Sollen Twitter und Facebook Selbstzensur für gewisse Inhalte vornehmen? Wer soll sich um die Einhaltung von nationalem und internationalem Recht im Internet kümmern? Auf einem Panel der Social Media Week in Berlin diskutierten Experten diese und andere Fragen unter dem Motto „Aktivismus in Social Media und Privatsphäre“.
Eine Menschenrechtsaktivistin, die ihre Festnahme am Flughafen von Bahrain twittert und unmittelbar ein internationales Echo erzeugt. Eine Gruppe in Armenien, die via Facebook den Bau eines Einkaufszentrums verhindert. Das sind nur zwei Beispiele für den Einsatz von Social Media, um einen politischen Zweck zu verfolgen oder sofortige Aufmerksamkeit zu erreichen. Das Interessante daran: Das Internet dient als virtueller Ort, in dem Protestierende vor Verfolgung relativ geschützt sind.
Die aktuell stattfindende Social Media Week beschäftigt sich damit, wie neue Medien und Technologie unser Leben beeinflussen – von Startups über Kreativität bis hin zu ethischem Wirtschaften. Aber auch der Einfluss sozialer Medien auf Protestkultur ist Thema. Unter diesem Vorzeichen diskutierte gestern eine Expertenrunde aus Journalisten und NGO-Vertretern über die Verantwortung von Staaten, einzelnen Akteuren und großen sozialen Netzwerken in Zeiten des digitalen Wandels. Die zentrale Frage: Wie können wir von Social Media profitieren, während gleichzeitig unsere sensiblen Daten geschützt werden? Was bedeutet Verantwortung im Internet?
Eine aktuelle Debatte dreht sich um die Propaganda des Terrornetzwerks Islamischer Staat (IS) und die Frage, ob soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook oder Google Inhalte ihrer User zensieren sollten, um eine Verbreitung von gewalttätigen und menschenverachtenden Inhalten zu verhindern. Dürfen private Unternehmen überhaupt Zensur betreiben?
In Deutschland gehört die Meinungs- und Pressefreiheit zu den wichtigsten Grundrechten. So widersinnig und absurd eine Meinung erscheint, sie wird geschützt, solange sie nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt. Im Falle von IS ist dieser Verstoß gegeben: Alle Aktivitäten des IS, darunter die Verbreitung und Veröffentlichung von Propagandavideos, sind auf deutschem Territorium untersagt. Höhlen Twitter, Facebook& Co. die staatliche Befugnis, Zensur zu betreiben, aus? Interessante Anstöße gab Marek Tuszynski, Mitbegründer der Organisation „Tactical Technology Collective“, die sich dafür einsetzt, Aktivisten digitale Informationen und Hilfsmittel bereitzustellen. Er sieht das Kernproblem woanders: Von sozialen Netzwerken werde nun etwas erwartet, wofür sie nie geschaffen worden sind – Netzwerke seien lediglich Infrastruktur, ein Instrument, um Inhalte zu generieren, nicht mehr und nicht weniger. Die Technologie an sich sei weder gut noch schlecht, aber auch niemals neutral. Und genau das ist derzeit das Dilemma.
Doch wer sollte für Verantwortung im Internet sorgen? Der Internet- und Völkerrechtler Matthias Kettemann erklärt in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur, dass das Völkerrecht die Prinzipien regelt, nach denen das Internet reguliert ist. Somit gilt die allgemeine Erklärung der Menschenrechte auch im Netz. Es ist von der Staatengemeinschaft einzufordern, dass dies auch eingehalten wird. Private Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen können und sollen eine solche Aufgabe schlicht und einfach nicht übernehmen.
Es wird deutlich, dass die Frage um Verantwortung im Netz weiter debattiert werden muss. Die Einhaltung nationaler Datenschutzgesetze ist hier ein weiteres Dilemma. In Deutschland dient dieser Appell dem Schutz von Bürgern und deren Privatsphäre, aber wie sieht es in autokratischen Regimen aus, in denen grundlegende Menschenrechte von staatlicher Seite verletzt werden? Wer wird dort durch die Einhaltung von nationalem Recht geschützt? Wenn die Identität eines Oppositionellen dadurch offengelegt werden kann, mit der Folge, dass dieser inhaftiert wird, wem wurde dann gedient? Ob Netzwerke politische Neutralität wahren und jegliches nationales Recht ungeachtet der Konsequenzen für die Bürger respektieren sollten, ist eine Frage, der sich die Netzwerke stellen und für die sie eine Antwort finden müssen.
Foto: Michael Coghlan