(Artikel) Avatare, Blogs und Clips: Politik im Internet. Die Kampagne der französischen Präsidentschaftskandidaten begab sich auf neues Terrain und wird jeden Wahlkampf danach beeinflussen.
Blumengrüße sind nicht immer ein Zeichen von Freundschaft – das weiß der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen spätestens, seit sich vor seiner Wahlkampfzentrale urplötzlich ein Meer von Lilien ausbreitete.
Schon bald versperrte es den Eingang zum modernen Kampagnenquartier und der Wahlkampf kam für einige Zeit zum Erliegen. Ein modernes Märchen? Nein – denn die „Blumenattacke“ hat tatsächlich stattgefunden: allerdings nicht vor der realen Wahlkampfzentrale des Front National, sondern in „Second Life“, der Online- Gemeinschaft mit weltweit immensen Zuwachsraten.
Auch in dieser komplexen dreidimensionalen Internet-Welt tobt also der Wahlkampf und überraschenderweise sind die Vorreiter dieser sehr modernen Form politischer Kommunikation einmal nicht Amerikaner, sondern Franzosen: Die „Présidentielles 2007“ wirken wie eine Wirklichkeits-Infusion für „Second Life“, das bislang eher den Ruf eines kollektiven Freizeitparks für fortgeschrittene Online-Nutzer hatte und vor allem Wirtschaftsunternehmen zur professionellen
Präsentation im Zweitleben veranlasst hat. Neben dem Rechtspopulisten Le Pen führen natürlich auch andere Galionsfiguren des Wahlkampfs ein digitales Doppelleben.
Während sich das konservative Lager gerne auf der
„Ile Sarkozy“ trifft, der Sarkozy-Insel, haben sich andere Avatare – so heißen die Spielfiguren in „Second Life“ – zum umtriebigen „Comité 748“ verbündet und unterstützen die Kampagne der Sozialistin Ségolène
Royal. Der Wahlkampf als Computerspiel? Internet- Kritiker werden in dieser Netzkampagne vielleicht nicht den Untergang des Abendlandes, aber doch eine nutzlose Spielerei erkennen wollen. Auch wenn die französische Sprachgemeinschaft in „Second Life“
bisher nur geschätzte 150.000 Mitglieder zählt, so folgt das Engagement der Kandidaten einer gängigen Logik.
Der Einsatz innovativer Wahlkampfformate signalisiert Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und erreicht vor allem jüngere, gut gebildete Wählerschichten, die als Multiplikatoren wirken können. Und noch ein dritter Grund spricht für das zweite Kandidatenleben: Die „alten“ Medien stürzen sich begierig auf die Ereignisse in der Online-Welt, da sie hier einen hohen Nachrichtenwert vermuten. Die Folge: Mit vergleichsweise geringen Mitteln erzielen die „Second Life“-Kampagnen nicht nur eine direkte Wirkung in der Wählerschaft, sondern durch medienübergreifende
Verwertbarkeit auch Reichweiten.
Blogosphäre als Resonanzraum
Kein gar so schlechtes Image mehr haben indes die zahlreichen Weblogs, die mittlerweile wie selbstverständlich zum Online-Wahlkampf zählen. Dieses populäre Format eignet sich ausgezeichnet, um die Dynamik und Vielschichtigkeit einer Wahlkampagne darzustellen.
So können die Kandidaten auf ihren Rundreisen durch das ganze Land bestens begleitet werden, durch die Feedback-Funktionen ist auch eine Diskussion mit dem Blog-Publikum möglich. Es entstehen dabei gute Möglichkeiten zur direkten Kommunikation mit der
Wählerschaft, auch ein inhaltlicher Austausch über Themen des Wahlprogramms oder die Vor- und Nachbesprechung von Wahlkampfauftritten gehören dazu.
Dass Weblogs eine wesentliche Rolle im Rennen um die Amtsnachfolge von Jacques Chirac spielen würden, zeigte sich spätestens mit der Berufung des prominenten Blog-Unternehmers Loïc Le Meur in das Wahlkampfteam von Nicolas Sarkozy. Le Meurs Fachwissen soll nicht nur die besondere Qualität der
Sarkozy-Website
garantieren, er ist zugleich ein Verbindungsstück in die so genannte Blogosphäre, eine Art Medienverbund, der durch die zahlreichen Querverweise und Diskussionen unter einzelnen Bloggern entsteht. Die vernetzte Kommunikation über mehrere Weblogs hinweg macht
die besondere Attraktivität der Blogosphäre aus: Hier entsteht ein neues Mediennetzwerk, das in der Lage ist, bestimmte Themen und Diskussionen zu verstärken und aus der Online-Welt in die etablierten Massenmedien hineinzutragen. Folgerichtig integrieren nahezu alle
Kandidaten Blog-Formate in ihre Kampagnen-Angebote:
Ségolène Royal hat eine Sonderseite für Jung- und Erstwähler entwickelt, der zentristische François Bayrou hat den Blog-Modus als bestimmendes Element für das Design seiner Kampagnenseite gewählt.
Der Kampagnenjahrgang 2007 steht auch im Zeichen der visuellen Online-Kommunikation, motiviert durch den großen Erfolg von Fotodatenbanken und Video-Plattformen wie YouTube. Unter dem Etikett
„NS TV“ präsentiert Nicolas Sarkozy seine Version eines
Personality-Kanals, der nicht nur aktuelle Berichte vom Tage liefert, sondern auch sehr differenziert Themen des Wahlprogramms aufbereitet und strategisch in die Kampagne eingebunden ist: etwa mit „décryptages“ – kritischen Entschlüsselungen – der Wahlversprechen von Ségolène Royal. Auch François Bayrou bietet ein
ähnlich verzweigtes Web-TV an, während Ségolène Royal vornehmlich auf Unterstützer-Videos nach US-amerikanischem Muster setzt.
Online-Aktionen prägen Offline-Aktionen
Doch die „netcampagne“ ist keineswegs nur ein Kommunikations-
oder Medienphänomen, denn die zahlreichen Online-Aktivitäten wirken sich auch auf die reale Wahlkampforganisation aus. Sichtbar wird dies auf den persönlichen Kandidatenwebsites: Hier werden die Nutzer mit so genannten Vorlaufseiten empfangen, die eine direkte Registrierungsmöglichkeit zur Mitwirkung an der Kampagne bieten – erst dann geht es weiter zum eigentlichen Wahlkampfportal. Viel stärker als bei der realen Wahlkampforganisation werden im
Internet auch Freiwillige in die politische Werbearbeit eingebunden, die sich nicht durch formelle Mitgliedschaften an Kandidaten oder Partei binden wollen.
Dabei zeigt sich im Vergleich, dass der Wahlkampf von Royal am stärksten auf die Möglichkeiten des Internets setzt und am besten die Idee einer „Architektur der Partizipation“ aufgreift, die für viele Anwendungen des Web 2.0 charakteristisch ist. Die Beteiligung einzelner Internet-Nutzer, die im Wahlkampf immer auch als Bürger angesprochen werden, spiegelt sich nicht nur in der Community-Orientierung der zahlreichen Royal-Plattformen im Netz wider. Auch die Entstehung ihres Wahlprogramms verfuhr nach den Regeln jener offenen Produktionsstruktur, die man mit dem Begriff „open
source“ belegt hat. Die Kandidatin holte sich in einem kontroversen Diskussionsprozess mit Parteibasis und Wählerschaft einen thematischen Input, der erst spät in ein programmatisches Papier umgeformt wurde.
Man darf gespannt sein, welche Impulse aus Frankreich im US-amerikanischen Wahlkampf 2008 aufgegriffen werden. Die Blogosphäre ist dort längst in den politischen Diskurs integriert. Das Modell einer offenen Kampagne, die im Dialog mit Basis und Bürgern wesentliche Themen erörtert, lässt sich gut in den traditionell
langen Auswahlprozess der „primaries“, der Umfragen vor der Ernennung der Kandidaten, übertragen.
Die systematische Aufbereitung von Internet-Videos als „Kandidatenfernsehen“ wird den Politberatern in Washington nicht entgangen sein – schon deshalb, weil der Fernsehwahlkampf durch den Ankauf von Sendezeiten ein immenser Kostenfaktor ist. Und „Second Life“ wird vielleicht schon als Austragungsort eines der
TV-Duelle genutzt werden. Es ist anzunehmen, dass das Internet in Frankreich in der kurzen Zeit zwischen den beiden Urnengängen
den nächsten Boom erleben wird: Dann gilt es, sich Unterstützung aus den Lagern der unterlegenen Kandidaten zu sichern. Im ersten wie im zweiten Leben.
Der Artikel erschien ursprünglich am 23. April im arte Magazin. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autoren und arte TV.