Wilkommen bei der SXSW – der größten und bedeutendsten Technologie-Messe. Wo Startups und neue Spielereien das Licht der Welt erblicken und alte Haudegen vor einer „hacked democracy“ warnen. Adrian Rosenthal und Lucas Mohr waren auf der South by Southwest (SXSW) und haben sich die aktuellen Trends im Bereich der politischen Kommunikation angeschaut. Ein Bericht aus Tausend und einer App.
Die vielleicht wichtigste Veranstaltung im Bereich digitaler Kommunikation, die South by Southwest (kurz SXSW), findet jedes Jahr Anfang März in Austin, Texas statt. Was ursprünglich als Festival zur Förderung lokaler Bands und Filmemacher begann, ist heute als Geburtsstunde bekannter Startups wie Twitter und Foursquare bekannt und hat dieses Jahr mehr als 25.000 Besucher angezogen. Das Besondere an der SXSW ist dabei sicherlich der weltweit einzigartige Mix aus klassischer Konferenz, vielen Sessions mit großer Themenbreite und unzähligen Networking-Gelegenheiten mit Leuten aus der ganzen Welt. Für uns ein Grund, um uns auf die Suche nach neuen Trends, Startups und interessanten Diskussionen und Akteuren zu begeben – natürlich auch aus dem Bereich politischer Kommunikation.
Wer war da, was gab es zu sehen? Ex-Vizepräsident Al Gore gab sich die Ehre, Data-Guru Nate Silver hielt eine der Keynotes, und auch Cory Booker, der Bürgermeister von Newark und aktuell einer der größten Hoffnungsträger der US-Demokraten, ließ sich in einer Podiumsdiskussion zu seiner Rolle als „New Media Politician“ befragen. Zac Moffatt, der Digitalchef der Romney-Kampagne, sprach auf einem Panel unter anderem mit dem Chef-Datenanalysten der Obama-Kampagne Dan Wagner über die Bedeutung von Big Data mit Blick auf Wähleransprache im letzten US-Wahlkampf. Den Gründer des Personal Democracy Forums Andrew Rasiej, trifft man dann abends nach den Workshops entspannt auf ein Bier auf einer der zahlreichen Networking-Partys. Daneben gab es weitere Veranstaltungen, auf denen Vertreter von NGOs, Regierungen oder Agenturen über Themen wie Digital Diplomacy oder Crowdsourcing für kommunale Haushalte sprachen und dabei zumeist auch das Publikum mit einbezogen.
Im Fokus der SXSW standen aber natürlich – zum Teil wiederkehrende – Trends. Von der Google-Brille über smarte Kühlschränke bis zu dem Gerücht von einer Apple-Uhr – neue Technologien zeigen, dass auch der Alltag immer mehr von der digitalen Welt durchdrungen wird – und das zu jeder Zeit und an jedem Ort.
Aber konzentrieren wir uns hier lieber auf Trends und Persönlichkeiten, die auch für die politische Kommunikation im Social Web von Bedeutung sind, denn hier hatte die SXSW einiges zu bieten.
Alles wird Mobil und lokal – auch für die Politik
Ein Trend, der vielleicht schon keiner mehr ist, aber insbesondere im Ausstellungsbereich der SXSW sehr präsent war, kann unter dem Stichwort SoLoMo (SocialMobileLocal) zusammengefasst werden. Die große Mehrheit der dort vorgestellten Produkte waren Mobile-Apps oder zumindest auf den mobilen Bereich ausgelegte Websites. Die Palette an Angeboten reichte von interaktiven Augmented Reality Apps über Kontaktvermittlungen im unmittelbaren Umfeld bis hin zu spielerischen Apps. Der mobile Bereich wird immer mehr zum Hauptspielplatz des Internets und verknüpft die virtuelle Welt mit der realen. Obwohl die gezeigten Apps kaum bis wenig Bezug zu politischer Kommunikation hatten, sind die anwesenden Strategen und Politikberater sicher sehr aufmerksam über die Fachmesse gegangen. Denn bereits im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf spielte der mobile Sektor eine wichtige Rolle. Nicht nur für das Fundraising, sondern auch mit Blick auf das Targeting. Die Inspiration für neue Wahlkampf-Apps kommt von den taktangebenden Startups, die jedes Jahr auf der SXSW ausstellen.
Big und Open Data – Die Amerikaner machen den nächsten Schritt
Erst jüngst ist in Deutschland mit GovData ein Portal gestartet, das offene Regierungsdatendatensätze frei zugänglich macht. In den USA ist dies mit data.gov bereits seit einigen Jahren möglich. Hier beschäftigt man sich aktuell eher mit der Frage, was man tun kann und muss, um die Beteiligung der Bürger weiter zu intensivieren. Zum einem sind Wettbewerbe hilfreich, zum anderen gibt es Überlegungen, einen finanziellen Anreiz zu schaffen. Unternehmen und Startups, aber auch NGOs oder Einzelpersonen können sich künftig als Dienstleister bei der amerikanischen Regierung bewerben und werden bei Bedarf mit einzelnen Projekten beauftragt.
Adrian Rosenthal ist Head of Digital and Social Media bei MSL Germany.
Zusammen besuchten beide dieses jahr die SXSW in Austin. Zudem bloggen sie auf amerikawaehlt.de über digitale Trends und aktuelle Entwicklungen im Online-Campaigning mit einem Fokus auf US-Wahlkämpfe.
Der größere Anteil der Sessions und Keynotes auf der SXSW beschäftigte sich aber mit dem Thema Big Data. Natürlich versuchen Unternehmen, mit den von ihnen gesammelten Daten weitreichende Erkenntnisse über ihre Zielgruppen und Konsumenten zu bekommen, um so zum Beispiel ihren Social Media-Content zu optimieren. Für die Politik sind die Daten und die Analyse dieser aber mindestens ebenso wichtig. Während Romneys Big Data Project Orca floppte, hatte Obamas Programm mit dem Namen Narwhal eine wichtige Bedeutung. Daher wurde die „Big Data Democracy: The Rise of Analytics“ vielfach auf der SXSW diskutiert und immer wieder wurde die bedeutende Rolle von Big Data vor allem für zukünftige Wahlkämpfe hervorgehoben. Das hat auch der allseits geschätzte Ober-Data-Nerd Nate Silver in seiner Keynote noch einmal betont, wobei er vor allem darauf einging, wie man Umfragen richtig deutet bzw. akkumuliert und damit das Verhalten der Wählerschaft einigermaßen verlässlich voraussagen kann. Hier müssen die Republikaner deutlich aufholen in kommenden Wahlkämpfen, und es wird spannend zu beobachten sein, wie sie das anstellen wollen.
Crowdfunding als Chance für öffentliche Einrichtungen
Crowdfunding ist derzeit in aller Munde und bislang vor allem aus dem Kreativ- und Produktbereich bekannt. Einen interessanten Ansatz, wie auch staatliche Einrichtungen Crowdfunding für sich nutzen können, zeigte die Veranstaltung “Can Crowdfunding Save Local Government Budgets?“. Die Idee ist relativ simpel: Staatliche Einrichtungen oder die Bürger stellen auf einer Plattform wie Citizinvestor oder Spacehive ein Projekt ein und rufen zur Spendenbeteiligung auf. Bei den Projekten handelt es sich meist um kleine lokale Initiativen wie den Bau eines Gemeindezentrums oder das Pflanzen von Bäumen. Eine Chance, nicht nur Geld einzusammeln, sondern auch für Aufmerksamkeit und Transparenz beim Verbleib von Geldern zu sorgen. Einige offene Fragen bleiben allerdings, zum Beispiel die der Legitimation. Denn warum sollten Bürger noch zusätzliches Geld zur Verfügung stellen, wenn sie doch bereits Steuern zahlen? Weiterführende Informationen zum Thema gibt es auf der Webseite von Ethan Zuckerman.
Cory Booker – Der New Media-Politiker
Obwohl die Keynote-Unterhaltung zwischen Al Gore und Walter Mossberg über Gores neues Buch „The Future: Six Drivers of Global Change“ interessant war, hat Newarks Bürgermeister Cory Booker ihm doch die Schau gestohlen. Während Gore vor einer „hacked democracy“ warnte, in der zu viel Macht in den Händen einiger Mächtiger konzentriert sei, sprach der demokratische Hoffnungsträger Cory Booker sehr persönlich und anschaulich über seine Nutzung sozialer Medien. Booker, der übrigens auch als SXSW Speaker of the Year ausgezeichnet wurde, nutzt vor allem Twitter (auf das ihn tatsächlich erst Ashton Kutcher brachte), um mit seinen Wählern in direktem Kontakt zu bleiben. Für ihn ist Twitter in erster Linie keine nationale Diskussionsplattform, um mit anderen Politikern zu streiten, sondern dezidiert ein lokales Beteiligungstool, bei dem vor allem Transparenz und Authentizität zählen würden.
Startups und Politik
Dass sich auch Tech-Firmen und Startups immer stärker in Wahlkämpfe einbringen, konnte man bereits im jüngsten US-Wahlkampf gesehen, bei dem sowohl Google als auch Facebook sowie ihre Mitarbeiter wichtige Wahlspender waren. Zudem haben diese Unternehmen unter dem Damoklesschwert von SOPA, PIPA und Co. ihr Lobbying extrem professionalisiert, da sie mehr und mehr von politischen Entscheidungen mit Hinblick auf Themen wie Datenschutz betroffen sind. Auf der SXSW bot der republikanische Senator Jerry Moran auf seinem Panel „Why Public Policy Should Matter to Your Startup“ eine Plattform, um mit Vertretern von Startups über deren Herausforderungen für die Politik zu diskutieren. Dabei sprachen Moran und seine Gesprächspartner über ein breites Themenspektrum von Datenschutz bis hin zur Reform des Einwanderungsrechts speziell für Fachkräfte, die dringend von Startups benötigt werden. Moran ist zudem einer der Sponsoren des Startup Act 3.0, einem Gesetzesentwurf, der Startups unter anderem bei der Anwerbung von Fachkräften helfen soll.
Politische Kommunikation im Social Web ist mittlerweile auf jeden Fall ein fester Bestandteil der SXSW geworden und zieht daher auch immer mehr Politiker an. Wir sind gespannt auf das kommende Jahr – und überlegen mittlerweile, wie wir die Reise zum Personal Democracy Forum Anfang Juni in New York organisieren können.
Bild: Gui Ambros (cc by-nc-sa 3.0)
“Crowdsourcing für kommunale Haushalte” ist eine irreführende Beschreibung für “participatory budgeting”. Es handelt sich doch wohl um “Bürgerhaushalte”, die bereits in vielen deutschen Kommunen angewandt oder diskutiert werden. http://www.buergerhaushalt.de
Hallo PGreen,
Danke für den Kommentar. Ich würde behaupten, dass es keine irreführende Beschreibung ist. Beim Crowdfunding geht es vor allem um die Akquise von Geldern. Die Verwaltung des Geldes durch Bürger oder sonstige Dritte findet hier (noch) nicht statt.
Der Trend geht aber ganz klar in die von Ihnen genannte Richtung der Bürgerhaushalte: Mehr Beteiligung von Bürgern in deutschen Kommunen.
Grüße,
Lucas