im netzWie fasst man zwischen zwei Buchdeckeln den Wandel vom Medienkonsumenten zum -produzenten und deren Wechselwirkung zusammen? In der Reihe „Bonner Beiträge zur Online-Forschung“ ist ein Sammelband erschienen, der zahlreiche wissenschaftliche Zugänge zu den Veränderungen in der Herstellung, Verbreitung und Nutzung medialer Inhalte versammelt. Wie schwierig diese Aufgabe sein kann, zeigt sich bereits im Titel. politik-digital.de stellt das Buch vor.
Die „Digitale Gesellschaft“ ist zunächst eine unpräzise Zuschreibung für alles Mögliche. Sei es die seit 2011 aktive netzpolitische Interessenvertretung oder das derzeitige vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufene „Wissenschaftsjahr 2014“ gleichen Namens. Ist dies also ein mutiger Titel für eine neue Buchveröffentlichung? Schließlich gilt die Tatsache, dass unser berufliches und privates Umfeld von den Chancen und Risiken des digitalen Wandels durchsetzt ist, inzwischen als Binsenweisheit.
Und auch der Terminus Partizipation wird, die Herausgeber konstatieren es im Vorwort selbst, „beinahe inflationär und oftmals unspezifisch“ verwendet, wenn dieser Tage vom Wandel politischer Engagementformen im Zuge der Digitalisierung die Rede ist. Julia Serong schreibt im selben Band in diesem Zusammenhang sogar von einer „Begriffshyperinflation“.
Der Leser nimmt den von Jessica Einspänner-Pflock, Mark Dang-Anh und der renommierten Bonner Medienwissenschaftlerin Caja Thimm herausgegebenen Sammelband also in gespannter Erwartung zur Hand, hofft er doch, hinter einem nur sehr unpräzisen Titel eine tiefergehende Analyse vorzufinden.

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Einspänner-Pflock, Jessica / Dang-Anh, Mark / Thimm, Caja (Hg.): Digitale Gesellschaft – Partizipationskulturen im Netz. Reihe: Bonner Beiträge zur Onlineforschung, Band 4, 2014, 256 Seiten. Preis: €24.90
ISBN: 978-3-643-12109-7

In dem rund 250 Seiten starken Buch wird der Wandel  des Users vom passiven Konsumenten hin zum aktiven Nutzer und (Mit-)Gestalter digitaler Angebote anhand verschiedener Fallstudien untersucht. Bislang geläufige Analysekategorien der Kommunikationswissenschaft wie „Rezipient“ oder „Publikum“ wirkten in diesem Zusammenhang „wie aus einer anderen Zeit“, stellen die Autoren Katrin Jungnickel und Wolfgang Schweiger richtig fest.

Vielfältige Beiträge klar strukturiert

Die einzelnen Beiträge behandeln neben der mobilisierenden Wirkung von YouTube-Videos in Wahlkampfzeiten oder der Kampagnenarbeit von Greenpeace Deutschland durch virale Mobilisierung in Videoform auch das Mediennutzungsverhalten Jugendlicher oder die Möglichkeiten und Grenzen des SocialTV hierzulande anhand des BR-Experiments „Rundshow“.
Der Aufbau des Sammelbandes erfolgt klar strukturiert und nachvollziehbar. Die Beiträge sind nach einem einführenden Kapitel der drei Herausgeber in die Bereiche „Theoretische Perspektiven und Systematiken“, „Partizipation: Strategien und Netzkulturen“ sowie ein drittes Kapitel zu “Partizipation und Anschlusskommunikation“ untergliedert.
Inhaltlich vergleichen und somit in eine wertende Rangfolge bringen lassen sich die Beiträge selbstverständlich nicht; dafür sind die Erkenntnisinteressen und Fragestellungen zu unterschiedlich. Den für netzpolitisch Interessierte gewinnbringendsten Beitrag liefern Tobias Bürger und Esther Dorn-Fellermann mit ihrer Studie zu politischer Partizipation im Netz. Gewinnbringend vor allem deshalb, weil der für den gesamten Band erkenntnisleitende Begriff der Partizipation hier nicht nur in den beiden Dimensionen der politischen und medialen Mitbestimmung verwendet wird, sondern anhand zweier Online-Beteiligungstools auch in der Praxis überprüft wird.
Die Plattformen bundestag.de und avaaz.org werden unter den Gesichtspunkten medialer, politischer sowie medialer politischer Kommunikation untersucht. avaaz.org bietet demnach „mehr Möglichkeiten zur Politikproduktion“, wohingegen bundestag.de stärker als Informationsangebot verortet wird. Wenig überraschend zudem, dass „die Plattformpolitik der Betreiber einen großen Einfluss auf die Bereitstellung medialer Beteiligungsmöglichkeiten hat“.

Fazit: Von Experten für Experten

Die Lektüre überrascht den netz- und medienpolitisch interessierten Leser in Anbetracht des zunächst beliebig wirkenden Titels durchaus positiv. Mit „Die digitale Gesellschaft – Partizipationskulturen im Netz“ liegt zu einem ungemein fluiden Thema ein Sammelband mit sorgfältig ausgewählten Beiträgen vor, der seine  Leserinnen und Leser vornehmlich im akademischen Bereich finden wird. Gezeigt werden kann, dass die Kommunikations- und Medienwissenschaft trotz der enorm schnellen Wandlungsprozesse keine gänzlich neuen Analyseinstrumente entwickeln muss. Vielfach reicht es, bestehende Instrumente neu anzuwenden. Der vorliegende Sammelband bietet hierzu zahlreiche wichtige Impulse. Für die populärwissenschaftlich-interessierte Leserschaft erscheint die Orientierung entlang einer Vielzahl oftmals sperriger kommunikationswissenschaftlicher Fachtermini und Analysemuster hingegen zu rigide.
Als das größte Manko erscheint jedoch die Form des Buches selbst: Den Leserinnen und Lesern der Beiträgen fehlt – außer auf den Foren einschlägiger Konferenzen im akademischen „Elfenbeinturm“ – die Gelegenheit, zum Ende der jeweiligen Beiträge selbst die eigene Meinung, Anregungen oder Ergänzungen beizutragen, Fragen zu stellen und Verbesserungsvorschläge zu machen.
Dieses Manko liegt hingegen in der Natur der Sache und ist der Darstellung akademischer Forschungsinhalte eigen. Bei den im vorliegenden Sammelband präsentierten medien- bzw. kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen wäre es jedoch naheliegend gewesen, dieses Muster zu durchbrechen und die behandelten Themen für eine breitere interessierte Leserschaft zu öffnen. Das Thema der medialen und / oder politischen Partizipation böte für Verleger oder Herausgeber diverse Möglichkeiten, auf Online-Foren oder vermittels Social Media die Fragestellungen des Buches fortzuentwickeln und somit das Erkenntnisinteresse des Buches zumindest partiell in die digitale Wirklichkeit zu tragen.
Bild: flickr/tma_ev (CC BY-SA 2.0)
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