Im Scherz stellte der Amerikaner Matt Homann sein Konzept für die App „Invisible Girlfriend“ bei einem Start-Up-Wettbewerb vor – und gewann. Jetzt ist das Projekt, das Dauersingles den Alibipartner bescheren soll, in der Beta-Testphase. Pünktlich zu Weihnachten soll der Launch folgen. „Invisible Boyfriend,“ das Äquivalent für weibliche Singles, ist ebenfalls in Planung. Aber kann eine App wirklich die Rettung vor den lästigen Fragen der Verwandtschaft beim Familienfest sein?
„Endlich“, heißt es auf der Webseite von Invisible Girlfriend, „eine Freundin, die dir deine Familie wirklich glaubt“. Den Seufzer der Erleichterung kann man förmlich hören: endlich Ruhe vor den lästigen Fragen der Freunde und Verwandten. „Und? Immer noch Single?“ „Wann suchst du dir den mal ‘ne Freundin?“ oder auch: „Na, schon dabei?“
Problem: Die Freundin ist – das „Invisible“ im Titel lässt es vermuten – nicht echt. Sie ist das Produkt einer Website mit dazugehöriger App, die dem Nutzer laut Anbieter „Beweise liefert, dass er in einer Beziehung ist“. Dem Nutzer oder denjenigen der lieben Freunde und Verwandten, die sich aufgrund des nicht enden wollenden Singlestatus des Betreffenden schon ernsthafte Sorgen machen. Gleiches gilt für Invisible Boyfriend, das komplementäre Angebot für die Frau ohne Freund. „Triffst du dich mit jemandem?“ – Invisible Boyfriend verspricht darauf die rettende Antwort, plus virtueller und realer Beweise.
Laut Invisible Girlfriend-Erfinder Matt Homann gibt es verschiedene Gründe, aus denen sich Menschen für die Nutzung entscheiden könnten: eine gleichgeschlechtliche Beziehung, die sie vor missbilligenden Verwandten geheim halten wollen, unwillkommene Anbiederungen eines Kollegen, oder der Wunsch, sich lieber auf die Arbeit als auf eine romantische Beziehung zu konzentrieren – damit man das Leben wieder nach den eigenen Regeln leben könne, so preist der Schöpfer und Anbieter seine Anwendung an.
Es scheint eine absonderliche Art und Weise zu sein, Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen, indem man die Menschen um sich herum anlügt – und zwar nicht nur mit einer kleinen Notlüge, sondern mit einem weitschichtigen Täuschung – „con“ heißt das im Englischen: Trickbetrug. Die Frage ist nur: Wer betrügt hier wen?
Kostenfrei ist die Sache natürlich nicht. Auch in so eine unsichtbare Beziehung muss man Zeit und Geld investieren. Je nachdem, wie ernst einem die Beziehung ist, wieviel man bereit ist, monatlich dafür hinzublättern – Angebote reichen von „nur reden“ bis hin zu „kurz vor der Verlobung“ – liefert die App mehr oder weniger stichhaltige „Beweise“ für die Fake-Beziehung: von regelmäßigen SMS über Fotos und den Facebook-Beziehungsstatus bis hin zu Live-Telefonaten. Man kann sich sogar selbst kleine Aufmerksamkeiten schicken. Und natürlich den perfekt auf den Nutzer abgestimmten Partner selber „bauen“: Name, Alter, Foto und Persönlichkeit sind frei wählbar. Hoffnungslos Unkreativen hilft die App sogar bei der Erfindung der Hintergrundgeschichte: „Wir trafen uns in einer Bar/im Flugzeug/im Urlaub/auf einer Party…“ – nicht Zutreffendes bitte streichen.
Homann nennt das Ganze „Schutzschild“ – im Haifischbecken der sozialen Akzeptanz müsse sich mithilfe dieser „Rüstung“ nun niemand mehr unwohl fühlen.
Gesellschaftsproblem Partner = Normalität?
Man sollte meinen, dass man sich im 21. Jahrhundert weder für seinen Beziehungsstatus rechtfertigen noch darüber lügen müsste. Und genau da liegen das Problem, aber auch die traurige Wahrheit von Invisible Girl- und Boyfriend. Denn was sagt es über Menschen und die Gesellschaft aus, dass einige offenbar für einen Schwindel zahlen, nur um in Ruhe gelassen zu werden? Hält sich der Eindruck, dass kinderlose Singles irgendwie unvollständig seien, in den Köpfen immer noch derart hartnäckig, dass man eine App braucht, um dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck standzuhalten? Eine App für das beruhigende Gefühl der Zugehörigkeit und Normalität? Eine Requisite, mit der kinderlose Singles ihre ihnen von den Mitmenschen zugedachte Rolle besser spielen können? Könnte der Gedanke hinter dem unsichtbaren Partner am Ende die Gleichstellung als das entlarven, was sie teilweise immer noch ist oder wieder zu werden droht: eine Farce?
Nach Jahren der Gleichstellungdebatte bewegen wir uns scheinbar rückwärts. Traditionelle Geschlechterrollen werden laut Umfragen wieder beliebter. Frauen verdienen in vielen Berufen nach wie vor weniger als Männer. Nicht umsonst wird das Betreuungsgeld als klarer „Schritt zurück zum traditionellen Familienbild“ kritisiert. Kinderlose Frauen oder auch Paare müssen sich allzu oft noch immer für ihre Entscheidung rechtfertigen, keine Kinder zu bekommen, werden als unfruchtbar, beziehungsunfähig, egoistisch oder schlicht als Versager oder „unbelehrbare Hedonisten“ kritisiert. Und das, obwohl Gleichberechtigung in Deutschland ein verbrieftes Grundrecht ist – dessen Umsetzung sich, zugegeben, seit jeher als nicht ganz unproblematisch gestaltet. Dass die gesellschaftliche Rollenproblematik Männer und Frauen gleichermaßen betrifft, auch dafür könnten Konzepte wie Invisible Girlfriend und Invisible Boyfriend ein Indiz sein. Immerhin ist die Idee weder neu noch einzigartig. So gibt es bereits Fake Girlfriend, Phoney Girlfriend, Fake Internet Girlfriend oder Anleitungen zum Freundin-Fake. Bedarf scheint also durchaus zu bestehen.
Freilich kann es sein, dass Invisible Girlfriend, wie die Guardian-Autorin Eleanor Robertson mutmaßt, wegen seines schlecht durchdachten allen Regeln trotzenden Start-up-Konzepts auf die Nase fällt. Selbst Gründer Homann stellte schließlich die Idee zunächst „als Scherz“ vor – gewann dann aber einen Gründerpreis, weswegen Invisible Boyfriend „zum baldigen Kennenlernen“ des Alibifreundes offenbar rasch nachgeschoben wurde.
Im multimedialen Zeitalter der Selbstoptimierung und Selbstmystifizierung muss man sich nur auf Facebook umschauen und schon scheint die Möglichkeit, dass die App ein Hit wird, nicht unrealistisch: Schon jetzt gibt es genug neiderregende Fotos von Urlauben, Essen, Hochzeiten, Babies, die dazu gedacht sind, der Welt zu beweisen, wie großartig das eigene Leben ist. Und so ist dann auch, wie die Journalistin Lucy Tobin bemerkt, die unsichtbare Freundin alles andere als unsichtbar. Im Gegenteil: Die Idee besteht ja gerade darin, endlich jemanden zu haben, den man im Notfall vorzeigen kann, laut Entwickler die perfekte Mischung aus „Joker“ und „Mauerblümchen“. Die nächste, traurige Stufe wäre womöglich, der perfekten Illusion den Vorzug vor der unperfekten Realität zu geben, lieber mit „unsichtbaren“ Partnern, die nicht nerven, nicht streiten, keine Erwartungen haben, allein zu bleiben, als sich auf echte Menschen einzulassen. Der Science-Fiction-Autor William Gibson sagte einmal: “Before you diagnose yourself with depression or low self-esteem first make sure you are not in fact surrounded by assholes.”
Also: Bevor du dir selbst Depressionen oder Selbstwertprobleme diagnostizierst, vergewissere dich erst einmal, dass du nicht schlicht von A***löchern umgeben bist.
Foto: Mircea Turcan
Screenshot: www.invisiblegirlfriend.com
Und wer ist denn überhaupt auf all den netten Fotos zu sehen? Wissen all diese Frauen, dass sie jetzt als “Freundin von” eine doppelte Existenz führen? Und was, wenn das gleiche Foto mehrfach ausgesucht wird? Dann präsentieren sich zwei Singles beim Event die Fotos der Freundin, und siehe da, es ist die gleiche Frau???
Fragen über Fragen…
Zu der Frage danach, wer auf den Fotos zu sehen ist: IGF bittet um das Einreichen von Selfies. Wer mag, kann sein Selfie zur Verfügung stellen. Dieses wird dann als Bild von Invisible Girlfriend oder Boyfriend für deren User Wählbar. Laut Website bekommen diejenigen, die Fotos stellen, fürs erste Foto ein T-shirt „I am someone’s Invisible…“, das sie dann anziehen können oder nicht. Für alle weiteren Fotos gibt’s Geld. Durch Verwendung der Postleitzahl soll sichergestellt werden, dass Fotos nicht von Leuten gewählt werden können, die in der Nähe wohnen. Man kann annehmen, dass auf ähnliche Weise auch garantiert wird, dass eben nicht zwei Leute mit dem gleichen unsichtbaren Partner auf derselben Party auftauchen. Interessant wird sicher auch, wie Umsetzung der Live-Telefonate erfolgt. Ein Callcenter für Live-Anrufe und die „Notfallnummer“ bei lästigen Fragen dürfte ja nicht so ein Riesenproblem sein.