Mit einem Achtungserfolg der Piratenpartei bei der vorgezogenen Landtagswahl im Saarland hatten einige gerechnet, aber dass sie nun direkt mit 7,5 Prozent in den Landtag einziehen wird, überraschte die meisten. Sind die Piraten längst mehr als eine Modeerscheinung? Der Politikwissenschaftler Christoph Bieber stellte sich den Fragen von politik-digital.de.
Spätestens seit dem Erfolg bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin ist die Piratenpartei in Politik und Öffentlichkeit angekommen. Sind die Piraten nur ein Übergangsphänomen oder gibt es ein Potenzial für nachhaltige Verschiebungen im politischen Koordinatensystem? Nach dem unerwartet guten Abschneiden der Piraten an der Saar bei der Landtagswahl hat politik-digital.de mit Prof. Christoph Bieber gesprochen, der die Piratenpartei seit ihren Anfängen mit großem Interesse verfolgt und das politische Phänomen untersucht. Christoph Bieber ist Vorstandsvorsitzender von pol-di.net e.V., der politik-digital.de herausgibt.
Der von Dir und Claus Leggewie herausgegebene Band „Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena“ erscheint im Mai. Hat Dich der Erfolg der Piratenpartei im Saarland überrascht?
Christoph Bieber: Es hat schon überrascht. Eine deutliche Steigerung gegenüber dem letzten Mal hat sich zwar angekündigt, aber ich habe eher damit gerechnet, dass sie gerade über die fünf Prozent schaffen. 7,5 Prozent sind beachtlich, das stellt den Erfolg schon beinahe auf eine Stufe mit Berlin. Allerdings ist die Situation völlig anders als im internet-affinen Berlin, wo sich die Hauptakteure der Netzpolitik-Debatte auf den Füßen stehen. Das Saarland ist dagegen eines der am schlechtesten vernetzten Bundesländer, es ist ein Flächenstaat, und nur ein sehr kleiner Landesverband der Piraten ist dort aktiv, so dass auch organisatorisch ganz andere Vorzeichen geherrscht haben. Dass es ihnen trotzdem so deutlich gelungen ist, sich durchzusetzen, ist schon ein starkes Stück.
Welche Erwartung hast Du nun an die Piraten im saarländischen Landtag?
Christoph Bieber: Die neugewählten Abgeordneten werden ähnliche Probleme haben wie die Berliner Piraten und müssen sich vollkommen neu auf den parlamentarischen Betrieb einstellen. Wir reden hier ja nicht über „gelernte“ Politiker oder Personen, die über eine Erfahrung in den Jugendorganisationen einer Partei verfügen. Strukturen aufbauen, sich an die Arbeitsprozesse und Routinen gewöhnen, das ist durchaus eine Art Kulturschock. Was im Saarland weniger Probleme bereiten sollte, sind die gruppendynamischen Prozesse, die in Berlin eine große Rolle gespielt haben. Ich vermute, die vier saarländischen Piraten werden intern weniger Probleme haben, sich zu verständigen und entsprechend homogen aufzutreten, als dies in Berlin mit 15 Personen der Fall ist. Das könnte es etwas einfacher machen, aber im Vordergrund steht sicher der Kulturschock Parlament.
Mit welchen Themen werden die Piraten im Saarland punkten können?
Christoph Bieber: Transparenz könnte ein Thema sein, weil es im Saarland zwar keine Korruptions- wohl aber eine Art „Netzwerkdebatte“ gibt. Es ist ein kleines Land, die Leute kennen sich untereinander, es gibt Beziehungsstrukturen in und zwischen Parteien und Fraktionen. Die Transparenzforderung ist ein klassisches Piratenthema. Darüber hinaus werden sie sicher auch versuchen, einen „piratischen“ Zugang zu landesspezifischen Themen zu finden.
Die Saar-Piraten haben vor allem Nicht- und Erstwähler mobilisiert. Welche Signale sendet das aus?
Christoph Bieber: Es bedeutet zunächst, dass das Argument von der reinen Protestwahl nicht trägt. Es ist den Piraten gelungen, viele Leute anzusprechen – und zwar weniger durch die Themen als durch die Art und Weise, wie sie sich präsentieren. Die Wähler sind zum einen jüngere Leute, die sicher auch durch die Diskussion um ACTA an die Thematik und die politische Dimension des Netzes herangeführt wurden und die in den Piraten eine Partei gefunden haben, die relativ nah an ihrer Lebenswelt dran ist. Und auch bei der zweiten Gruppe, den Nichtwählern, geht es um den Eindruck, dass sich hier eine Gruppe formiert, die einen anderen Zugang zu Politik hat, diesen vermittelt und offen gestalten will.
Was bedeutet der Erfolg an der Saar für die anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen?
Christoph Bieber: Für Schleswig-Holstein ist das sicher ein Motivationsschub, denn im Saarland haben die Piraten nachgewiesen, dass sie auch in der Fläche bestehen können und in einem nicht so netzpolitisch aufgeladenen Umfeld wie in Berlin sicht- und wählbar sind. Das wird man im nördlichen Flächenstaat als eine Art Vorlage sehen und versuchen, das zu kopieren.
NRW ist ein anderer Fall, allein schon weil es ein großer, heterogener Flächenstaat ist, zudem gibt es dort schon gewachsene Piraten-Strukturen. Das ist nicht immer nur von Vorteil, wenn man sich etwa den Prozess der Kandidatennominierung anschaut. Da gibt es intern größere Schwierigkeiten als in den kleineren Landesverbänden. Deshalb kann es gut sein, dass NRW gar nicht so positiv verläuft, wie die Piraten sich das jetzt vielleicht vorstellen. Und es gibt bestimmt keine lineare Entwicklung von 7,5 Prozent im Saarland auf 9 Prozent in Schleswig-Holstein hin zu zweistelligen Werten in NRW.
Vielleicht gelingt es, in Schleswig-Holstein ein ähnliches Ergebnis zu erreichen wie im Saarland. In NRW, und darauf deuten auch die Prognosen hin, wird es sehr viel schwieriger werden, weil dort einen andere Konkurrenzsituation herrscht. Dort sind auch bundespolitisch prominente Politiker mit am Start, der Lindner-Schachzug könnte sich für die FDP als clever erweisen. Aus meiner Sicht ist es heute noch längst nicht ausgemacht, dass die Piraten es in NRW auch ins Parlament schaffen.
Sind die Piraten langfristig regierungsfähig?
Christoph Bieber: Bei Bei aller Euphorie und Hysterie darf man nicht vergessen, dass wir von einer Partei reden, die gerade mal in zwei Länderparlamenten mit respektablen Ergebnissen vertreten ist, aber bislang noch keine 15 oder 20 Prozent erreicht hat. Auch aus der Perspektive der Partei wäre es ein völlig falscher Ansatz, sich zu überlegen, wie es sich nun zu positionieren gilt, um perspektivisch Koalitionen eingehen zu können. Darum geht es aber auch den Piraten nicht so sehr, weil sie diesen Machtanspruch noch nicht so verinnerlicht haben. Das kann noch kommen, aber im Moment geht es erst mal darum, das Netz nicht nur salonfähig zu machen, sondern parlamentsfähig – thematisch, aber vor allem kulturell.
Wenn sich herauskristallisiert hat, wie die Piratenpartei mit ihrem spezifischen Politikverständnis in Parlamenten funktioniert, wird sie sich Gedanken über Partnerschaften mit Blick auf mögliche Koalitionsbildung machen. Diese Orientierung wird sehr schnell auch intern diskutiert werden, denn vielen Piraten geht es bislang nicht so sehr um dauerhafte Konstellationen und um Macht. Wenn nun noch weitere Erfolge auf Landtagsebene hinzukommen, wird erst einmal auf regionaler Ebene eine Professionalisierung erfolgen. Ein Erfolg auf Bundesebene wäre aber ein ganz anderes Kaliber und dürfte für die Partei eine wahre Zäsur darstellen.