Bereits vor den wegweisenden Protesten in Tunesien im Dezember 2010  gab es ein Ereignis, das zum symbolischen Vorreiter der „Arabellion“ hätte werden können: die „Grüne Bewegung“ von Teheran. Sie hielt sich allerdings nur wenige Wochen. Kürzlich wurde im persischen Cyberspace ihr Jubiläum gefeiert und derjenigen gedacht, die bei den Demonstrationen ihr Leben ließen. Anlässlich dieses Gedenkens erörtert politik-digital mit der iranischen Exiljournalistin Negin Behkam, was aus der Bewegung wurde und wohin ihr Land mittelfristig steuert.

Während manche Blogger der Grünen Bewegung drei Jahre nach den blutigen Ereignissen in Teheran vor allem in Erinnerungen an die Proteste schwelgten, analysierten andere deren Verlauf und diskutierten über die Zukunftsperspektiven der Bewegung. Auf Facebook wurde der Opfer gedacht, auf Twitter wurde unter #RememberIran eine rege Diskussion geführt, die vom Nachrichtensender Al Jazeera mit einem Eintrag auf Storify gewürdigt wurde. Dieses lebhafte kollektive Erinnern im Netz, diese „Schreie eines stillen Volkes“ (so die iranische Webseite Shafaq) sind Anlass genug, einer weiteren iranischen Stimme Aufmerksamkeit zu schenken. Einer Stimme, die ein Teil der „Grünen Bewegung“ war – und mittlerweile als politischer Flüchtling in Deutschland lebt.

Die iranische Politik-und Wirtschaftsjournalistin Negin Behkam (27) lebt in Berlin. In Teheran arbeitete sie bei einer Vielzahl unterschiedlicher Zeitungen, ehe sie aufgrund ihrer regierungskritischen Artikel in den Blick des Regimes geriet. Wie viele andere ihrer Kollegen verließ sie ihr Heimatland, um einer Inhaftierung zu entgehen. In Deutschland unterstützt sie die Arbeit von „Reporter ohne Grenzen“.

politik-digital: Frau Behkam, vor zwei Jahren haben Sie den Iran verlassen. Wie war damals die Situation der politischen Opposition?

Negin Behkam: Nach den Präsidentschaftswahlen 2009 gab es viele Proteste gegen die offiziellen Wahlergebnisse. Die Diskussionen der iranischen Bevölkerung fanden dabei auf vielen verschiedenen Ebenen statt: auf der Straße, in den Social Media-Kanälen und sogar bei spontanen Fahrgemeinschaften im Taxi. Zwar hatten die Menschen Angst, aber es gab einen regen Informationsaustausch – auch über Flugblätter. Das Regime reagierte unter anderem damit, gezielt die Handynetze zu stören, wenn wieder Demonstrationen organisiert werden sollten. Auch das Internet war davon betroffen und war mitunter stundenlang nicht erreichbar.

politik-digital.de: Wenn es aber erreichbar war: Welche Rolle spielte das Internet für die Oppositionellen?

© ROG / Negin Behkam

Negin Behkam: Soziale Medien wie Facebook und Twitter waren sehr wichtig, um Informationen zu verbreiten und sich der Welt mitzuteilen. Fotos und Videos konnten sehr schnell hochgeladen werden, um somit einen authentischen Eindruck von den Demonstrationen und der Situation auf Teherans Straßen zu vermitteln. Auf der anderen Seite gilt der bloße Internet-Aktivismus der „Grünen Bewegung“ als einer der Hauptgründe dafür, dass sie bereits nach ein paar Monaten erloschen ist. Viele Leute aus der Bewegung waren nur „Sesselaktivisten“, deren Aktionsradius nicht über Internet-Posts hinausging. Das hat sich letztlich gerächt.

politik-digital.de: Der Bewegung hat also letztlich die Substanz gefehlt, weil sie nicht nachdrücklich genug auf die Straße getragen wurde? Ein Hauch von Revolution vom heimischen Computer aus, mehr nicht?

Negin Behkam: Ich würde es noch nicht einmal als Revolution bezeichnen, sondern nur als Bewegung. Das Internet hatte in unserem Fall gleichzeitig viele Vor- und Nachteile.

politik-digital.de: Als jemand, der die politischen Realitäten im Iran 25 Jahre hautnah miterlebt hat: Wie empfinden Sie die Berichterstattung hierzulande über ihr Heimatland? Wird sie den Realitäten vor Ort gerecht?

Negin Behkam: Nun, die westlichen Medien haben auf jeden Fall nicht so ausführlich über die „Grüne Bewegung“ berichtet wie über vergleichbare Strömungen in anderen Ländern. Die Proteste in Russland, Tunesien und Ägypten beispielsweise bekamen viel mehr Raum. Das Interesse an uns war bei den westlichen Medien offensichtlich nicht allzu groß. Außerdem hat das Regime in Teheran heimlich viel logistische Hilfe aus westlichen Ländern erhalten, die letztlich gegen das iranische Volk eingesetzt wurde.

politik-digital.de: Waren sich die Iraner dieser „geheimen Hilfen“ bewusst, die das Regime erhielt?

Negin Behkam: Ja, es gab Veröffentlichungen zu diesem Thema, z.B. bei Wikipedia. Siemens beispielsweise hatte mit der Störung der Handynetze zu tun, indem es Teheran Technologie und Know-how bereitstellte. Auch fanden Waffenlieferungen aus dem Westen an die Regierung statt.

politik-digital.de: Seit eineinhalb Jahren hält die sogenannte „Arabellion“ – Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien – den Westen in Atem. Die Machthaber verfolgen die Entwicklung mit großem Interesse. Sehen Sie die Chance, dass die Demokratisierungswelle aus der Mitte des Volkes auch den Iran mittelfristig in die „Arabellion“ tragen wird?

Negin Behkam: Ich fürchte, es ist noch ein langer Weg. Viele Oppositionelle sitzen im Gefängnis oder haben das Land verlassen. Und das betrifft vor allem diejenigen, die den demokratischen Wandel vorantreiben könnten – Reformisten, Journalisten, Aktivisten. Viele wichtige Leute sind also gar nicht mehr vor Ort und können dementsprechend nicht die Präsenz zeigen, die so wichtig wäre für das iranische Volk. Wir haben momentan keine wirkliche Alternative zu Ahmadinedschad. Diejenigen Reformisten, die nicht im Gefängnis oder Exil sind, haben sich bis auf weiteres aus der Politik zurückgezogen.

politik-digital.de: In den westlichen Medien ist Ahmadinedschad stets wie der Teufel höchstpersönlich dargestellt worden. Ein fanatischer Antisemit, der mittelfristig zum nächsten großen Kriegstreiber werden könnte. Wie ist sein Ruf in Ihrem Heimatland?

Negin Behkam: Einerseits zeigen die Proteste nach den letzten Wahlen, dass viele Iraner gegen ihn sind. Gleichzeitig hat er in den Städten aber auch viele Anhänger. Und nicht zu vergessen sind auch die anderen Staaten im Mittleren Osten: Aufgrund seiner anti-amerikanischen und anti-israelischen Rhetorik ist Ahmadinedschad dort mancherorts auch sehr beliebt. Das hätte ich nicht erwartet, aber ich habe es selbst erlebt.

politik-digital.de: Im Netz kursierte kürzlich die Facebook-Kampagne eines Israelis, dessen Slogan „Israel Loves Iran – We will never bomb your country“ sich rasant im sozialen Netzwerk verbreitet hat. Hat das irgendeine spürbare Wirkung im Iran?

Negin Behkam: Es ist ziemlich kitschig und hat auch keine realpolitische Wirkung – aber  andererseits ist es ganz sympathisch. Zumindest hatte die Aktion keine negativen Effekte. Solche Facebook-Maßnahmen sind ein Weg, einen Dialog zu beginnen und Vorurteile abzubauen. Letztlich wissen unsere beiden Völker ja kaum etwas über einander.

Zweifellos stellt das Internet ein geeignetes Werkzeug dar, um solche Barrieren der beiderseitigen Unwissenheit und Vorurteile zu überwinden– „Sesselaktivismus“ und langwierige Demokratisierungsprozesse hin oder her. Und selbst wenn es einmal kitschig wird: Ist Kitsch nicht immer noch besser als Apathie?