Die Übernahme durch Bertelsmann ist mehr als der Streit um kostenlose Musik im Internet


Die mit 37 Millionen Nutzern weltweit beliebteste und durch Prozesse stark gebeutelte Internet-Musiktauschbörse Napster
ist vergangene Woche de facto an Bertelsmann gefallen. Das Ende kostenlosen und unbegrenzten
Tauschens durch dieses System ist damit nahe. Erboste Musikfreunde drohen in Foren mit dem
Wechsel auf einen der zahlreichen Klons.

Eigentlich
geht es jedoch um etwas Größeres als nur
den freien Zugang zu kostenloser Musik: um neue Vertriebswege für
"Content", neue Geschäftsmodelle, kurz: um neue Märkte und Macht.

Innerhalb eines Jahres ist aus einem Programm des mittlerweile 19jährigen College-Studenten
Shawn Fanning die größte und beliebteste Internet-Musiktauschbörse geworden.
Napster hat derzeit rund 37 Millionen Nutzer, die sich – dank der MP3-Technologie – aus dem
nahezu unerschöpflichen Quell kostenloser Songs bedienen. Klar, dass dies den Musikkonzernen
nicht schmeckt. Denn wer sich im virtuellen Plattenladen bedient, der braucht keine CD’s mehr
zu kaufen. Logisch, dass der Goliath RIAA (US-Musikindustrieverband) mit Beteiligung der
einschlägigen Branchenriesen den anarchistischen David wg. Urheberrechtsverletzungen mit Klagen
überzieht. Der Rechtsstand soweit: In der ersten Instanz konnten sich die Kläger durchsetzen.
Ein Berufungsgericht hob dann die Anordnung zur Schließung Napsters auf. Im Augenblick befindet
sich das Ganze in der Revision. Wer will, kann sich noch ungehindert seine Lieblingssongs auf
die Platte laden.

Für Wirbel sorgte letzte Woche dann die Meldung, dass der Bertelsmann-Konzern
Napster übernommen habe. Dem finanziell angeschlagenen David wird ein Kredit in zweistelliger
Millionenhöhe zum Aufbau eines neuen Abonnementsystems zur Verfügung gestellt, der Medienriese
erhält dafür eine garantierte Option auf Anteile. De facto eine Übernahme. Downloads – von
Promotiontiteln einmal abgesehen – werden damit in absehbarer Zukunft wohl gebührenpflichtig
werden und das Angebot vorläufig auf die Titel der Bertelsmann Music Group (BMG) reduziert.
Infolgedessen werden sich Dutzende von Klons wohl über steigende Mitgliederzahlen freuen können.

Letzten Endes geht es aber nur vordergründig um die Zukunft von Napster als unlimitierter und
kostenloser Tauschbörse oder um die zahlreichen Nachahmer. Diese auf Dauer zu unterbinden wäre
in der globalen und immer noch weitgehend anarchistischen Welt des Internet ohnehin ein
hoffnungsloses Unterfangen. Es geht vielmehr um neue Vertriebswege und Geschäftsmodelle,
die sich den einzigartigen technischen Möglichkeiten des Mediums Internet verdanken.
Dies schließt nicht nur Musiktitel ein, sondern auch Bücher, Videos, Computerspiele, etc.
Kurz: alles, was in digitaler Form vom Produzenten zum Endverbraucher gelangen kann – ohne
den Umweg über LKW’s oder das nächste Kaufhaus. Nach den ersten Abwehrversuchen der
Branchenriesen gegenüber den sich hier abzeichnenden gravierenden Änderungen, hat sich
Bertelsmann-Chef Middelhoff nun dazu entschlossen, den vermeintlichen Feind zu umarmen und die
Flucht nach vorne anzutreten.

Keine CD’s mehr im Laden kaufen, sondern einzelne Titel zu Hause selbst zusammenstellen. Legal
und gegen Bezahlung, dafür aber auch in gesicherter Qualität und mit gutem Gewissen. Dies ist
nach Ansicht von Middelhoff der Vertriebsweg der Zukunft. Sicherlich wird dies den Verkauf von
CD` s nicht stoppen, denn es gibt immer noch Qualitätsunterschiede zwischen MP3 und der
silbernen Scheibe. Nach einer neuen Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers
facht das Probehören im Netz sogar eher den CD-Verkauf an.
(Siehe hierzu auch einen Artikel des Online-Magazins wired.com)
Aber warum nicht auch an denen verdienen, die einzelne Musikstücke haben wollen und die
angesichts der geringeren (Telefon)-Kosten Abstriche bei der Qualität hinnehmen?

Bei Musik muss es aber noch lange nicht enden. Was ist zum Beispiel mit Büchern? Horrorautor
Stephen King beispielsweise bietet unter Umgehung seines Verlages bereits eine
Geschichte an, die exklusiv und portionsweise im Internet erscheint. Kosten: ein freiwilliger
Beitrag von ein paar Dollar. Der Buchverlag RandomHouse (Bertelsmann) hat
ähnliche Angebote. Auf der Website von Contentville stehen u.a.
Presseartikel, Dissertationen, Zeitungs- und Zeitschriftenabos, Redemanuskripte und Bücher zur
Verfügung. Aus einer Hand gibt es hier, was bisher von unterschiedlichen Unternehmen auf
verschiedenen Vertriebswegen unter die Konsumenten gebracht wurde. Solche
Konzentrationstendenzen geben freilich nicht nur zu Jubelstürmen Anlass.

Bei Videos oder Spielen gestaltet sich das Ganze aufgrund der großen Datenmengen und
beschränkter Bandbreiten derzeit noch schwierig. Auch wenn der Tausch von Videos bei Seiten
wie Mojonation
schon angeboten wird. Die Konzerne arbeiten jedoch an Lösungen. Vor
rund zwei Wochen ist Bertelsmann eine Kooperation mit der Telekom
eingegangen, um im Berliner Kabelnetz einen Pilotversuch mit
rückkanalfähigen TV-Netzen zu starten. Eine weitere Möglichkeit wäre
die sogenannte DSL-Technik (bei der die Telekom ein Quasi-Monopol
besitzt) mit der die Übertragungsgeschwindigkeiten alter Telefonkabel
auf bis zu 30fache ISDN-Geschwindigkeit gebracht werden können. Auch
der Hauptkonkurrent von Bertelsmann, die Kirch Gruppe, bändelt seit
längerer Zeit mit dem rosa Riesen und entwickelt Set-Top-Boxen, die das
Fernsehen zur Multimediamaschine machen sollen.

Zwischen einander eigentlich branchenfremden Konzernen werden hier Partnerschaften geschlossen.
Telekommunikationsunternehmen avancieren zu Anbietern von Inhalten. Klassische
Unternehmensstrukturen und Vertriebswege werden umgeworfen. Das Konsumentenverhalten wird sich
in Bereichen mit digitalem Content ändern. Produkte werden sich verändern. Wer zum Beispiel,
ganze Bücher nicht am heimischen PC ausdrucken möchte, wird sie am Bildschirm oder auf seinem
eBook lesen können – oder müssen. Die Möglichkeiten sind vielfältig.

Die "strategische Allianz" zwischen Bertelsmann und Napster ist mehr als der geschickte
Versuch, den ungeliebten Anarchisten zu domestizieren. Es könnte eine zukunftsweisende
Entscheidung sein, die – über den Bereich Musik hinausgehend – klassische Vertriebstrukturen
und Geschäftsmodelle umwälzen wird. Die Branchenriesen scheinen die Potentiale des Internets
und von Tauschsystemen wie Napster erkannt haben, und sie möchten sie für ihre Produkte
nutzbar machen. Die Zukunft gehört dem digitalen Content.