Politische Wettkämpfe sind geprägt durch große Versprechungen für die Bevölkerung und für böse Unterstellungen gegenüber der politischen Gegner*innen. Gerade ist dies wieder besonders eindrucksvoll im amerikanischen Wahlkampf zu beobachten, in dem im Besonderen durch
das Trump Team der Wettstreit um Wähler*innenstimmen und sogar Einschaltquoten wie eine Fernsehshow anmutete. Aber die Strategie, Politik oder politische Vorhaben zu inszenieren, war bereits zuvor Teil der politischen Sphäre.
Im vorherigen Beitrag ging es um das Wechselverhältnis vom politischen Akteur zum Medienakteur und wie sich dieses durch die sozialen Netzwerke ändert. An dieser Stelle wird der Frage nachgegangen, wie sich politische Kommunikation allgemein durch die neuen Gegebenheiten wandelt.
Mit dem Aufkommen der sogenannten Mediendemokratie, circa ab den 1980er Jahren, wandelten sich auch die Kommunikationsbemühungen politischer Akteure gegenüber der Öffentlichkeit. Das über das Fernsehen ausgestrahlte Bewegtbild war schnell das bedeutendste Medium. Dabei transportiert das Fernsehen nicht lediglich Informationen, sondern dient auch der Unterhaltung. Es ist naheliegend, dass dies von Kommunikationsstrateg*innen wahrgenommen und berücksichtigt wurde. Mit dem Aufkommen verschiedener Ausprägungen der Mediendemokratie nahm auch die Bedeutung der öffentlichkeitswirksamen und unterhaltende Inszenierung von politischen Überzeugungen, Vorhaben und Narrativen zu. Solch eine Kombination von politischen Elementen mit Unterhaltungsaspekten wird als Politainment bezeichnet
Am deutlichsten wird dies mit dem Format der Polit-Talkshow. Nicht ohne Grund beinhaltet das Wort den Begriff “Show”. Es geht darum zu streiten, zu debattieren und zu unterstellen. Fakten spielen eine untergeordnete Rolle, die Zuschauer*innen sollen unterhalten werden. Immer wieder äußern sich Personen, die sonst wenig Berührungspunkte mit politischen Rhetoriken bei öffentlichen Auftritten haben, irritiert über ihre Talkshowerfahrungen. Während vor der Kamera Politiker*innen leidenschaftlich aufeinander und gegeneinander einreden und nichts unversucht lassen, damit die Zuschauer*innen die politische Konkurrenz nicht vergisst, wandelt sich dieses Verhalten, sobald die Lichter und Kameras aus sind. Ohne Zuschauer*innen vor den Bildschirmen reden viel Akteure wie Politiker*innen sachlich und freundlich miteinander.
Ihr Hoch hatte das Format der Talkshow in Deutschland in den 1990er Jahren. Für den politischen Akteur versprachen die Sendungen Aufmerksamkeit, obwohl neue Publikumsschichten nur schwerlich zu erreichen waren. Vorteilhaft war, dass in der Talkshow getätigte Statements jedes Mal das Potenzial hatten und auch heute noch haben von Medienakteuren aufgegriffen zu werden und als Ausschnitt in TV-Magazinen oder als Zitat in Tageszeitungen wiederzufinden. Somit können im Nachhinein Personenkreise erreicht werden, die die Talkshow nicht eingeschaltet haben.
War das Medium der 1980er und 1990er Jahre das Fernsehen, ist das Medium der Gegenwart mehr und mehr das Internet. Laut der ARD/ZDF-Medienstudie für das Jahr 2019 sind 90 Prozent der Bundesbürger*innen mittlerweile im Internet unterwegs – über 70 Prozent gar täglich. Zugleich sinken Zuschauerzahlen des linearen Fernsehens.
Einhergehend mit dem Aufkommen des Internets sind auch neue Möglichkeiten der (politischen) Inszenierung entstanden. Viele Spitzenpolitiker*innen verfügen heute über ein eigenes Twitter Profil (obwohl diese Profile nicht selten von Social Media Beauftragten bespielt werden) und kaum eine Initiative, die nicht mindestens eine Facebook Fanpage betreibt, über die Informationen und Botschaften bereitgestellt werden. Seltener existiert ein YouTube Kanal, über die jedoch teils sehr kreative Formate umgesetzt werden.
Die neuen Inszenierungsmöglichkeiten sind durch soziale Netzwerke weitreichend. Die grafisch aufbereitete Informationskachel oder das humorvolle Meme kann problemlos etwa auf Twitter oder Facebook hochgeladen und durch dessen Nutzer*innen weiter verbreitet werden. Auf Instagram
kann das eigene Privatleben der Politiker*innen oder der reichweitestarken Aktivist*innen als Homestory
präsentiert werden. YouTube bietet die Möglichkeiten Inzinierungslogiken des Bewegtbildes selbst anzuwenden und etwa im musikalisch untermalten Vlog die persönliche Meinung über das politische Tagesgeschehen zu äußern.
Ähnlich des Beispiels mit dem durch Medien aufgegriffenen Talkshow-Statement können auch Social Media Beiträge für Medienbeiträge verwertet werden. So lässt sich etwa ein Tweet zitieren oder gleich durch einen Einbettungscode in einem Online-Nachrichtenbeitrag präsentieren. Ähnliches bei dem Online-Video. Dieses kann in TV-Beiträgen eingearbeitet oder ebenfalls per Einbettungscode
auf anderen Seiten präsentiert werden. Somit hat der politische Akteur ein starkes Interesse eigene Beiträge so zu gestalten, dass Medienakteure den Beitrag an sich für zitier- oder berichtenswert halten, oder der Beitrag von sich aus viral geht. Die Notwendigkeit politische Inhalte mit Unterhaltungsaspekten zu kombinieren, um Personen zu erreichen, hat sich seit der durch das TV-Gerät geprägten Mediendemokratie nicht gewandelt. Jedoch sind durch das Internet und durch die sozialen Netzwerke neue Distributionskanäle entstanden, die den Aspekt des Politainments womöglich noch stärker zu berücksichtigen haben.
Der YouTube Kanal beispielsweise von Aktion Mensch hat all dies souverän umgesetzt. Auf unterhaltsame weise präsentieren die Moderator*innen Aspekte aus dem Leben von Menschen mit Behinderungen und werden gleichzeitig als Influencer*innen aufgebaut. Die Zuschauer*innen fangen an sich mit den Moderatoren*innen zu identifizieren, sie werden auf YouTube-typische Art unterhalten und werden zeitgleich für das Thema sensibilisiert. Auch die drei SPD Politiker Lars Klingbeil, Tiemo Wölken und Kevin Kühnert treten des Öfteren mal gemeinsam, mal alleine vor die Kamera, um Stellung zu tagesaktuellen Themen zu nehmen. Für die Zuschauer*innen sind sie als Menschen nahbar. Sie informieren und unterhalten zugleich.
Für den politischen Akteur von Bedeutung ist es, beim Online-Politainment authentisch und seriös zu bleiben, aber dennoch locker aufzutreten. Andernfalls droht die Abstrafung durch die Zuschauer*innen. Als vor wenigen Monaten die CSU ihr Online-Video Format CSyou startete, war der Spott groß. Neben Fake News Vorwürfen von Faktenfindern wurden vor allem die das erste Video bestimmenden Negative Campaining Elemente und das massive Eigenlob kritisiert. Die schlecht gemachte Umsetzung, das enorme Zurückgreifen auf Soundeffekte und das als nicht-authentisch wahrgenommene Auftreten des Moderators und Social-Media-Managers der CSU „Armin“ nahmen dem Video und Botschaften ihre Seriosität. Dennoch: Das Format gibt es immer noch, die Reaktionen sind aber weiterhin überwiegend negativ.
Inzenierungsaspekte spielen in der politischen Kommunikation über das Internet und die sozialen
Netzwerke eine elementare Rolle. Zentral dabei ist es authentisch aufzutreten und dennoch eine dem Thema gebührende Seriosität an den Tag zu legen, um die Öffentlichkeit auf die gewünschte Art und Weise zu erreichen. Jedoch hat sich in diesem Kontext die Zusammensetzung „der Öffentlichkeit“ seit der Mediendemokratie gewandelt. Diesem neuen Öffentlichkeitsverständnis widmet sich der nächste Beitrag.
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Text: CC-BY-SA 3.0