MovimentoDemokratie fürs 21. Jahrhundert oder Populismus in Reinform? –  An der italienischen „Fünf-Sterne-Bewegung“ scheiden sich die Geister. Bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag wird die Bewegung um den Komiker Beppe Grillo vermutlich als stärkste Einzelpartei ins Parlament einziehen. Für uns Grund genug, um deren Politik via App etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Partizipation statt Delegation! Das ist der Schlachtruf der 2009 von dem bekannten italienischen Kabarettisten Beppe Grillo gegründeten Fünf-Sterne-Bewegung (ital.: Movimento 5 Stelle, oder m5S). Via Internet soll den Bürgern Italiens die Möglichkeit gegeben werden, direkt an politischen Entscheidungen Teil zu haben, anstatt diese nur an vermeintlich korrupte Politiker zu delegieren. Zu diesem Zwecke wurde eigens eine Online-Plattform Namens „Rousseau“ eingerichtet. Bei den kommenden Parlamentswahlen am 4. März werden die Fünf Sterne mit ihrem Spitzenkandidaten Luigi Di Maio vermutlich als stärkste Einzelpartei ins Parlament einziehen. Wir haben uns deren Organisationsstruktur etwas genauer angesehen.

Die Vision des Beppe Grillo

Italien gilt als das korrupteste Land Europas und die Wut der Bevölkerung auf käufliche Politiker ist dementsprechend hoch. Aus eben diesem Geiste wurde 2009 die Fünf-Sterne-Bewegung geboren. Mit ihrem Versprechen, die Macht den korrupten Politkern zu nehmen und der Bevölkerung zurückzugeben, erreichten sie bei den Parlamentswahlen 2013 27% der italienischen Wähler.

Per Internet soll den Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, direkt am politischen Entscheidungsprozess teilzunehmen und so Politiker als Mittelsmänner überflüssig zu machen. Die Vision des Beppe Grillo ist es, alle Italiener und Italienerinnen an einem großen digitalen Tisch zu versammeln und so einen direkten Interessensaustausch zu ermöglichen. Diese Vernetzung erschaffe eine „kollektive Intelligenz“ und gebe der Bevölkerung die Möglichkeit, sich selber zu verwalten.

Diese Vernetzung soll mittels verschiedener Diskussionsforen hergestellt werden, welche jedem frei zugänglich sind und nicht von Privilegierten kontrolliert werden. Zudem sollen Online-Votings stets die Mehrheitsmeinung widerspiegeln. „Wenn man wissen will was Menschen denken, muss man sie fragen.“ Nach dem vermeintlichen Autor dieses geflügelten Wortes, Jean-Jacques Rousseau, wurde dann auch die Plattform benannt, mit der sich die Vision des Beppe Grillo erfüllen soll.

Rousseau: Politik via App

Die Online-Plattform Rousseau gliedert sich vorrangig in drei Applikationen: Vote, Lex und Lex Iscriti. Alle drei dienen als Diskussionsforum für jeweils verschiedene politische Bereiche und zielen darauf ab, direkte Demokratie durch das Internet zu verwirklichen. Teilnehmen kann jeder, der sich mit seiner Steuernummer auf dem Portal anmeldet.

Mit Vote werden die Kandidaten gewählt, welche für die Fünf-Sterne-Bewegung bei den jeweiligen Wahlen antreten sollen. Bewerben kann sich jeder, der bis zu einem gewissen Stichtag seinen Lebenslauf mit allen wichtigen Informationen, sowie ein Bewerbungsvideo hochlädt, worin erklärt wird, warum gerade er für die Bewegung ins Rennen gehen sollte. Ein Online-Voting entscheidet dann, wer letzten Endes auf der Liste landet und bei der Wahl antreten darf. Auf diese Weise wurden beispielsweise die 73 Kandidaten für die Europawahl 2014 bestimmt.

Einmal gewählte Politiker müssen sich regelmäßig für ihre Politik vor der gesamten Bewegung rechtfertigen. Dies geschieht mittels Lex. Hier werden aktuelle Gesetzesentwürfe präsentiert und diskutiert. Auf diese Weise werden nicht nur alle Mitglieder informiert, sie werden auch direkt in den politischen Entscheidungsprozess miteingebunden.

Bei schwierigen Gesetzen, Vorschlägen oder Diskussionen werden auf der Plattform die wichtigsten Fakten und Zusammenhänge präsentiert, welche für eine informierte Meinungsbildung notwendig sind. So wurde zu der Debatte um ein neues Wahlrecht ein Video hochgeladen, in dem ein Professor alle relevanten Alternativen, sowie deren jeweilige Vor- und Nachteile präsentierte.

Lex Iscriti ist die dritte App und findet ihren Zweck darin, den angemeldeten Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, selber Gesetzte vorzuschlagen. Findet ein Vorschlag besonderen Anklang und ist die Diskussion bis zu einem gewissen Grad gediehen, so wird mit Hilfe eines Online-Votings abgestimmt, ob der Entwurf dem Parlament vorgeschlagen werden soll. Mehrere Gesetzesentwürfe fanden auf diesem Wege bereits Eingang in das italienische Parlament.

Die Utopie beginnt zu bröckeln

Doch die Frage, welche sich nun stellt, ist folgende: Kann sich diese politische Idee einer kollektiven Intelligenz, einer direkten, digitalen Demokratie denn überhaupt in der Praxis bewähren? In vielen Parlamenten und Regierungen sitzen heute Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung, welche sich der Bewährungsprobe stellen. Und es muss derzeit wohl konstatiert werden: Die Utopie beginnt zu bröckeln.

Eine Idee, auf die sich die Bewegung stützt, ist die der kollektiven Intelligenz, oder der „Schwarmintelligenz“. Kurz zusammengefasst: Viele Köpfe denken besser als einer. Doch leider kommt es in der Realität häufig zum umgekehrten Fall, zur „Schwarmidiotie“. Diese tritt immer dann auf, wenn jegliche Form von Autoritäten aus Sachdiskussionen ausgeschlossen werden. Meinungen werden als gleichwertig betrachtet unabhängig davon, wie sie gebildet worden sind; unabhängig davon, ob sie sinnvoll und wissenschaftlich fundiert sind oder das Ergebnis wilder Spekulationen. Expertenmeinungen werden dann durch „Schwarmwissen“ ersetzt. So geschehen in der Impfdebatte in Italien. Die Anti-Impf-Kampagne der Fünf-Sterne-Bewegung führte dazu, dass sich immer weniger Italiener gegen Masern impfen ließen. 2015 waren nur noch 85% der Zweijährigen gegen das tödliche Virus geimpft. Die 95%-Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation wurde weit verfehlt. Und dies aufgrund der längst widerlegten Behauptung, die Masernimpfung löse Autismus aus.

Und wie steht es mit der Ernsthaftigkeit einer solchen Bewegung? Sind sich Menschen in Online-Diskussionen in ausreichender Weise ihrer Verantwortung bewusst, oder verführt die Anonymität und die schiere Masse der Beteiligten vielleicht dazu, leichtfertig mit der eigenen politischen Entscheidungsgewalt umzugehen? Bereits mehrfach wurde von außenstehenden Beobachtern bemängelt, dass bereits einige Dutzend Online-Stimmen ausreichen, um Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung in ranghohe Ämter zu katapultieren.

Des Weiteren steht die Frage im Raum, inwiefern Online-Foren eine ausreichende Basis für einen vernünftigen politischen Dialog bilden. Die Erfahrung zeigt, dass Foren selten der richtige Platz für sachliche Diskussionen sind. Auch bleibt es fraglich, ob kurze Briefings in Online-Videoclips tatsächlich ausreichen, um sich alles relevante Wissen für eine fundierte Meinungsbildung anzueignen. In den Städten, in denen die Fünf-Sterne-Bewegung regiert – darunter Rom und Turin  – scheint sich diese neue Methode nicht zu bewähren.

Fünf Sterne Populismus

Dem Volk die Macht zurückzugeben, ist der Schlachtruf vieler Parteien in ganz Europa geworden. Der Populismus verspricht seinen Wählern genau das, und meistens wird das Internet als Waffe eingesetzt im Kampf gegen das Establishment. Zwei Komponenten sind oft charakteristisch für populistische Bewegungen: Zum einen werden scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme präsentiert und zum anderen werden Abstimmungen als Machtinstrumente missbraucht. Demokratische Entscheidungen werden hierbei oft bewusst mit Mehrheitsentscheidungen verwechselt. Und in eben diese Kerbe schlägt die Fünf-Sterne-Bewegung mit raffinierten Mitteln.

Viele komplexe politische Diskussionen sind in Internetforen schlicht nicht zu bewältigen. Die Beteiligten sind nicht in der Lage, sich ausreichend Einblick in die Materie zu verschaffen, was sie dazu nötigt, ihre Entscheidung aufgrund vorgefertigter Ansichten zu treffen. Selten führt dies zu Meinungsaustausch, häufig zu Ideologisierung. Und ohne sich einem Konsens auch nur genähert zu haben, wird die Diskussion dann mittles Online-Voting beendet. Populistische Kräfte instrumentalisieren Abstimmungen und Volksentscheide, um ihre teils radikalen und antidemokratischen Ansichten durchzusetzen. Auch bei der Fünf-Sterne-Bewegung lassen sich diese Züge nur zu deutlich erkennen.

Ein weiteres Phänomen, welches nicht zuletzt in Internet-Foren häufig auftritt, ist das der sogenannten Feedback-Loops. Eine vorherrschende Meinung wird unhinterfragt als richtig angenommen, bloß weil sie von einer Mehrheit vertreten wird. Die eigene Meinung wird an die der Mehrheit angepasst und es entsteht eine Schleife sich ständig selbst bestätigender Ansichten. In einer großen Menge wenig informierter Menschen kann dies hochproblematisch werden. Diejenigen mit guten Argumenten und vernünftigen Einwänden dringen dann nicht mehr gegen die Masse an Halbwissen durch. Nicht nur entsteht auf diese Weise ein gewisses Mitläufertum, auch führt dieser Effekt dazu, dass kritische Aussagen nicht nur überhört, sondern als falsch und schädlich zurückgewiesen werden.

Besonders gefährlich werden diese Situationen dann, wenn abweichende Ansichten diffamiert und verfolgt werden. Man denke nur an die Stimmen, welche als unchristlich, entartet oder konterrevolutionär zum Schweigen gebracht wurden. Ohne hier zu viele Prallelen ziehen zu wollen, bleibt diese Gefahr bei vielen populistischen Parteien sehr real. Trotz der weitgehend gemäßigten Ausrichtung der Fünf-Sterne Bewegung, wurde der Umgang mit Dissidenten bereits mehrfach scharf kritisiert. Abweichler werden entweder unter Androhung hoher Strafen auf Linie gebracht, oder ganz aus der Partei ausgeschlossen.

Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass es der Bewegung um Beppe Grillo und Luigi Di Maio, trotz aller durchaus innovativen Ansätze, nie gelungen ist, sich als eine ernstzunehmende Alternative zur etablierten Parteienpolitik zu präsentieren. Mit der Fünf-Sterne-Bewegung verhält es sich wohl wie mit allen populistischen Kräften: Sie hält nicht was sie verspricht.

 

Titelbild: Movimento Cinque Stelle, bearbeitet.

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