Ein weltweites gesellschaftliches Meinungsbild erstellen und damit politische Veränderungen auf den Weg bringen? Genau das ist das Ziel eines Start-Ups aus Frankreich. “Poutsch”, so der Name des Projekts, soll mithilfe von Meinungen Wissen generieren – und damit einen Beitrag für Meinungsfreiheit und demokratische Verhältnisse leisten.
Man stelle sich vor, man möchte sich ein globales Bild der Meinungen zu einem politischen oder gesellschaftlichen Thema machen. Doch wie soll das funktionieren, ohne gleich eine zeit- und kostenintensive repräsentative Umfrage durchzuführen? Sicher, um schnelle Meinungen einzuholen, ist das Internet das mit Abstand am besten geeignete Mittel. Auf Twitter und Facebook erreicht man jedoch nur eigene Freunde und Follower, weitere Nutzer nur auf Umwegen. Für eine Umfrage, die noch mehr Leute erreichen kann, bedarf es demnach eines weiteren, eigenen Tools: eine Website, mit der Umfragen erstellt und und Antworten gesammelt werden können. Das allein ist noch keine Neuheit, jedoch ist jüngst ein neuer Anbieter für private Online-Umfragen an den Start gegangen, der durch seine gesellschaftlich-partizipative Motivation auffällt. „Poutsch“ heißt das französische Start-Up, bei dem es (auf den ersten Blick) darum geht, Fragen zu veröffentlichen und darauf zu warten, dass die Crowd diese beantwortet. Die Idee von der politisch fokussierten Vision aber stammt aus dem arabischen Frühling: „Wir wussten nicht, wie man schnell und direkt Antworten auf wichtige Schlüsselfragen in den arabischen Ländern bekommen konnte. Etwa die Frage, ob der tunesische Ex-Machthaber Ben Ali abtreten solle oder nicht. War eine Mehrheit nun dafür oder befanden sich dessen Anhänger doch in der Überzahl?“, beschreibt Melchior Scholler, einer der drei Gründer von „Poutsch“, die Idee und führt den Grundgedanken von „Poutsch“ weiter: „Diese Situation hat uns dafür sensibilisiert, wie wichtig eine Plattform sein kann, auf der man Informationen durch einfaches Fragen generieren kann“. Man wolle auch einen Beitrag dafür leisten, dass Demonstranten sich künftig leichter vernetzen. „So können wir vielleicht friedliche Revolutionen unterstützen und helfen, Demokratie aufzubauen“, bringt Melchior Scholler seine Hoffnung zum Ausdruck.
Mit P(o)utsch zu mehr Freiheit und Wissen
Der ein wenig sperrig auszusprechende Name der Plattform, „Poutsch“, soll dieser Hoffnung Ausdruck verleihen. Er ist dem deutschen Wort “Putsch“ entlehnt, das die Macher der Plattform durchaus in zwar kämpferischer, aber friedlicher Absicht für ihre Unternehmung gewählt haben: der Putsch als Instrument für den friedlichen Siegeszug der Revolution.
Hochgesteckte Ziele, für die das grafisch ansprechende und von der Handhabung erfreulich präzise und einfache Tool auch allerhand Funktionen bietet. Einmal angemeldet (was wiederum erfreulich unkompliziert und schnell geht) kann der Fragesteller auswählen, ob seine Frage nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann, die User zwischen einer Anzahl vorgegebener Antworten wählen oder ihre Zustimmung per Rating mit einem oder fünf Sternen beantworten sollen. Die Fragestellungen können also sehr vielseitig gestaltet werden. Des Weiteren werden die Antworten sowie die demografischen und geografischen Daten der User statistisch aufbereitet und mittels Schaubildern dargestellt. Zudem lassen sich Umfragen auf Twitter und Facebook posten und auf Homepages einbetten, ebenso können YouTube-Videos in die Umfragen integriert werden. Das spielerische Konzept sieht vor, dass die User miteinander interagieren, indem jeder zu jedem beliebigen Thema eine frei formulierte Frage stellen und jede andere Frage beantworten kann. Rege Beteiligung wird dabei mit einem Aufstieg ins nächsthöhere Level belohnt.
Kategorie ‘Dies & Das’
So weit, so gut. Doch wenn man dann mal einen Blick auf tatsächlich gestellten Fragen wirft, fällt schnell auf, dass ein Großteil wenig bis gar keine politische oder gesellschaftliche Substanz hat, sondern ziemlich trivial erscheint. Ob man den Gutschein-Dienst ‘Groupon’ nutzt, wie oft man seine E-Mails checkt oder wie der erste Kuss war – globale Debatten über derlei Fragen dürften weder viele Menschen ernsthaft interessieren noch zu positiven politischen Veränderungen beitragen. Auch die Resonanz scheint noch keine revolutionären Ausmaße angenommen zu haben, viel tut sich derzeit jedenfalls nicht auf der Seite. Die seit Wochen anhaltenden Proteste in der Türkei, deren Protagonisten ja
eine ideale Zielgruppe sein sollen, werden bislang mit keinem Wort erwähnt. Mitgründer Scholler dazu: „Wir arbeiten mit Nachdruck daran, dass jeder User die für die eigenen Interessen relevanten Themen und Umfragen zu sehen bekommt. Jedem steht es frei, anderen Nutzern bevorzugt zu folgen, etwa, wenn ein Fragesteller häufig zu politischen Themen postet.“
Allerdings befindet sich die Website noch in der Beta-Version und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Der offizielle Start von “Poutsch” sei noch gar nicht erfolgt, berichtet Scholler. „Gerade erst ist unsere Mobile App fertig geworden. Jetzt kann ‘Poutsch’ auch auf Smartphones verwendet werden“. Das Vorhaben, sich als anerkanntes Medium in der europäischen Politikdebatte zu etablieren, wird mit Nachdruck verfolgt : „Wir haben Kontakt mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Think Tanks und EU-Kommissaren, die sich für unser Tool interessieren. Unser Ziel, einen Beitrag zum Dialog auch zwischen Bürgern und Institutionen zu leisten, stößt auf großes Interesse. Das ist aber alles noch ‘work in progress’. Wir stehen ja noch weit am Anfang“.
Potenzial hat die Idee in jedem Fall. Man darf aber wohl gespannt sein, inwieweit die Umfrage- und Meinungsplattform sich wirklich zu einem Forum für politische Diskussionen entwickelt oder ob der Besucher längerfristig eher Privates aus dem Alltagsleben seiner Nutzer und Scherzfragen zu sehen bekommt. Damit würde “Poutsch” ähnlich wie andere soziale Netzwerke vornehmlich zur Befriedigung des eigenen Mitteilungsbedürfnisses sowie zum spaßigen Zeitvertreib genutzt werden. Um dem selbst gesteckten Ziel der Macher, globale Meinungsbilder übersichtlich darzustellen, gerecht zu werden, sind ein steigender Bekanntheitsgrad der Homepage, eine klarere Struktur zu den verschiedenen Themen sowie der (sich im Aufbau befindliche) politische Rückhalt wohl mehr als nötig. Die Frage, ob “Poutsch” sich neben der allmächtigen Konkurrenz von Facebook und Twitter zu einem ernsthaften Medium der sozialen und gesellschaftlichen Interaktion etablieren kann, muss noch beantwortet werden.
Bild: cool revolution (CC BY-NC-SA 2.0)