Manche Ideen sind nicht totzukriegen. Egal wie viele Gerichte ein Gesetz für verfassungswidrig erklären, egal wie groß der Protest in Politik und Bevölkerung ist – die Vorratsdatenspeicherung geistert seit Jahren durch das Land.
Nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar dieses Jahres ließen die Rufe nach mehr Überwachung aus der Politik nicht lange auf sich warten. Vor knapp einem Monat dann gab auch der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel seine Zurückhaltung auf und forderte seinen Parteigenossen und Justizminister Heiko Maas auf, einen neuen Vorschlag für eine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorzulegen. Maas hatte zuvor mehrfach öffentlich seine Skepsis gegenüber einer anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten geäußert und nach dem Entscheid des EuGH vom April 2014 auch klargestellt, dass nationale Alleingänge für ihn nicht in Fragen kommen. In den folgenden Tagen und Wochen überraschte der Vizekanzler dann mit verschiedenen Fallbeispielen, in denen eine Vorratsdatenspeicherung seiner Meinung nach zur Aufklärung von Straftaten geholfen hätte. Der Überprüfung konnte zwar kein Szenario standhalten, aber am Zeitplan für neue Eckpunkte für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung bis zum Sommer wurde stoisch festgehalten.
Des Kaisers neue Kleider
Heute nun legten das Justizministerium und das CDU-geführte Innenministerium unter Thomas de Maizière in getrennten Pressemitteilungen noch schneller als erwartet ihre gemeinsamen Vorschläge für eine verfassungskonforme Überwachung der Kommunikationsdaten der Bürger vor. Die strengen Vorgaben aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts (2010) und des Europäischen Gerichtshofs soll der neue Entwurf einhalten.
Wie es sich für einen ordentliche Relaunch gehört, wird das ungeliebte Produkt zunächst umbenannt, damit nicht sofort die eingespielten Abwehrreflexe beim Bürger ausgelöst werden. Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Höchstspeicherfrist, sonst ändert sich nix.
Die neuen Leitlinien sehen vor, bei der Kommunikation anfallende Verkehrsdaten befristet zu speichern. Das sind Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs bzw. des Empfangs einer Nachricht und beim Mobilfunk auch die Standortdaten, IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe einer IP-Adresse. Ausgenommen sind die Inhalte der Kommunikation, der E-Mail-Verkehr und aufgerufene Webseiten. Die Daten sollen künftig für zehn Wochen gespeichert werden, für Standortdaten gilt eine verkürzte Speicherdauer von vier Wochen, um die Erstellung von Bewegungsprofilen zu verhindern. Ein Abruf der Daten ist nur bei schwersten Straftaten und unter Richtervorbehalt vorgesehen. Der Straftatenkatalog orientiert sich am Katalog zur Wohnraumüberwachung und umfasst neben Straftaten mit terroristischem Hintergrund vor allem Handlungen, die geeignet sind, Leib, Leben, Freiheit oder auch die sexuelle Selbstbestimmung Dritter zu gefährden. Die Übersicht ist den Leitlinien beigefügt und gibt Einblick in die Definition „schwerster Straftaten“.
Nach der Kritik des Bundesverfassungsgerichts soll für Berufsgeheimnisträger (wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten) ein Abruf- und Verwertungsverbot der gespeicherten Daten gelten. Ob dem besonderen Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Personen damit Genüge getan wird, ist fraglich, da die Kommunikationsdaten beider Teilnehmer trotzdem für zehn Wochen gespeichert werden wie bei allen andere Nutzern auch.
Eine Ankündigung in den Leitlinien könnte noch teuer werden. Da die Anbieter von Telekommunikationsdiensten die abgerufenen Daten im Inland sicher verschlüsselt in gesonderten Einrichtungen speichern sollen, stellt das BMJV in Aussicht, die Dienstleister für die Umsetzung der Speicherpflicht zu entschädigen, sollte ihnen eine zu hohe Kostenlast entstehen. Was passiert, wenn Daten verloren gehen oder Server angegriffen werden – dazu schweigt sich das Ministerium aus. Nur der neue Straftatbestand „Datenhehlerei“ soll die Strafverfolgung im Ernstfall ermöglichen.
Die heute vorgestellten Leitlinien sehen also weiterhin eine anlasslose, flächendeckende Speicherung der Telekommunikationsdaten aller Bürger Deutschlands vor. Das Gefühl der ständigen Überwachung, das sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch dem EuGH kritisiert wurde, dürfte durch die vorgestellten Maßnahmen nicht abgeschwächt werden. Justizminister Maas muss nun die Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung verteidigen und sich der Kritik der VDS (heute: HSF)-Gegner stellen, zu denen er noch bis vor einem Monat ebenfalls zählte. So schnell geht es manchmal in der Politik.
Bild: Dave Gorman
[…] VORRATSDATENSPEICHERUNG Politik Digital: Aus #VDS wird Höchstspeicherfrist: Das Umbenennen von politischen Themen zur Eroberung der Deutungshoheit ist ein beliebtes Mittel in der Politik. Vor anderthalb Jahren wollte man die Netzpolitik der aktivistischen Szene entreißen und sprache nur noch von Digitapolitik, passend zur Digitalen Agenda. Ähnlich läuft es jetzt mit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, die jetzt als zwei Wochen kürzer ausfallende Höchstspeicherfrist wieder zurück ist, wie Julie Rothe auf Politik-Digital.de erklärt. […]
[…] Rebranding: Aus #VDS wird Höchstspeicherfrist von Julie Rothe […]