art spielte das Internet keine
unerhebliche Rolle – so ist unter www.sozialwahl.de eine
detaillierte Info-Site entstanden, die eine sehr ausführliche Vorstellung des Konzepts der Sozialwahl
liefert. Im besten Sinne einer Wählerbildung wird hier über Geschichte und Hintergründe informiert, das
Wahlverfahren erläutert und ausführliche Materialien zum Thema Sozialwesen angeboten.
Ähnliche Angebote unterhalten auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
und beteiligte Krankenkassen wie die Deutsche
Angestellen Krankenkasse, die
Barmer Ersatzkasse oder die Kaufmännische Krankenkasse,
die neben allgemeinen Materialsammlungen auch ihre Kandidaten und Listen vorstellen.
Gar noch einen Schritt weiter ging die Techniker Krankenkasse – auf
ihrer Web-Site befindet sich der Eingang in ein virtuelle Wahllokal: wahlberechtigte Mitglieder der Krankenkasse
können am einem Online-Wahlspiel teilnehmen und dabei eine Reise gewinnen. Dabei handelte es sich
allerdings nicht nur um einen werbewirksamen Internet-Event, denn die digitale Stimmabgabe ist Teil eines
ambitionierten Forschungsprojektes, das im Verbund mit der Universität Osnabrück, dem Deutschen
Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie dem Bundeswirtschaftsministerium durchgeführt wurde.
Untersucht werden sollte vor allem, "ob das Internet in Zukunft für Wahlzwecke genutzt werden kann". Laut
Ankündigungstext scheinen die Vorteile offensichtlich: "Neben dem Urnengang und der Briefwahl könnte
das elektronische Votum eventuell eine zusätzliche Möglichkeit bieten, vom demokratischen Stimmrecht
Gebrauch zu machen." Umgesetzt wurde das Wahlspiel unter Federführung der "Forschungsgruppe Internetwahlen",
die sich inzwischen unter www.i-vote.de niedergelassen hat. Die Osnabrücker Gruppe
um den Soziologen Dieter Otten sammelte erste Erfahrungen auf dem Gebiet elektronischen Wählens im Zuge
der letztjährigen Bundestagswahl: im virtuellen Wahlkreis 329 wurde
ein ähnliches Verfahren zur Simulation des Briefwahlvorganges erprobt.
Im Zentrum des Forschungsinteresses steht die Entwicklung eines "sicheren" Online-Wahlverfahrens,
das das alte Ideal demokratischer Stimmabgabe gewährleisten soll: "one user – one vote".
Eine tragende Rolle spielt dabei die ordnungsgemäße Vergabe geschützer Transaktionsnummern (TAN),
die den einwandfreien und unmanipulierbaren Zugang zum digitalen Wahllokal regeln sollen.
Das Prozedere ist dem Online-Banking entlehnt – vor jeder Stimmabgabe wird bei der Wahlregistrierung
je Versicherungsnummer eine TAN vergeben, anhand der jeder Wahlvorgang überprüft werden kann.
Eine mehrfache Stimmabgabe wird ausgeschlossen und der digitale Teil des Wahlaktes bleibt einigermassen
kontrollierbar.
Gegen analoge Manipulationsversuche ist das Kontrollsystem natürlich machtlos: stattet man sich zuvor mit
zusätzlichen Versichertennummern (etwa aus dem Bekanntenkreis) aus, ist das muntere Abstimmen ohne weiteres
möglich. Nun ist bei der Sozialwahl zwar nicht mit massiven Betrugsversuchen zu rechnen (etwa von
Angestellten einer Arztpraxis, die sich in der Patientenkartei bedienen könnten), aber die
Angriffsfläche ist klar bestimmt. Die zur Anmeldung benötigten "persönlichen" Identifizierungsdaten
stellen die Schwachstelle von Online-Wahlen dar. Endgültig beheben läßt sich dieses Manko
wahrscheinlich erst durch "biologische" Anmeldekriterien wie Fingerabdrücke oder
Netzhautmuster – doch danach verlangen auch die herkömlichen Briefwahlunterlagen nicht.
Zur Anforderung und zum Ausfüllen der Europawahlunterlagen reicht schließlich noch immer
die hochgradig fälschungsanfällige Unterschrift aus.
Aus dieser Perspektive scheint die digitale Stimmabgabe tatsächlich kurz vor der Serienreife zu
stehen – das hätten sich die Auguren der "elektronischen Republik" (Lawrence Grossman) noch vor
wenigen Jahren kaum träumen lassen. Doch scheint es mittlerweile einfacher, eine Online-Entsprechung
für den eher mechanistischen (Brief-)Wahlakt zu konstruieren, als die häufig unscharfen, oft unfertigen
und stets komplexen Verhandlungsprozesse, die für die Sphäre des Politischen charakteristisch sind,
in die digitale Datenwelt zu übertragen.
In der virtuellen Wahlkabine. Ein Selbstversuch.
Für den Zeitraum vom 3. bis 26. Mai hatte die Techniker Krankenkasse
in einem eigenständigen Bereich ihrer Web-Site ein virtuelles Wahllokal eröffnet. Dort wurden
zunächst die Regeln für das Wahlspiel
erläutert. Im Rahmen der noch recht aufwendigen Prozedur wurde der surfenden Wählerschaft nach
Eingabe von Name und Versichertennummer zunächst einmal eine Transaktionsnummer (TAN) zugewiesen.
Diese 22stellige Buchstabenkombination stellt den Schlüssel für das gesicherte Wahlverfahren dar.
Vor dem Weiterklicken zur Wahlkabine stehen drei Möglichkeiten: die Zeichenfolge auswendig lernen
(zu aufwendig), abschreiben (zu analog) oder per "cut & paste" in die Zwischenablage
verfrachten und in der Wahlkabine wieder einfügen. Wenn schon digital wählen, dann aber richtig:
Nach dem Druck der Tastenkombination STRG + C ist die Zugangsberechtigung zum in Osnabrück stationierten
Wahlserver erstmal gesichert.
Nach kurzer Wartezeit grüßt der "Sicherheits-Server der Universität Osnabrück". Willkommen in der
digitalen Wahlkabine. Die erste Überraschung – auf dem Bildschirm taucht ein knallroter Wahlbriefumschlag
auf. Im Innern stecken angeblich die Wahlunterlagen, durch "Anklicken des Doppelpfeils" soll
der Umschlag geöffnet werden. Leider ist weit und breit kein Doppelpfeil in Sicht – zum ersten Mal
herrscht Ratlosigkeit. Wo sind hier eigentlich die Wahlhelfer? Auf der bannerartigen Abbildung
des "i-vote-Teams" sind zwar einige Wahlforscher abgebildet, aber Hilfe ist von ihnen im
Augenblick nicht zu erwarten.
Uff, nur ein Ladefehler. Der schon leicht verzweifelte Mausklick auf den Reload-Button hat die
Seite erneut aufgebaut: nun ist der Doppelpfeil sichtbar und weist den Weg zur Stimmabgabe.
Gerade nochmal gutgegangen. Als nächstes erscheint der
Stimmzettel auf dem Bildschirm, eine simple HTML-Tabelle im frostigen technikerkrankenkassenblau.
Auch wenn das ganze optisch nahezu identisch mit dem analogen Stimmzettel ist, fällt ein neues
feature der Digitalwahl direkt ins Auge: in der Spalte "Kennwort der Vorschlagsliste" sind die
Namen der Listen als Hyperlink dargestellt – somit ist also noch in der Wahlkabine eine Information
über die Kandidaten möglich. Doch Obacht – die Infos öffnen sich in einem eigenen Browserfenster,
das könnte weniger geübte Nutzerinnen und Nutzer irritieren (aber wagen die sich überhaupt ins
virtuelle Wahllokal?). Diesmal sind die Wahlhelfer allerdings zur Stelle, ein kurzer Anleitungstext weist
auf diese Besonderheit hin und gibt Tips für das weitere Vorgehen.
Nach letztmaliger Information ist nun das vielzitierte "Kreuzchen" an der Reihe – bei der Online-Stimmabgabe
ist daraus allerdings ein "Radio-Button" geworden (sagt zumindest der Anleitungstext). Zudem ist
hier das Verwählen erlaubt – die Anwahl einer neuen Liste überschreibt automatisch die vorhergehende Entscheidung.
Neu ist auch die "Weißwahl" in der untersten Tabellenzeile des Wahlzettels, offenbar die neue
Form der Stimmenthaltung. Eine Begründung für diese Option fehlt allerdings, denn auf dem "traditionellen"
Stimmzettel ist diese Entscheidung nicht vorgesehen. Die Lösung dürfte in einer technischen Anforderung
liegen, denn ganz ohne input gilt das Online-Formular wohl als unvollständig und könnte
nicht weiterverarbeitet werden.
"Eingeworfen" wird der Stimmzettel erst nach Angabe der Transaktionsnummer, die zum Abschluß
des Wahlverfahrens aus der digitalen Schublade geholt wird (zwischendurch bloß nichts anderes
kopieren!). Wie im richtigen Leben vor dem Geldautomaten gibt es drei Versuche zur erfolgreichen
Eingabe der korrekten Zeichenfolge, danach wird der Vorgang abgebrochen. Hier zeigt sich der
Osnabrücker Security-Server unerbittlich: der absichtlich eingebaute Tippfehler wurde sogleich
erkannt – der nächste Versuch beginnt. Bei der Wahlwiederholung muß allerdings auch die Stimme
neu verteilt werden, sonst droht unverzüglich der zweite Fehler.
Nach gelungener TAN-Eingabe taucht schließlich die Erfolgsmeldung auf: "Ihre Stimmabgabe wurde regisriert!"
Na also, so schwierig war´s doch gar nicht. Anschließend bitten die Wahlforscher – auf freiwilliger
Basis – um ein paar statistische Angaben zur Erweiterung ihrer Datensätze. Nun gut, tun wir ihnen
den Gefallen – bisher dauerte die Prozedur schließlich noch keine 10 Minuten, zwischenzeitliche
Listen-Information inklusive. Eilig vorbeigesurfte Wähler können den Vorgang hier selbstverständlich
abbrechen.
Nach erfolgter Stimmabgabe wird die TAN sofort entwertet, damit eine wiederholte Teilnahme unmöglich bleibt
– und tatsächlich: der Rücksprung auf den Wahlzettel (die History-Funktion macht´s möglich) ist
vergebens, der Server meldet korrekt, daß diese TAN bereits benutzt wurde.
Damit endet schließlich ein angenehm unaufregender Ausflug ins virtuelle Wahllokal – im großen und
ganzen erscheint die digitale Stimmabgabe benutzerfreundlich organisiert, an einigen Stellen
wurden hilfreiche Online-features integriert, eine gewisse Sicherheitsgarantie ist ebenfalls bereits gegeben.
Dem Normalsurfertest hält die digitale Wahlurne durchaus stand, ob das Wahlgeheimnis auch vor
massiven Hackereingriffen bewahrt werden kann, steht auf einem anderen Server. Aber schließlich
ist auch der analoge Briefwahlumschlag kein unüberwindbares Hindernis…