"Kinder und Jugendliche müssen im Internet besser geschützt werden". Das ist die Forderung einer europaweiten Studie, die im Rahmen einer zweitägigen Konferenz in London vorgestellt und diskutiert wird.
Mit durchschnittlich neun Jahren machen Kinder in Europa ihre ersten Erfahrungen mit dem Netz. Die große Mehrheit hat im Umgang mit dem Medium noch keine negativen Erfahrungen machen müssen. Doch immerhin zwölf Prozent der Kinder geben an, "dass sie im Internet auf Inhalte gestoßen sind, die sie unangenehm berührt oder verletzt haben". Die Initiatoren des Forschungsprojektes "EU Kids Online", das Anfang 2006 von der Europäischen Kommission im Rahmen des "Safer Internet Plus Programms" bewilligt wurde, sehen in Sachen Jugendschutz dennoch Verbesserungspotenziale.
Das Projekt setzte sich das Ziel, europaweit Daten zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen zu sichten und den Forschungsstand in den 21 teilnehmenden Staaten zu analysieren. Im Vordergrund standen dabei Fragen nach den Erkenntnissen zum sicheren Umgang mit Online-Medien, den Forschungsschwerpunkten sowie den Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der jeweiligen nationalen Medienforschung. In Deutschland wurden von dem für die Koordinierung zuständigen Hans-Bredow-Institut für Medienforschung auch Workshops mit Vertretern relevanter Initiativen und Institutionen abgehalten. Schwerpunkt des im Juni 2009 gestarteten Anschlussprojektes "EU Kids Online II" war eine in 25 Ländern durchgeführte repräsentative Befragung zur Online-Nutzung von 25.142 Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 16 Jahren. Über 100 Wissenschaftler befragten hierfür auch jeweils einen Elternteil.
Im Folgenden eine Auswahl der Ergebnisse:
- Nur 34 Prozent der befragten Kinder im Alter von 9 oder 10 Jahren stimmten der Aussage zu, dass es im Internet eine Menge guter Dinge für ein Kind in ihrem Alter gebe.
- Viele Kinder und Jugendliche können im Umgang mit sozialen Netzwerken nicht mit den Privatsphäreeinstellungen umgehen.
- Der Hälfte der 11- bis 16-Jährigen fällt es im Internet leichter, sie selbst zu sein. Aber nur neun Prozent haben einen Online-Kontakt auch offline getroffen.
- Ältere Kinder mit höherem Selbstvertrauen und vielfältigeren Onlineaktivitäten sind einem höheren Risiko ausgesetzt.
- Je mehr ein Elternteil das Internet nutzt, desto häufiger nutzt es auch das Kind. Kinder von Vielnutzern profitieren aber auch von den "digital skills" ihrer Eltern.
- Immerhin 27 Prozent der befragten Kinder im Alter von neun bis zwölf Jahren gaben zu, in ihrem Social-Media-Profil ein falsches Alter anzugeben. Bei einem Fünftel der öffentlich zugänglichen Profile waren auch Adressen und Telefonnummern eingestellt.
- In Bezug auf den Schutz Minderjähriger vor pornographischen Inhalten konnte die Studie keinen akuten Handlungsbedarf ausmachen.
- 88 Prozent der befragten Eltern gaben an, ihren Kinden klare Regeln im Umgang mit persönlichen Daten im Netz vermittelt zu haben. Über die Hälfte überwacht ihre Kinder beim Surfen und lediglich zehn Prozent der Befragten beschäftigen sich überhaupt nicht mit der Internetnutzung ihrer Kinder.
Deutschland wurde in die Kategorie "lower use, lower risk" eingestuft, was vor allem mit der vergleichsweise geringen Internetnutzung deutscher Kinder und Jugendlicher zusammenhängt. Insbesondere die Eltern werden von den Machern der Studie in die Pflicht genommen, da die meisten Kinder zuhause online gingen, viele Eltern von den Netzaktivitäten ihrer Sprösslinge aber nichts oder nur wenig wüssten. So ahnten beispielsweise mehr als die Hälfte der Eltern, deren Kinder online gemobbt wurden oder pornographische Nachrichten erhielten, nichts von diesen Vorkommnissen. Zudem wussten sechs von zehn Eltern nicht, dass sich ihre Kinder mit Online-Bekanntschaften trafen. Daher müsse insbesondere das Risikobewusstsein der Eltern gestärkt werden.
In den aus den Ergebnissen abgeleiteten Forderungen bleiben die Projektbeteiligten jedoch sehr vage. Schulen, Medien aber auch die Anbieter im Netz müssten mehr Aufklärungsarbeit leisten. In Anbetracht des inzwischen niedrigen Einstiegsalters seien hier bereits die Grundschulen gefragt. Lediglich gegenüber den Betreibern von Online-Netzwerken werden die Forderungen konkreter. Diese sollten bei ihren minderjährigen Nutzern standardmäßig Einstellungen aktivieren, die den größtmöglichen Schutz der Privatsphäre gewährleisten. Auf der gestern und heute stattfindenden Abschlusskonferenz in London wird der Abschlussbericht präsentiert. Zudem werden Themen wie Cybermobbing, die Nutzung sozialer Netzwerke durch Kinder und Jugendliche oder Geschlecht und Sexualität im Internet diskutiert. Für morgen steht auch eine mögliche Fortführung des Projekts unter dem Titel "EU Kids Online III" zur Debatte.
Derweil hat die Europäische Kommission 14 soziale Netzwerke prüfen lassen. Lediglich zwei besitzen Standardeinstellungen, die Minderjährige vor der Kontaktaufnahme durch Fremde schützen. Die EU sieht insbesondere bei sozialen Netzwerken und Hotlines zur Meldung illegaler Inhalte Schwächen im Schutz von minderjährigen Internetnutzern. Bereits 1998 und 2006 wurden diesbezügliche Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten gerichtet, welche nach Aussage von Neelie Kroes, Kommissarin für die Digitale Agenda, von diesen nur unzureichend umgesetzt würden.