Das Verhältnis junger Menschen zu Sozialen Medien ist kompliziert. Viele von ihnen können sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen. Doch es gibt eine wachsende Gruppe junger Erwachsener, die vermehrt die Schattenseiten des konstanten Austauschs online sehen. Sie treffen die fast schon radikale Entscheidung, Sozialen Medien den Rücken zu zukehren. Muss deshalb auch politische Bildung und Kommunikation umgedacht werden?
Seit 2017 lässt sich bei Jugendlichen von einer Vollversorgung mit Smartphones sprechen. Mit Werten, die je nach Informationslage zwischen 97 und 99 Prozent schwanken, besitzen so gut wie alle Zwölf- bis 19-Jährigen ein eigenes Smartphone. Die Selbsteinschätzung der zeitlichen Nutzung ist rapide gestiegen. Nahezu jede und jeder ist heutzutage online und damit häufig auch sozialen Netzwerken aktiv. Umso überraschender macht das die Erkenntnis, die sich in neuesten amerikanischen Studien zeigt: es gibt einen wachsenden Anteil an jungen Menschen, die Social Media vermehrt negativ gegenüberstehen und sich von Plattformen wie Instagram und Facebook abwenden.
Auch wenn die Ergebnislage nicht ganz einheitlich ist, lassen sich dabei einige interessante Entwicklungen herausstellen. So zeigt die 2018 erschienene Common-Sense-Studie, dass der Anteil der befragten Jugendlichen, die laut eigener Angabe überhaupt keine sozialen Medien nutzen von 17 Prozent im Jahre 2012 auf aktuell 19 Prozent gestiegen ist, während gleichzeitig die restlichen Befragten Soziale Medien deutlich intensiver nutzen und nahezu nonstop online sind. Auch wenn das nur eine kleine Zunahme der Nicht-Nutzer ist, stellt sich diese Entwicklung gegen die gängige Erwartungshaltung und zeigt, dass sich nicht ohne weiteres eindeutige Aussagen über junge Menschen und Social Media treffen lassen.
Zu viel Negativität und Zeitverschwendung
Ein genaueres Bild, was junge Menschen an Sozialen Medien vor allem stört, zeigt eine weitere Studie, die das Medienverhalten der Generation Z genauer betrachtet. Obwohl dabei rund neun von zehn Befragten mindestens eine Social-Media-Plattform nutzen und 77 Prozent angeben, dass soziale Netzwerke wie Instagram, Snapchat und Facebook mehr Vorzüge als Nachteile mit sich bringen, haben mehr als ein Drittel mindestens einen ihrer Accounts wieder gelöscht. Und mehr als 60 Prozent wünschen sich Abstand und Erholung von Social Media, in dem sie die Nutzung bestimmter Anwendungen für einige Zeit pausieren. Besonders betroffen sind dabei Facebook und Instagram.
Die Gründe dafür sind vielfältig, von mehr Wunsch nach Privatsphäre bis hin zu steigendem sozialen Druck. Am häufigsten wird jedoch das Gefühl geäußert, zu viel Zeit mit endlosem Scrollen und Durchklicken zu verschwenden. Vielen jungen Menschen ist dabei bewusst, dass solche Apps ein suchtförderndes Potential aufweisen und so konzipiert sind, dass Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange darin verweilen. Doch allmählich ziehen die ersten auch Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Noch stärker als bei sich selbst, bemerken die meisten Befragten bei ihrem gleichaltrigen Umfeld, dass dieses zu sehr durch Soziale Medien abgelenkt sei oder durch diese negativ beeinflusst werde. Beklagt wird zunehmend die vorherrschende Negativität im Netz und die damit verbundenen nachteiligen Effekte auf die eigene Psyche und das Wohlbefinden. Bei vielen haben soziale Medien schon dazu geführt, dass sie sich ängstlich oder deprimiert gefühlt haben. Ebenso leidet bei einigen das Selbstbewusstsein durch den ständigen Austausch und Vergleich online und Unsicherheiten werden verstärkt. Auch wenn das Internet samt Social Media für die meisten positive Auswirkungen auf Freundschaften, das Selbstwertgefühl und die eigene Kreativität hat, will ein wachsender Anteil Jugendlicher nicht mehr einfach über die Folgen von Hate Speech, Schönheitswahn und den Druck, ohne soziale Plattformen ausgeschlossen zu sein, hinwegsehen.
Instagram macht unsicher
Ein Vergleich der #StatusofMind-Studie der meistgenutzten Social-Media-Plattformen ergab, dass der als äußerst beliebt geltende Online-Dienst Instagram das Wohlergehen und die Psyche junger Nutzerinnen und Nutzer am meisten beeinträchtigt. Die App führt bei vielen zu Angstgefühlen wie Sorge oder Unbehagen und dem Gefühl, ständig online und erreichbar sein zu müssen, um nichts zu verpassen. Außerdem gab ein Großteil der Befragten an, dass die Nutzung von Instagram sich negativ auf das Schlafverhalten auswirke. Bei all dem neuen Content, den es in unendlicher Fülle zu geben scheint und der ständig erweitert wird, kommt man kaum damit hinterher, diesen „abzuarbeiten“. Schluss ist nur, wenn man sich bewusst dazu entscheidet oder einem vor Müdigkeit die Augen zu fallen. Damit ist die App aber nicht allein, Facebook und Snapchat weisen ähnliche negative Einflüsse auf. Besonders schwer ins Gewicht fallen bei Instagram aber vor allem die Auswirkungen auf das Körperbild und die Unsicherheit junger Menschen. „Instagram vermittelt Mädchen und Frauen schnell das Gefühl, ihre Körper seien nicht gut genug, wenn die Leute Filter hinzufügen oder ihre Bilder bearbeiten, um `perfekt´ auszusehen“, gab eine Teilnehmerin an. Auch wenn es seit einiger Zeit Bewegungen gibt, die diesem „Perfektionswahn“ entgegensteuern wollen, ist es nach wie vor noch das makellose Bild, welches viele Influencer von sich zeichnen, das bei jungen Menschen ankommt.
Facebook wird zur Plattform der Älteren
Während Instagram aber nach wie vor kein deutlich spürbares Nutzerschwinden verzeichnen kann, sieht das bei Facebook anders aus. Das soziale Netzwerk verliert immer mehr jüngere Nutzerinnen und Nutzer an andere Social-Media-Plattformen. Der Altersdurchschnitt verschiebt sich zunehmend nach oben und Facebook ist jungen Menschen längst nicht mehr so wichtig wie noch vor einigen Jahren. Nur ein Viertel der deutschen Zwölf- bis 19-Jährigen nutzen Facebook regelmäßig, das zeigt die JIM-Studie 2017. Der Datenskandal um Cambridge Analytica hat diese Entwicklung nur noch verstärkt: 44 Prozent der US-Amerikaner zwischen 18 und 27 Jahren haben die Facebook App in diesem Jahr gelöscht, aber nur 12 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer, die älter als 65 sind. Jüngere Userinnen und User gaben dabei auch deutlich häufiger an, ihre Datenschutzeinstellungen in den letzten zwölf Monaten angepasst zu haben. Auch wenn Facebook in aufwendigen Kampagnen Besserung verspricht, scheint es für eine wachsende Anzahl an jungen Menschen schlicht die einfachere und effektivere Lösung zu sein, Facebook endgültig aus ihrem Leben zu verbannen. Der Grund dafür ist vermutlich aber nicht nur die fehlende Datensicherheit, sondern auch, dass viele Jugendliche keinen Mehrwert mehr in der Nutzung von Facebook für sich erkennen können. Andere neue Plattformen scheinen die Bedürfnisse und Interessen junger Menschen stärker zu bedienen, vor allem wenn man die steigende Beliebtheit von Facebook bei der älteren Generation betrachtet. Die gleiche soziale Plattform zu nutzen wie die eigenen Eltern, bedeutet für viele, dass sie sich nicht mehr so frei und vermeintlich unbeobachtet ausdrücken können wie früher.
Jugendliche politisch auf Social Media erreichen?
Auch wenn ihnen häufig Gegenteiliges vorgeworfen wird, sind Jugendliche immer interessierter an Politik. Doch obwohl das Interesse und auch die Bereitschaft zu politischem Aktivismus steigen, sinkt das Vertrauen in etablierte Parteien und traditionelle politische Akteure. Junge Menschen gehen seltener zur Wahl als andere Altersgruppen und sie bringen sich kaum in Form klassischer Parteiarbeit ein. Deshalb lassen sich immer mehr Bestrebungen finden, Jugendliche auf neuem Wege zu erreichen und wieder stärker einzubinden. Der Gedanke dahinter: Wenn junge Menschen die Welt auf andere Weise verändern wollen und sich online politisch oder in Protestaktionen engagieren, dann sollte Politik und politische Bildung junge Menschen dort abholen, wo sie sind – im Netz. Doch was ist, wenn genau das sich jetzt verändert? Wenn Jugendliche keine Lust mehr auf Instagram, Facebook und Co haben, weil sie damit zunehmend Negatives verbinden?
Immer mehr Politikerinnen und Politiker erstellen sich Instagram und Facebook-Accounts und versuchen ihre mediale Reichweite auszubauen. Bundesregierung und Ministerien investieren seit einiger Zeit immer stärker in die Reichweite auf soziale Medien und damit in Sponsored Posts und Influencer-Kampagnen. Allein die Bundeswehr gab 2016 und 2017 rund 3,2 Millionen Euro für Facebook- und Instagram-Werbung und nochmal weitere 3,5 Millionen für Youtube-Kampagnen aus. Dass das durchaus auch moralisch fragwürdig zu betrachten ist und in Teilen gezielt auf die Beeinflussbarkeit junger Menschen setzt, ist dabei nur einer vieler möglicher Kritikpunkte. Die mangelnde Transparenz einiger Kampagnen und fehlende Werbekennzeichnung ein weiterer. Dazu kommt die Frage, ob solche Investitionen überhaupt zielführend sind und ob nicht in Zukunft wieder umgedacht werden muss, wenn junge Leute vermehrt erreicht werden sollen.
Junge Menschen und politische Teilhabe erfolgreich verbinden
Andere Projekte wie die Medieninitiative MESH Collective konzentrieren sich in ihrer Arbeit auf nur eine Plattform, in diesem Fall YouTube. Auftraggeber sind unter anderem das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch Stiftungen oder NGOs. Genauer vorgestellt wurde MESH Collective auch bei Demokratie um 12 zu Thema „Jugend und Politik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung von Julia Althoff, der Projektleiterin. Die Initiative erstellt nicht nur eigene Videos für ihren Kanal, sondern setzt inzwischen verstärkt auf die Zusammenarbeit mit beliebten YouTubern, um Jugendliche und junge Erwachsene „zur Teilhabe am gesellschaftspolitischen Leben zu ermächtigen.“ YouTube ist auch trotz insgesamt kritischerer Auseinandersetzung in vielen Fällen das beliebteste Soziale Medium Jugendlicher und genießt den besten Ruf. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, dort mit politischer Bildungsarbeit anzusetzen. Der entscheidende Vorteil ist, dass sich stark zielgruppenorientiert vorgehen lässt: Indem gezielt Social-Web-Persönlichkeiten innerhalb verschiedener Communities ausgewählt werden, lassen sich politische Themen spezifisch und auch auf neue Art und Weise platzieren. Nicht nur sowieso schon politikaffine junge Menschen kann man so erreichen, sondern auch politisch desinteressierte, bildungsfernere Jugendliche.
Dass dies auch nach wie vor erfolgreich gelingen könnte und politische Bildung auf YouTube durchaus funktioniert, ist trotz des Unmutes einiger Jugendlicher hinsichtlich Social Media kaum zu bestreiten. Doch selbst wenn bisher eher noch nicht davon auszugehen ist, dass der Großteil junger Menschen sich von Social Media entfernt, ist es wichtig, diese Entwicklung im Blick zu behalten, wenn man junge Menschen und politische Teilhabe erfolgreich verbinden will. Dabei wenden sich vermutlich vor allem diejenigen von Sozialen Medien ab, die sich selbst und die Gesellschaft reflektierter wahrnehmen und sensibler für mögliche Missstände sind. Doch auch sie müssen nach wie vor zu politischer Teilhabe angeregt werden. Allein auf soziale Medien zu setzen, kann deshalb nicht ausreichend sein. Auch Parteien und andere politische Institutionen müssen sich stärker nach den Bedürfnissen junger Menschen ausrichten, damit diese Einzug in die tatsächliche substanzielle Politik finden. Damit junge Menschen nicht nur stärker vertreten sind, sondern sich auch tatsächlich ernstgenommen fühlen und erkennen, dass sie etwas verändern können. Denn dass sie das können, haben sie bereits vielfach im Netz aber auch analog unter Beweis gestellt.
Titelbild: Alone, Agung Pratamah via Unsplash