Der Onlinedienst
WIS bietet eine strukturierte Gegenüberstellung der Wahlprogramme von CSU, SPD, B’90/Grüne und FDP in Originaltexten an. Die informative Wiedergabe soll meinungsbildend auf den Wähler wirken.

 

Wahlprogramme sind besser als ihr Ruf. Viele Bürger sind der Ansicht, dass die Programme, in denen die Parteien ihre Pläne und Absichten darlegen, die sie im Falle einer Regierungsübernahme oder -beteiligung realisieren wollen, nur Schall und Rauch sind – Propaganda, aus der keine Rückschlüsse auf späteres Handeln gezogen werden können. Andere meinen, Wahlprogramme seien vor allem ein Ort ideologisch überhöhter Scheingefechte ohne Beziehung zum realen politischen Geschehen.

Diese Vermutung ist falsch, denn politikwissenschaftliche Untersuchungen haben für Deutschland, aber auch für andere Länder gezeigt, dass die Parteien ihre Programminhalte sogar häufig realisieren. Wahlprogramme bieten also durchaus eine verlässliche Informationsquelle.

Das Lesen ist allerdings harte Arbeit, denn ein durchschnittliches Wahlprogramm der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien umfasst schon mal an die hundert Seiten. Dabei sind zwar nicht für jeden Wähler alle Themen von Interesse, aber auch bei spezifischen Anliegen müsste man die kompletten Programme durchforsten, um herauszufinden, was die Parteien im Angebot haben. Weil dafür oft die Zeit fehlt, kann es nicht verwundern, dass die Kenntnisse der Wähler über die Inhalte von Wahlprogrammen zumeist bescheiden sind.


www.waehlerinformationssystem.de – von Duisburger Studierenden entwickelt

An dieser Stelle setzt das interaktive, online-verfügbare
Wählerinformationssystem (WIS) an. Als Informationsangebot zur bayerischen Landtagswahl am 21. September 2003 konzipiert, ermöglicht es auf Grundlage einer Datenbank gezielte Recherchen in den Wahlprogrammen der CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. WIS wurde von 15 Studierenden des Studiengangs Angewandte Kommunikations- und Medienwissenschaft (KOMMEDIA) an der Universität Duisburg-Essen im Rahmen eines interdisziplinären Projekts im Sommersemester 2003, in der unter der Leitung des Parteienforschers Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck politikwissenschaftliche und informationstechnische Kompetenzen zusammengebracht und praktisch nutzbar gemacht wurden – entwickelt.


Wahlprogramme der „vier bundespolitisch wichtigsten Parteien“

Die Wahlprogramme der „bundespolitisch wichtigsten Parteien“, die auch um Sitze im bayerischen Landtag konkurrieren – CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie die seit 1990 nicht mehr im Landtag vertretene FDP- wurden einer inhaltlichen Klassifikation unterzogen, in allgemeine Politikbereiche und spezifischere Politikfelder unterteilt und in eine Datenbank eingepflegt. Dabei wurden keinerlei Änderungen am Originaltext vorgenommen. Arbeitsökonomischen Gründen ist es geschuldet, dass nur die Wahlprogramme der vier bundespolitisch relevantesten Parteien durch WIS zur Verfügung gestellt werden. Demokratietheoretisch angemessener wäre es, das Angebot auf die Wahlprogramme sämtlicher Parteien und Vereinigungen auszuweiten, die sich an der bayerischen Landtagswahl beteiligen. Dies war im Rahmen des einsemestrigen studentischen Projektes auf Grund begrenzter zeitlicher Ressourcen nicht möglich.


Benutzerfreundliche Recherche, Gegenüberstellung und Volltextsuche

Über eine Selektion nach Parteien, Politikbereichen und Politikfeldern kann der User direkt zu den gewünschten Textpassagen aus den Wahlprogrammen gelangen. Für 10 Politikbereiche mit insgesamt 58 Politikfeldern kann so per Mausklick in kürzester Zeit ermittelt werden, welche Positionen in den Wahlprogrammen vertreten werden. Auch die Gegenüberstellung der Positionen von zwei, drei oder allen vier Parteien zu einem bestimmten Politikfeld ist online möglich. Es bestehen außerdem die Möglichkeiten einer Freitextsuche in allen vier Wahlprogrammen oder des Download der Orginal-Programme.


Wissenschaftliche Hintergrundinformationen zum Thema Wahlprogramme

Als Ergänzung zur Recherche in den aktuellen Programmen bietet WIS außerdem Einblicke in die politikwissenschaftliche Forschung des Themas „Wahlprogramme“ und ihren Stellenwert in der repräsentativen Demokratie. Von den TeilnehmerInnen des Praxisprojektes verfasste Essays erörtern Unterschiede in Wahlprogrammen der deutschen Parteien, Faktoren, die Parteien zu Programmänderungen veranlassen, sowie das Ausmaß, in dem Wähler die Inhalte von Wahlprogrammen überhaupt zur Kenntnis nehmen. Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit Wahrnehmungen und Bewertungen der Parteien und Programme durch Wähler, dem Stellenwert von politischen Sachfragen und Problemen für das Wählerverhalten oder erörtern die Frage, ob sich das Handeln von Parteien nach ihren programmatischen Versprechungen richtet und inwieweit sich Wahlprogramme somit zur Prognose des politischen Handelns der Parteien nach der Wahl eignen.


Kein zweiter Wahl-O-Mat

Wenn für immer mehr Menschen Politik immer weniger fassbar und politische Zusammenhänge immer weniger greifbar werden, haben informationsverdichtende Angebote Hochkonjunktur. Das hat nicht zuletzt der bahnbrechende Erfolg der Seite
www.wahlomat.de im Bundestagswahlkampf 2002 gezeigt. Die Idee dazu stammt aus den Niederlanden und ist im Grunde genial: Mit wenigen Mausklicks kann der Internetnutzer herausfinden, welche Partei er wählen sollte. Ermittelt wurde diese Empfehlung auf der Basis von aktuellen 25 Streitfragen, die zuvor den Bundesgeschäftsstellen der fünf im Bundestag vertretenen Parteien zur Beantwortung vorgelegt wurden. Der Wahlomat hat damit eine politisch-mediale Marktlücke gefüllt. Seine Dienste wurden auf Grund der kurzen und unkomplizierten Verfahrensweise von einer großen Öffentlichkeit in Anspruch genommen. Das ist weit mehr, als die meisten politischen Portale erreichen, und der Studierendengruppe aus Berlin und ihren wirtschaftlichen Unterstützern kann man dazu nur gratulieren.

Wie viele Benutzer aber tatsächlich am Wahltag entsprechend ihrer Empfehlung entschieden haben, ist gleichwohl nicht bekannt. Auch gibt es keine Erkenntnisse darüber, ob User ihre Wahlentscheidung tatsächlich verändert haben, oder ob potentielle Nichtwähler auf Grund der Wahlomat-Empfehlung doch an der Wahl teilnahmen. Der Wahlomat konnte zwar helfen, die Beurteilung von Politikzielen durch User einzuschätzen, eine Wahlentscheidung wird aber letzten Endes auch von der Parteienpräferenz, dem sozialen Umfeld oder der Wahrnehmung von Kandidaten beeinflusst. Diese Einflüsse blieben bei der Empfehlung des Wahlomaten unberücksichtigt. Stattdessen wurde auf der Basis von 25 Antworten die Wahl einer Partei empfohlen – populärwissenschaftlich hervorragend, politikwissenschaftlich zumindest hinterfragungswürdig.

Das Wählerinformationssystem setzt an einer anderen Stelle an und ist insofern nicht in Konkurrenz zum Wahlomaten zu sehen: WIS holt Wahlprogramme – die von Parteitagen verabschiedeten Fahrpläne für die Zeit nach der Wahl – aus den staubigen Kellern der Wahlkreisbüros und präsentiert sie im Internet einer interessierten Öffentlichkeit. Über verschiedene Selektionen wird dem Nutzer die Lektüre der Programme deutlich erleichtert. Dabei gibt es weder eine starre Frage-Antwort-Navigation – allein der User bestimmt, was er als nächstes wissen will – noch eine Empfehlung, welche Partei zu wählen ist. Dem User wird zugemutet, selbst zu lesen, zu vergleichen und zu bewerten. Das ist gewiss umständlicher, als 25 Fragen mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ zu antworten. Aber im Gegensatz zum Wahlomat ist eine so gebildete oder gestärkte Meinung von eigenen, individuellen Schwerpunktsetzungen geprägt.

Erschienen am 3.9.2003