120 Vorträge in 41 Panels für 180 Teilnehmer in zwei Tagen: Information-Overload an der Royal
Holloway University of London. Dort fand vom 17. bis 18. April eine Konferenz zum Thema "Politics: Web 2.0" statt. Christian Heise war vor Ort dabei.

 

Dass die Universität den Namen der
englischen Metropole tragen darf, verwundert. Denn anders als zum
Beispiel die London School of Economics liegt sie weit außerhalb
Londons, genauer gesagt eine 45minütige Zugfahrt von der
Stadtmitte entfernt. Der Campus der ehemaligen Mädchenschule ist
dafür traumhaft schön.

In dieser einzigartigen Atmosphäre
kamen 180 Teilnehmer, vorwiegend Geisteswissenschaftler, zusammen.
120 Papers wurden vorab eingereicht, bei dieser Anzahl an Teilnehmern
ein guter Schnitt – vielleicht zu gut: Die Auswahl unter den
Veranstaltungen war riesig, zum Teil fanden bis zu sechs Panels
gleichzeitig statt. Darin ging es um Themen wie Parteien, Wahlen,
Kampagnen über Web 2.0-Plattformen, Macht und Politik bis hin
zum Bürgerjournalismus. Der Veranstalter, die New Political
Communication Unit
der Royal Holloway University, hatte sich scheinbar vorgenommen,
alle Themenbereiche rund um das Mitmach-Web zu bestücken. Das
führte zu einer Themenbreite , die teils nichts mehr mit
politischen Verfahren („Politics") wie Wahlverfahren,
Abstimmungen, aber auch Lobbyismus und Öffentlichkeitsarbeit zu
tun hatte – was Veranstalter und Teilnehmende aber offensichtlich
in Kauf nahmen. Diese offene Ausrichtung gab der Konferenz jedoch
einen teilweise unstrukturierten Beigeschmack. Die bunte
Zusammenwürfelung von Themen unter Kategorien wie „Governance"
(Regierungsführung), Citizen Journalism (Bürgerjournalismus),
Digital Divide (Digitale Spaltung) und vielen anderen stiftete eher
Verwirrung als Klarheit.

Geisteswissenschaftler und das
Mitmach-Internet

Die Qualität der Vorträge war
sehr durchmischt. Während einige praktisch nur ihr eingereichtes
Paper oder die Powerpointpräsentation über alte Themen
vorlasen, überzeugten andere die Teilnehmer mit ihrem Inhalt und
ihrer Präsentationsweise. Herauszuheben sind dabei die
Referenten, die sich mit politischen Kampagnen beschäftigt haben
– zum Beispiel Wahlkampagnen oder Kampagnen zur politischen
Meinungsbildung. Besonders zu betonen sind die Vorträge
einzelner Schwergewichte rund um die wissenschaftliche Untersuchung
der politischen Dimension des Internets, die zwischen den Panels
stattfanden. Stephen Coleman, Professor für
politische Kommunikation an der Universität Leeds, Helen
Margetts
,
Professorin für Gesellschaft und Internet am Oxford Internet
Institute (OII) und Michael Turk, ehemaliger eCampaign
Director des US-amerikanischen republikanischen Komitees, sind nur
drei der sechs hochkarätigen Sprecher, die auf dem Podium rundum
überzeugen konnten.

Ungewöhnlich hoher Frauenanteil

Dass keiner der teilnehmenden
Wissenschaftler für diese Konferenz ein eigenes
Forschungsprojekt machen würde, war klar. Doch teilweise waren
die vorgestellten Projekte schon ein Weilchen her und betätigten
nur das, was eigentlich alle wussten. Aber das ist ja bekanntlich
auch eine Erkenntnis. Im Gegensatz dazu gaben viele andere Vorträge
Einblick in gerade erst beginnende Forschungsvorhaben, was zum Teil
für interessante Diskussionen sorgte, zum anderen aber einfach
nicht dem Niveau einer internationalen Konferenz angemessen war. Hier
hätte man sich etwas mehr Auswahl seitens des Veranstalters
gewünscht, was auch die Auswahl für die Besucher etwas
leichter gemacht hätte.

Beachtlich an dieser Konferenz war vor
allem der hohe Frauenanteil. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen
kamen hier auf zwei Teilnehmer immerhin eine Teilnehmerin. Neben den
für eine internationale Konferenz verhältnismäßig
vielen deutschen Teilnehmern waren auch fast alle andere großen
OECD-Staaten vertreten. Nur Osteuropa, Asien und die Nicht-OECD-Welt
waren gefühlt unterrepräsentiert.

Wissenschaft hinkt Netzentwicklung
hinterher

Fazit: Wirklich neues konnte man der
Veranstaltung nicht abgewinnen. Eines aber machte die Konferenz klar
deutlich: Die Wissenschaft hinkt der aktuellen und schnelllebigen
Entwicklung scheinbar hinterher. Bei dem Tempo der Netzentwicklung
und der Zeit, die für empirische Forschung benötigt wird,
ist das fast verständlich. Dennoch konnte man einen guten
Einblick gewinnen in die Bandbreite an aktueller Forschung in den
Bereichen Politik, Internet und Öffentlichkeit.

Letztendlich waren es die Gespräche
zwischen den einzelnen Workshops, die dieser Konferenz einen
wirklichen Mehrwert beschert haben. Es war interessant zu erfahren,
wie die anderen 30 Länder das Thema Politics und Web 2.0
wissenschaftlich auswerten. Dem Veranstalter muss jedoch zu gute
gehalten werden, dass es die erste Veranstaltung dieser Art war und
dass sie dafür hervorragend organisiert war.

Trotz der riesigen Themenvielfalt
wurden jedoch zwei Themen komplett ausgelassen. Die rechtlichen
Grundlagen für nutzergenerierte Inhalte (User Generated Content)
im Web 2.0 und das Thema Datenschutz und Datensicherheit. Auch eine
kritische Hinterfragung, was für Gründe oder was für
ein Bedürfnis es gibt, das Phänomen Web 2.0 zu erforschen,
fand nicht statt. Stattdessen forderten die Hauptredner, schon mal
einen Blick auf Web 3.0 zu werfen, – obwohl man den Eindruck
gewinnen konnte, dass einige von Ihnen nicht mal das Web 2.0
verstanden haben.

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