UdL Digital Talk mit Renate Künast und Nico LummaKann man der Politikverdrossenheit mit digitalen Mitteln zu Leibe rücken? Über diese Frage diskutierten die Grünen-Vorsitzende Renate Künast und der Online-Experte Nico Lumma beim Polit-Talk „UdL digital“ mit Moderator Cherno Jobatey und etwa 100 Interessierten.
Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren, immer weniger Menschen interessieren sich für politische Prozesse, noch weniger beteiligen sich aktiv an ihnen; die Parteien haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Das Interesse an Politik und Demokratie scheint so niedrig wie nie zu sein. Beinahe jeder dritte Bundesbürger zeigt sich laut einer aktuellen Umfrage mittlerweile politikverdrossen. Digitale Werkzeuge können eine Schlüsselrolle spielen, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. Konzepte wie LiquidDemocracy und OpenGovernment ermöglichen die Beteiligung und direkte Kommunikation von Bürgern über das Netz und sollen die Menschen zur Mitgestaltung der Politik animieren.
„Kann die Digitalisierung Politikverdrossenheit abbauen oder befeuert sie diese?“ war am Mittwochabend also die Kernfrage, über die Nico Lumma, Online-Kommunikationsexperte, und Renate Künast, Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, im Berliner Base Camp diskutierten.
Künast verwies angesichts des allgemeinen Desinteresses an politischen Vorgängen zunächst auf die immer globaler und internationaler werdende Politik, in der alles mit allem zusammenhängt: „Da weiß man oft nicht, wo der eigene Bezug dazu ist, da Politik heute sehr komplex und schwierig nachvollziehbar ist.“ Blogger Nico Lumma kritisierte zunächst langwierige politische Verhaltensmuster, in denen keine Visionen mehr entstünden: „Die Politik hat sich da in eine Ecke drängen lassen, Entscheidungen werden als ‘alternativlos’ dargestellt. Diese Vorgehensweise verstört viele Menschen“. Dank sozialer Medien wie Facebook, Twitter und Co. gebe es heute zwar viele gute Mittel, um zu partizipieren, jedoch lasse sich die oft unverständliche Politiksphäre nicht leicht durchdringen und nachvollziehen. Daher bedürfe es Tools, mit denen sich politisch hochkomplexe Abläufe verständlicher machen ließen. In die gleiche Richtung argumentierte auch Renate Künast: „Als Bürger braucht man Klarheit und Offenheit; es muss für jeden deutlich ersichtlich sein, wo und wie ich was erreichen kann, über welche Kanäle Parlamente und Politiker erreichbar sind und was mit meinen Forderungen geschieht“. Die Bürger dürften nicht das Gefühl haben, dass ihre Forderungen ins Leere laufen. Die Grünen-Politikerin räumte jedoch ein, dass das Internet nicht per se demokratisch sei. „Die Politik muss Werkzeuge bereitstellen, um das Internet für demokratische Bürgerbeteiligung nutzen zu können.“ Angebote wie etwa LiquidFeedback müssten an die Lebenswirklichkeit der Menschen angepasst werden. Nico Lumma forderte die Politik daher auf, partizipative Angebote zu unterbreiten und diese Tools so zu gestalten, dass die Menschen diese verstünden und auch benutzen könnten. Zudem forderte er eine größere Flexibilität bei der Ausgestaltung dieser Instrumente: „Man sollte sich nicht darauf versteifen, ein großes, übergeordnetes Liquid-Tool für alle möglichen Themen und Personen zu schaffen“. Besser würde es funktionieren, gezielt mit kleinen Angeboten für jeweils verschiedene Anliegen zu reagieren. Diese Werkzeuge müssten außerdem themen- und personenabhängig sein.
Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Künast mahnte jedoch an, dass Formate wie LiquidFeedback derzeit keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben könnten, da bei Weitem nicht alle Gesellschafts- und Altersgruppen derlei Angebote annehmen würden: „Wir müssen Mittel und Wege bereitstellen, dass quer durch die Gesellschaft eine Online-Partizipationsbereitschaft entstehen kann.“ Außerdem sei die Mitmachquote naturgemäß stark vom Thema abhängig.
Abschließend forderte Lumma, die Politik müsse transparenter werden und Experimenten wie Open Data eine Chance geben. „Durch Offenheit und Transparenz lässt sich eine Menge erreichen. Politik ist oft zu behäbig und träge, zu detailverliebt. Durch offenere und klarere Vorgänge ließe sich Politik sehr viel besser nachvollziehen, das wird sich dann auch in den Online-Beteiligungsquoten niederschlagen!“ Einig waren sich Renate Künast und Nico Lumma vor allem darin, dass man in vielerlei Hinsicht noch ganz am Anfang einer Entwicklung stehe und noch viel lernen müsse. Ebenso betonten sie, dass Online-Bürgerbeteiligung vor allem die Möglichkeit bietet, der Politik Anregungen zu geben und ein Stimmungsbild abzubilden.
Die Komplexität des Themas lässt einen Königsweg hin zu Patentlösungen wie so oft in der Politik nicht zu. Dennoch muss die Debatte um die Bürgerbeteiligung weitergehen, gerade, weil sie das große Potential birgt, die politische Mitmachkultur und damit das Rückgrat der Demokratie wieder anzukurbeln und neue Impulse zu setzen.
 
Bild: © UdL digital
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