Die moderne Kriegspropaganda macht schon längst auch vor dem Internet nicht mehr halt. Auf Facebook, Twitter und Co werden die Konflikte der Gegenwart ebenso hart ausgetragen wie in der analogen Welt. Über YouTube wird Bildmaterial der aktuellen Konflikte verbreitet, um Stimmung zu machen. Wie sind die Armeen der Welt auf diesem Schlachtfeld aufgestellt?

Die starke Ausdehnung des selbst ernannten Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien macht auch vor dem Internet nicht halt. Seit einigen Monaten ergießt sich ein Strom von Videos ins Netz, die Enthauptungen, Massenerschießungen oder Selbstmordanschläge der radikalen Islamisten zeigen. Auch die Bilder von gekreuzigten Menschen, geschändeten Leichen oder um ihr Leben flehenden Geiseln sind beispiellos grausam. Die Betreiber sozialer Netzwerke und Plattformen schaffen es angesichts der schieren Masse der propagandistischen Inhalte nicht, gegen die Verbreitung vorzugehen, und auch staatliche Institutionen scheinen bisher machtlos. Zwar können Accounts in sozialen Netzwerken aufgrund ihrer Inhalte gesperrt und gelöscht werden, doch IS-Anhänger finden immer neue Wege, diese zu verbreiten. Sie eröffnen Accounts unter anderem Namen oder weichen auf andere Internetseiten aus.

Darauf reagiert nun das britische Militär und gründet eine 1.500 Personen starke Einheit an „Facebook-Kämpfern“: das 77. Bataillon. Angelehnt ist der Name an die 77. Einheit, die im Zweiten Weltkrieg mit kleinen Einheiten Guerillaangriffe auf japanischem Territorium durchführte und die japanische Armee dadurch zum Strategiewechsel nötigte. Die neu gegründete Einheit ist damit beauftragt, einerseits ein positives Bild der britischen Armee im Internet zu zeichnen und Zustimmung und Unterstützung zu generieren. Darüber hinaus sollen sie gegen Inhalte wie die des Islamischen Staates vorgehen. Grundlegende Erfahrungen dafür wurden aus der Aufstandsbekämpfung während des Afghanistankrieges gesammelt. Ziel der Strategie ist eine gewaltfreie Kriegsführung in den sozialen Medien durch gezielte Informationspolitik.

Deutsche Bundeswehr: Ein Jahrzehnt ohne Erfolg in der Gegenpropaganda

Bereits seit 2002 betreibt auch die deutsche Bundeswehr das Zentrum für Operative Kommunikation. Dessen Aufgabe besteht darin, auf das Verhalten der gegnerischen Streitkräfte einzuwirken – auch bekannt als psychologische Kampf- oder Kriegsführung. Zu seinem Aufgabengebiet gehört nicht nur die Information der eigenen SoldatInnen und OffizierInnen, sondern auch die gezielte Einflussnahme auf gegnerische Konfliktparteien oder ZivilistInnen im entsprechenden Kampfgebiet. Zwar ist die Bedeutung des modernen digitalen Informationskrieges bei der Bundeswehr erkannt worden, doch bisher scheint sie wenig gegen die öffentlichkeitswirksame Propaganda des IS unternehmen zu können. Das hat auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière erkannt und eine Aufklärungsoffensive gefordert. Einen konkreten Plan dafür gibt es bisher jedoch noch nicht.

Was in diesem Bereich möglich ist, zeigt die Israelische Armee (IDF). Bereits seit 2008 ist diese auf insgesamt 30 Plattformen – Twitter, Facebook, YouTube, Instagram und vielen weiteren – und in sechs Sprachen unterwegs. Über die sozialen Netzwerke hat die IDF eine breite Basis, mit der sie im Internet ihre Standpunkte verbreiten kann. Im Sommer 2014 während des Gaza-Konflikts zwischen den radikalislamischen Kassam-Brigaden und dem israelischen Militär gipfelte dieser auch in einer öffentlichkeitswirksamen Schlacht auf den sozialen Plattformen. Beide Konfliktparteien verbreiteten primär über den Kurznachrichtendienst Twitter Informationen über den Konfliktverlauf und veröffentlichten Bilder und Nachrichten, die den Gegner in ein schlechtes und die eigenen Taten in ein gutes Licht rücken sollten.

Man mag von den vielseitigen Maßnahmen des modernen Propagandakrieges halten, was man will. Es zeigt sich jedoch am oben beschriebenen Beispiel, dass er effizient ist und man sich offenkundig nur mit den gleichen Mitteln dagegen wehren kann. Doch die europäischen Staaten und Institutionen sind bei der Bekämpfung des Islamischen Staates bisher kaum erfolgreich und können keine wirksame Strategie vorweisen. Eher ungewollte Unterstützung erhielten sie hingegen Anfang Februar vom Hackerkollektiv Anonymus, das Accounts von vermeintlichen IS-UnterstützerInnen in sozialen Netzwerken hackte und kurzfristig abschaltete.

Asien: Netzpropaganda durch Geheimdienste und Hackergruppen

Der moderne Informationskrieg bleibt jedoch häufig nicht mehr nur bei Online-Propaganda, sondern wird nicht selten durch Hacking und Sabotage der gegnerischen (Digital-)Infrastruktur unterstützt. In China unterhält der Geheimdienst beispielsweise die sogenannte „Einheit 61398“ und greift gemeinsam mit der chinesischen Hackergruppe „Shanghai Group“ gezielt amerikanische und andere relevante Ziele an. Seit 2009 besitzt auch das südkoreanische Militär eine eigene Einheit für psychologische Kriegsführung. Ursprünglich gegründet, um im Internet Regierungspropaganda gegen Nordkorea zu betreiben, nutzen Mitglieder der Einheit ihre Ressourcen derweil auch, um die Präsidentschaftskandidatin Park Guen-Hye zu loben und über die Opposition zu lästern.

Gruppen von Hackern und Netzaktivisten, die Online-Propaganda für Regierungen betreiben, gibt es auch in Syrien und Ägypten. Diese agieren paramilitärisch, ihre Verbindung zu den offiziellen Militärstrukturen ist nicht eindeutig belegbar. Die „Syrian Electronic Army“ etwa unterstützt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durch Hacker-Angriffe auf Oppositionsgruppen und Medien. Bekannt wurden die Hacks von Twitter-Accounts der Presseagenturen Reuters und AP und die Versendung von falschen Tweets. In Ägypten lehnt sich die „Egyptian Electronic Army nicht nur namentlich an den die Syrian Electronic Army an, sondern geht auch mit ähnlichen Mitteln vor. Dabei unterstützt sie das ägyptische Militär und den neuen Machthaber Abdel Fattah el-Sisi. Auf Facebook und weiteren sozialen Netzwerken beziehen sie Stellung gegen die Muslimbruderschaft und den IS.

Europa verliert Anschluss im Informationskrieg

Den westlichen Armeen mangelt es hingegen bisher nicht nur an ausreichendem Personal, sonders es fehlt vor allem eine Strategie im Kampf gegen die Deutungshoheit des Islamischen Staates. Auch auf supranationaler Ebene beim Verteidigungsbündnis NATO und in der Außen- und Innenpolitik vieler europäischer Staaten scheint keine Strategie ersichtlich. Ob paramilitärische Hacker-Gruppen und ihre Aktivitäten die Lösung für die britische Armee sind, bleibt abzuwarten. Der ambitionierten Ankündigung des 77. Batallions müssen schnell Taten folgen, damit es nicht vollends den Anschluss im Informationskrieg verliert.

Bild: Teymur Madjderey
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