Heute beginnt in Berlin die siebte re:publica. Die seit 2007 jährlich stattfindende Bloggerkonferenz dokumentiert nicht nur den Wandel der gesellschaftlichen Sicht auf Internet-basierte Kommunikation. Die rasant wachsende Bedeutung der Veranstaltung zeugt auch vom Orientierungsbedarf der Öffentlichkeit bei der Bewertung digitaler Innovationen und neu entstandener Beteiligungsformen. Doch welche Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger, das politische und gesellschaftliche Leben mitzugestalten?
Wer sich einen Überblick über das Web 2.0 und die dadurch entstandenen gesellschaftlichen und medialen Entwicklungen verschaffen will, kommt an der re:publica nicht vorbei.
Nachdem im Gründungsjahr der Konferenz 2007 noch recht allgemein das “Leben im Netz” thematisiert wurde, rückten in den Folgejahren immer stärker die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen in den Mittelpunkt. Einen Wendepunkt stellte die re:publica 2011 dar: für die Veranstaltung selbst ebenso wie für die deutsche Netzpolitik. Denn mit der Gründung der „Digitalen Gesellschaft” wurde ein Teil der Netzaktivisten selbst aktiv und engagiert sich seitdem organisiert in netzpolitischen Themenfeldern.
Die re:publica hat es in den letzten Jahren geschafft, Menschen miteinander zu verbinden, sie hat ein Gemeinschaftsgefühl genährt, das über Freundes- und Followerlisten hinausgeht. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die in der Konferenz thematisiert wurden, spiegelten sich auch in der politischen Welt wider: So zog in Berlin eine Partei von Internet-Aktivisten in das Abgeordnetenhaus ein, während in New York, Paris, Madrid und anderen Großstädten die Menschen aus Empörung über die Bankenkrise auf die Straße zogen und den öffentlichen Raum besetzten. Die Bilder aus dem Zuccotti Park oder von der Puerta del Sol blieben hängen, genau wie das Community-Gefühl einer ganzen Generation, die über soziale Netzwerke an den Protesten teilnahmen – egal wo sie waren.
Die digitalisierte Öffentlichkeit will mitmischen
Der Wunsch nach Teilhabe und Veränderung ist aber kein Phänomen einer krisengeschüttelten westlichen Welt. Durch kleine lokale Probleme ausgelöst, veränderte etwas, das wir heute den “Arabischen Frühling” nennen, die gesamte arabische Welt. Auch wenn es übertrieben scheint, in diesem Zusammenhang von „Facebook-Revolutionen“ zu sprechen, so wurde doch das Internet stärker als je zuvor politisch motiviert genutzt.
ACTION! lautete deshalb auch das Motto der re:publica 2012, die Bedeutung einer digitalisierten Gesellschaft war Thema der Konferenz. Quer durch die Gesellschaft werden politische Proteste längst analog wie digital gedacht. Eine Sitzblockade in Moskau wird genauso zum globalen Ereignis wie eine Online-Petition zur Rettung eines Parks. In allen gesellschaftlichen Bereichen ist der Wille nach Partizipation durch das Internet lauter geworden. Handeln ist nicht mehr auf den privaten, öffentlichen oder digitalen Raum begrenzt, die Möglichkeiten verschmelzen.
Globale Vernetzung birgt auch Risiken
Doch wer profitiert am Ende davon? Werden die neuen Techniken unser Verlangen nach Partizipation befördern und unsere Regierungen transparenter gestalten oder wird die Nutzung sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. uns transparenter für Unternehmen machen, die in unseren Daten das Öl des 21. Jahrhunderts entdeckt haben?
Das Motto der diesjährigen re:publica zeigt, dass sich die Organisatoren mit diesen Fragen auseinander gesetzt haben: IN/SIDE/OUT. Während wir in der westlichen Welt einen revolutionären Medienwandel erleben und uns fragen, ob denn Papier noch IN ist, versuchen Menschen in anderen Teilen der Welt Informationen OUT zu bekommen und ihre eigene Gesellschaft zu verändern. Und auch in Europa wird der Ruf nach Beteiligung und Transparenz lauter. Die sozialen Medien nehmen dabei wieder eine Vermittlerfunktion an, helfen Daten von IN/SIDE nach OUT/SIDE zu schaffen und Unterstützer zur Beteiligung zu bewegen. Denn Klick-Aktivismus alleine reicht nicht aus.
Politische Einflussnahme will gelernt sein
Online beteiligen kann sich jeder, der Zugang hat – er muss nur wissen, wo und wie. Der re:publica kommt dabei eine wichtige Rolle zu: Wie können und wollen wir die Entwicklung einer digitalen Gesellschaft politisch gestalten? Wie wollen wir Menschen motivieren, sich mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinanderzusetzen und sich zu engagieren? Neben der technischen Wissensvermittlung und der Möglichkeit zum Austausch liegen in der Konferenz auch zwei Chancen für die Stärkung einer lebendigen Demokratie: Zum einen werden netzaffine Teile der Gesellschaft auf die politische Bildungsarbeit und ihre Bedeutung für die Gesellschaft aufmerksam. Und zum anderen werden weite Teile der Bevölkerung an das Partizipationspotential digitaler Kanäle herangeführt. Beides führt im besten Fall dazu, dass Bürgerinnen und Bürger das politische und gesellschaftliche Leben zukünftig aktiver mitgestalten.
Dieser Text erscheint parallel bei den Netzpiloten und ist von Simone Jost-Westendorf, Philipp Albrecht und Tobias Schwarz.
Bild: Rerun van Pelt via Flickr (CC-BY-SA)