Im Großteil der deutschen Schulen wird mit digitalen Inhalten noch immer vorsichtig umgegangen. Die aktive Einbindung von Apps und Online-Programmen in den Unterricht ist selten zu finden. An der deutsch-skandinavischen Gesamtschule in Berlin sieht das anders aus. Wir haben den Schulleiter Jacob Chammon zum Gespräch getroffen.

Digitale Inhalte in jedem Unterrichtsfach und WLAN ohne jegliche Einschränkung auf dem gesamten Schulgelände. Das ist der Alltag für Schüler an der deutsch-skandinavischen Gesamtschule. Was genau das beinhaltet und wie die Digitalisierung und Pädagogik zusammenspielen, hat uns der gebürtige Däne erklärt.

Herr Chammon, an Ihrer Schule können die Schüler das WLAN nutzen. Welche Einschränkungen gibt es dabei?

Seit dem Sommer haben wir ein flächendeckendes WLAN, auf das mit allen Geräten zugegriffen werden kann. Einschränkungen wie einen Adult Content Filter haben wir nicht. Das war eine pädagogische Entscheidung. Gerade wenn es einen Filter gibt, wird es für die Schüler zum Sport, diesen zu umgehen und sich trotzdem schöne Frauen anzuschauen. Deswegen liegt unser Fokus darauf, mit den Schülern über Netz-Ethik zu sprechen: Was kann und darf ich machen? Wo landen meine Sachen wenn ich etwas poste? Welche Konsequenzen kann das haben?

An vielen Schulen ist die Smartphone Nutzung verboten. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Handyverbot das größte Hindernis für die Digitalisierung in Deutschland ist. Denn eigentlich ist alles, was wir brauchen, bei den Schülern in der Tasche. Dabei ist natürlich wichtig, dass die Geräte sinnvoll eingesetzt werden. Schüler dürfen bei uns nicht immer und überall online sein. Natürlich müssen sie im Unterricht das Handy weglegen. Aber wenn die Schüler recherchieren müssen oder eine Präsentation erstellen sollen, und wenn sie in ihrer Tasche sowieso ein Tablet haben, warum soll es dann nicht benutzt werden? Natürlich wird dann auch mal ab und zu Instagram gecheckt, aber vor der Digitalisierung haben die Kinder eben Blumen auf das Arbeitsblatt gemalt. Die Ablenkung gibt es immer und wird es auch immer geben.

Das bedeutet, sie haben eine “Bring Your Own Device” (Anm. d. Red: Die SchülerInnen bringen eigene Endgeräte wie zB Tablets und Smartphones mit, die dann im Unterricht genutzt werden) Regel für die Nutzung digitaler Inhalte. Wie gehen Sie mit einer möglichen Ungleichheit um, wenn manche Kinder keine Smartphones oder nur sehr alte besitzen?

Das ist kein Problem bei uns. Natürlich haben die Schüler unterschiedliche Sachen, aber deswegen haben wir ja auch schuleigene Geräte. Das sind Computer, Laptops,Tablets und sogar Smartphones. Da wir keinen großen finanziellen Träger hinter uns haben, können wir nur begrenzt einkaufen. Aber mit dem, was die Schüler haben, und dem was wir dazu kaufen können, deckt das alle ab. Wir versuchen eher noch, das BYOD ein bisschen voranzutreiben. Wir haben Spinde aufgestellt, wo die Schüle ihre Geräte nicht nur sicher einschließen können, sondern auch per USB aufladen können. Es ist nämlich eigentlich super, diese Vielfalt an unterschiedlichen Geräten zu haben. Wenn ein Schüler zum Beispiel mit einem Mac zuhause arbeitet, muss er sich hier mit einem PC auseinandersetzen. So lernen die Schüler verschiedene Formate kennen, was sehr wichtig ist.


Jacob Chammon ist Schulleiter der Deutsch Skandinavischen Gemeinschaftsschule in Berlin und gebürtiger Däne. Er ist ausgebildeter Lehrer in den Fächern Dänisch, Deutsch, Geschichte und Musik und arbeitet seit Jahren als Coach und Berater für Qualitätssicherung und Veränderungsprozesse für Lehrer, Fachbereichsleiter und Schulleitungen.

Wie genau bringen Sie Ihren Schülern im Unterricht gezielt digitale Kompetenzen bei?

Im neuen Rahmenlehrplan in Berlin-Brandenburg gibt es eine Basiskompetenz Medien. Das bedeutet, dass sich alle Lehrer mit dem Thema Medien auseinandersetzen müssen und Digitales in ihren Unterricht einbauen. Darüber hinaus haben wir in unserer Oberstufe das Fach Medien. Dort lernen die Schüler Kompetenzen, die in die anderen Fächer eingebunden werden können. Ein Beispiel sind unterschiedliche Präsentationsformate, d.h. nicht nur Powerpoint sondern noch 3-5 andere. Ein anderes Beispiel  ist das Bearbeiten von Videos und Fotos und das Erstellen von Online-Quizzes und Grafiken. Darüber hinaus haben wir auch AGs zum Thema Coding und Programmierung, die am Nachmittag angeboten werden, jedoch keinen Informatikunterricht.

Benutzen Sie Lern-Apps, gerade um den individuellen Lernprozess zu leiten, die Sie besonders gut finden?

Da wir jahresgemischte Klassen haben, arbeiten wir generell sehr individuell, weil ein Frontalunterricht durch die vielen Niveaustufen ausgeschlossen ist. Wir unterrichten auf fünf unterschiedlichen Sprachen, dabei sind bei uns Lernportale sehr wichtig, weil wir eine unglaubliche Vielfalt von Materialien brauchen. Wir können nicht alle Fachbücher in fünf unterschiedlichen Sprachen in unserer kleinen Bibliothek unterbringen. Durch das Internet können wir uns die Materialien aus den verschiedenen Portalen der unterschiedlichen Länder holen. Wir nutzen natürlich auch Apps, vor allem Wörterbücher-Apps, mit denen die Schüler Sprachen lernen können.

Sehen Sie Ihre Schüler nach der Ausbildung an Ihrer Schule sowohl für den zukünftigen Arbeitsmarkt, als auch für das Leben ausreichend vorbereitet?

Meines Erachtens ist es am wichtigsten, den Schülern Flexibilität und Kreativität beizubringen. Wir haben einen ganz anderen pädagogischen Blickwinkel, weil wir es den Schülern überlassen, ihre Kurse auszuwählen und ihren eigenen Stundenplan zusammenzustellen. So sollen sie lernen, sich selbst einzuschätzen und dort zu arbeiten, wo es nötig ist, anstatt nach einem festen Schema. Diese Selbsteinschätzung halte ich für eine wichtige Kompetenz für die Zukunft.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der schulischen Ausbildung?

Man kann viel über das deutsche Bildungssystem sagen, aber Berlin und Brandenburg sind wirklich fortschrittlich mit dem neuen Rahmenlehrplan. Dadurch müssen sich die Schulen jetzt anpassen und fortschrittlicher werden. Im Radio wurde dafür plädiert, dass in Brandenburg dass BYOD-System eingeführt werden soll, was ich super fände. Aber wenn vermehrt in das Digitale investiert wird, muss auch mehr in die Weiterbildung der Kollegen investiert werden. Erstaunlicherweise sind gerade die jungen Lehrer, die frisch aus der Uni kommen, oft sehr eingeschränkt und haben nicht den Mut zu freieren Aufgaben.

Schicken Sie ihre Lehrer denn oft zu Fortbildungen?

Ja das machen wir auch. Am effektivsten ist aber der interne Austausch. In den Lehrersitzungen werden Apps gezeigt, die die anderen Lehrer dann auch mal ausprobieren sollen. Das wird dann auch immer wieder angesprochen, damit die Kollegen dass auch wirklich verstehen. Wie bei den Schülern einmal Prozentrechnen erklären nicht reicht, so ist das auch bei den Kollegen. Man muss es immer begleiten und ansprechen.

Sie sagten, dass gerade in Berlin und Brandenburg viele Fortschritte gemacht werden. Sehen Sie es als Problem, dass Bildung in Deutschland Ländersache ist?

Das ist ein riesiges Problem. Es gibt ja eine Bundesbildungsministerin, und die sollte viel mehr Macht haben.

Unter anderem wegen des schnellen technologischen Wandels müssen Menschen lebenslang lernen. Ist das Ihrer Einschätzung nach überhaupt im nötigen Maße bis ins hohe Alter für alle Menschen machbar?

Es geht hier hauptsächlich darum, auch älteren Leuten etwas zuzutrauen. Sie können viel mehr als wir oft glauben. Beim lebenslangen Lernen wachsen auch ältere Menschen mit ihren Ansprüchen, man muss ihnen nur die Chance geben.

 

Titelbild: by lc3cr via Pixabay, licenced CC0 Public Domain

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