In Brüssel brodelt es digital. Nach der umstrittenen Datenschutzgrundverordnung wird im EU-Parlament nun auch eine weitreichende Reformierung des Urheberrechts angestrebt. Was dazu gedacht ist, das geistige Eigentum zu schützen und der digitalen Transformation durch rechtliche Anpassungen gerecht zu werden, könnte weitreichende Konsequenzen für den freien Informationsaustausch haben, bemängeln Kritiker. Ein Kommentar über gut gemeinte Ideen, juristische Probleme und gesellschaftliche Folgewirkungen.
Es ist ein Projekt, das Produzenten wie Youtubern, Journalisten und Künstlern einen fairen Anteil am viralen Erfolg garantieren soll: Nach langem Ringen hat der Rechtsausschuss des europäischen Parlaments am vergangenen Mittwoch eine strikte Reform des Urheberrechts beschlossen, die auf einen Vorstoß der Kommission von vor über zwei Jahren zurückgeht. Diese verpflichtet soziale Netzwerke in Zukunft dazu, sowohl „angemessene und faire“ Lizenzverträge mit Rechteinhabern zu schließen als auch Inhalte bereits vor dem fertigen Upload auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu überprüfen. Das ist zwar gut gemeint, könnte in der Praxis aber zu einer starken Einschränkung von Meinungsfreiheit und Informationsreichweite führen.
Die Skepsis gegenüber „Upload-Filtern“ ist riesig
Besonders in der Kritik stehen hierbei die sogenannten „Upload-Filter“. Hierbei handelt es sich um meist Algorithmen-basierte Software, die Daten beim Hochladen auf eine Plattform gemäß einprogrammierter Kriterien filtert und selektiert. Sie werden im aktuellen Entwurf zwar nicht konkret genannt, wären aber wohl letztlich die einzige Anwendungslösung für Google, Facebook & Co., um die riesigen Datenmengen effektiv auf Urheberrechtsverletzungen prüfen zu können. Problematisch sind hierbei gleich mehrere Punkte: So sind derartige Filter nicht selten recht fehleranfällig und könnten daher auch Inhalte blockieren, die fälschlicherweise für urheberrechtswidrig gehalten werden.
Dies kann immer dann passieren, wenn sich diese Inhalte mit geschützten Inhalten ähneln, wie es häufig bei Coverversionen von Songs, Memes oder Satirevideos der Fall ist. Zahlreiche Gegner des Entwurfs, darunter auch Größen der Branche wie Mitbegründer von Wikipedia und Mozilla haben sich daher Kampagnen wie „Save your Internet“ oder „Save the meme“ angeschlossen. Sie befürchten, dass die Upload-Filter nicht präzise genug programmiert werden können, um Dateien auf der Grundlage feinster juristischer Abwägungen zu bewerten. Gleichzeitig bemängeln Kritiker, dass es kaum Möglichkeiten für User gibt, sich gegen Upload-Verweigerungen zu wehren.
Die Kultur des offenen Webs ist in Gefahr
Dies würde im schlimmsten Fall dazu führen, dass viele kreative Inhalte vollständig aus dem Netz verschwinden, wodurch letztlich auch der lebendige Austausch auf sozialen Netzwerken durch alle Nutzer stark eingeschränkt wäre und damit auch die Kultur des offenen Webs in Frage stände. Jener Effekt wird möglicherweise dann noch verstärkt, wenn Unternehmen wie Facebook besonders restriktive Upload-Filter einsetzen, um dem Risiko zu entgehen, gegen die urheberrechtlichen Regelungen zu verstoßen. Obwohl der Entwurf eigentlich auf die großen digitalen Branchenführer abzielt, kann es hierbei auch kleinere Firmen und Start-Ups treffen, denn der Gesetzentwurf spricht nur vage von „Dienstanbieter(n) der Informationsgesellschaft, die große Mengen der von ihren Nutzern hochgeladenen Werke (…) speichern oder öffentlich zugänglich machen“. Ab wann eine Datenmenge groß genug ist, damit Anbieter unter diese Definition fallen ist hingegen unklar. Gerade die digitalen Newcomer und kleine Plattformen können es aber meist weder finanziell noch technisch leisten, passende Upload-Filter zu entwickeln, einzusetzen und mögliche Sanktionen bei Verstößen zu tragen.
Große Missbrauchsgefahr durch Selektionssoftware?
Gleichzeitig steht auch die Frage nach neuen Zensurmöglichkeiten durch Upload-Filter im Raum. Viele befürchten, dass deren Einsatz eine Blaupause für den Missbrauch durch Politik und Geheimdienste darstellt. So könnten jene Filter künftig auch eingesetzt werden, um das Auftauchen unliebsamer Informationen im Netz von vornherein zu verhindern. Dieser Argumentation muss jedoch entgegengesetzt werden, dass der vorliegende Entwurf initiiert wurde, um private Unternehmen zur strikten Rechtsbindung zu verpflichten. Algorithmen-basierte Filter sind etwa bei der NSA keine Zukunftsvision, sondern längst Realität, weshalb die Frage nach Zensur erst dann greifen würde, wenn staatliche Organisationen auch administrativen Zugriff auf soziale Netzwerke erhielten.
Gesetzentwurf bringt wenige Vorteile und viele Nachteile
Trotz aller Kritik gibt es durchaus Akteure, die von der Reform profitieren. Hierbei handelt es sich vor allem um große Medienhäuser, die bisher hohe Geldbeträge in die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen stecken mussten. Dadurch, dass diese Inhalte erst gar nicht erscheinen, fallen die Kosten jener Prozesse nun weg und können etwa für Werbung eingesetzt werden. Alles in allem lässt sich jedoch feststellen, dass die Reformierung des digitalen Urheberrechts mehr Schaden als Nutzen verursacht – und Asymmetrien zwischen den Marktteilnehmern verstärkt statt aufhebt.
Ein gutes Beispiel hierfür ist auch das bereits in Deutschland geltende Leistungsschutzrecht für Presseverleger, das im Zuge der Reform künftig EU-weit greifen soll. Es soll Suchmaschinenanbieter, allen voran Google, dazu verpflichten, Lizenzgebühren an Verlage zu zahlen, um deren Inhalte im Ranking zu veröffentlichen. De facto sind aber vor allen Dingen kleine Verlage stark auf eine große Online-Reichweite angewiesen und vergeben die Lizenzen daher kostenlos an den Suchmaschinenriesen.
Fazit: Das Internet-Recht wird zu kurz gedacht
Beobachtet man die aktuellen Bemühungen der EU, digitale Regulierungsmechanismen zu implementieren, so fällt auf, dass durchaus ein ernsthafter Wille vorhanden ist, bestehende Defizite von politischer Seite anzugehen. Gleichzeitig muss jedoch festgestellt werden, dass die juristische Ausarbeitung meist als äußerst mangelhaft bezeichnet werden muss. Dies liegt vor allem daran, dass offensichtliches Verständnis für digitale Strukturen und Märkte sowie deren Funktionsweise fehlt. Hier wird einfach zu kurz gedacht. Nur so oder durch gezielte Lobbystrategien von Interessensverbänden lässt es sich erklären, dass sich scheinbare Absichten und Wirkungen gegenseitig derart verfehlen. Bereits Anfang Juli soll das Plenum des EU-Parlaments in Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten treten. Wenig Zeit für die Gegner, ihre Kritik in wirksamen politischen Druck zu verwandeln.