Das Urheberrecht ist derzeit Thema Nummer Eins. Die Debatte darüber wird zunehmend hitziger geführt – Urheber, Verwerter und Nutzer verschärfen den Ton. Viele scheinen aneinander vorbeizureden und für einige ist es derzeit nur noch schwer nachvollziehbar, wer eigentlich welche Positionen vertritt. Andreas Weck (netzpiloten.de) hat Pia Ziefle, Buchautorin des Romans „Suna“, zu ihrer Sicht auf die aktuelle Auseinandersetzung befragt. Und einen Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen bekommen.
Andreas Weck: Die Debatte um das Urheberrecht unterliegt derzeit einer ziemlich heftigen Diskussion, die weit über das Handeln von Politikern und Rechtsexperten hinausgeht. Der Spiegel zählte jüngst mehr als 1.500 prominente Autoren, Künstler und Schauspieler, die vor der Abschaffung des Urheberrechts warnen. Müssen sich Kreative tatsächlich vor dem Ende des Urheberrechts fürchten? Oder glaubst du da werden mehr Ängste geschürt, als tatsächlich notwendig sind? Welchen Standpunkt vertrittst du selber, als Buchautorin, in dieser Debatte?
Pia Ziefle: Es wird kein Ende des Urheberrechtes geben – am Ende des Tages werden alle ums Lagerfeuer sitzen und sich einig geworden sein. Es schwirren viele Kampfbegriffe herum, und noch mehr Halbwissen aus einem einfachen Grund: Das Urheberrecht in seiner bestehenden Form gibt einen Handlungsrahmen vor, innerhalb dessen Urheber, Verwerter und Nutzer agieren können. Dieser Rahmen ist sehr weit gesteckt und lässt sehr sehr viel Spielraum für individuelle vertragliche Regelungen. Das hat unter anderem zur Folge, dass wir unglaublich viele Gruppen von Urhebern haben, die unter dem Dach des Urheberrechtes vereint, die ganze Zeit aneinander vorbei reden. Die einen sind Sachbuchautoren, die zweiten Musiker, die dritten Wissenschaftler, Fotografen etc. Dazu kommt, dass alle Urheber ihre Werke in verschiedenen Arbeitssituationen schaffen: die einen sind angestellt, die anderen frei, sie schaffen im Auftrag, oder sie schaffen ein Werk und verkaufen es dann. Jede dieser Situationen benötigt andere vertragliche Regelungen, um Sicherheit zu schaffen für Auftraggeber, Nutzer und Urheber.
Mein Standpunkt ist der des autonomen Urhebers, der seinen Markt und dessen Gesetze kennt, für den die Verträge die er unterschreibt keine Bücher mit sieben Siegeln sind, und der mit den Verwertern seiner Werke auf Augenhöhe agieren kann.
Andreas Weck: Dem entnehme ich dass du selber das derzeitige Urheberrecht kritisierst? Wie kann es deiner Meinung nach sein, dass ein Urheberrecht, dass in seiner Grundform eigentlich schon viele Jahre existiert, erst jetzt zu dieser hitzigen Debatte geführt hat. Sachbuchautoren, Musiker, Wissenschaftler usw. die frei oder als Angestellte Werke veröffentlichen, gibt es doch nicht erst seit gestern? Hat man da in der Vergangenheit sich zu wenig mit auseinandergesetzt? Alte Strukturen quasi nicht in Frage gestellt?
Pia Ziefle: Ich kritisiere die oft sehr schlechten Bedingungen, mit denen Urheber konfrontiert sind, obwohl ihnen das Urheberrecht eigentlich eine viel stärkere Position gibt. Ich glaube, das ist auch der wahre Grund für die Auseinandersetzung, die jetzt aus verschiedenen Richtungen geführt wird. Viele Urheber haben sich ohnmächtig gefühlt gegenüber Auftraggebern, die immer weniger bezahlen und sich immer mehr Rechte übertragen ließen. Oder Wissenschaftler, die auf Veröffentlichungen angewiesen sind, und enorm hohe Kosten tragen müssen, weil “Verlage” eigentlich nur ihren Namen auf Bücher drucken, die sie weder lektoriert noch gesetzt haben, aber dennoch sämtliche Nutzungsrechte einkassiert haben. Jetzt ist das Thema auf dem Tisch, und manche Urheber setzen sich zum ersten Mal überhaupt mit ihren Rechten auseinander, nachdem sie die Arbeitsbedingungen bisher hingenommen haben, ja. Es kann nur positiv sein, wenn die Urheber miteinander ins Gespräch kommen. Aber ich will auch die Verwerter bitten, in ihrem eigenen Interesse sowohl den Urhebern als auch den Käufern gegenüber, besser zu erklären, was sie tatsächlich für ihre Autoren und Musiker tun.
Andreas Weck: Ein weiterer Grund warum das Urheberrecht derzeit so ins Visier genommen wird, ist auch der Umstand des Filesharings im Web. Dass Musik, Filme, eBooks usw. frei im Netz getauscht werden. Glaubst du dass das Filesharing die Geschäftsmodelle der Urheber bedroht oder führt es eher dazu dass der Vertrieb der Werke dadurch beflügelt wird? Auch hier gehen die Meinungen der Künstler, aber auch die der Experten oft auseinander.
Pia Ziefle: Schwierige Frage und ich habe keine Zahlen parat. Ich möchte gern auf jeden Fall erreichen, dass wir nicht über Quatsch wie “es ist doch nur eine Kopie” und “das ist kein Diebstahl” sprechen. Wenn Filesharing Verkäufe verhindert, dann fehlt mir ganz reales Geld an diesem Projekt. Darüber hinaus bin ich auf erfolgreiche Verkäufe angewiesen, um weitere Verträge zu bekommen, da hilft es nichts dem Verlag zu sagen: schaut, mein Content kommt super an, nur zahlen die Leute halt nicht so gern was dafür. Ich weiß aber nicht, von welchen Dimensionen wir sprechen, insofern habe ich keine fertige Meinung, ob Filesharing mit dem guten alten Kassettenkopieren vergleichbar ist, das wir alle gemacht haben solange wir kein Geld hatten und dann als Werbung aufgefasst werden kann. Oder ob es nicht doch darüber hinausgeht. Einzige Lösung: Filesharing überflüssig zu machen durch totalen Kundenservice. eBook Standards, realistisches Pricing, einfache Plattformen. Und (wahrscheinlich) kein Kopierschutz. Weil Kopierschutz beim ganz normalen ehrlichen Nutzer zu Frust führt, wenn sich bezahlte Dateien nicht öffnen lassen. Alles andere ist ein moralisches Problem, kein technisches.
Andreas Weck: Schaut man sich beispielsweise die Umsätze der US-Musikindustrie oder der US-Filmindustrie an, sind diese im Vergleich der Vorjahre auf jeden Fall konstant geblieben. Die beiden Industrien haben zusammen laut Bureau of Economic Analysis des US-Handelsministeriums in den Jahren 2004 bis 2010 sogar zugelegt. Von 92,1 Milliarden auf 102,1 Milliarden Dollar. Das sagt natürlich nichts darüber aus, ob es ohne Filesharing nicht mehr gewesen wäre, aber es zeigt dass es den Verwertern bei weitem nicht so schlecht geht, wie es oftmals offeriert wird.
Pia Ziefle: Der US-Markt ist mit unserem hier schlecht vergleichbar, im Buchbereich schon gar nicht, weil er z.B. keine Buchpreisbindung kennt wie in Deutschland. Und wenn sich dann Verschiebungen ergeben, oder lange für Umsatzgaranten gehaltene Modelle doch nicht so erfolgreich sind, Buchhandelsketten schwächeln, Filialen großer Händler geschlossen, verkleinert oder gar nicht erst eröffnet werden, und das eben trotz des Schutzes durch die festen Preise, dann schaut man natürlich lieber, ob man nicht einen Bösewicht ausmachen kann, dem man die Schuld geben kann. Fakt ist: Bücher werden in Tauschbörsen angeboten, sogar meins war 11 Tage nach Veröffentlichung in einer Tauschbörse nachgefragt worden – da kann man schon kurz Angst bekommen. Aber wie auch Frank Schirrmacher in der FAS sagte, wenn er von der “Trägheit der Industrie” spricht: wir brauchen schlicht schnelle, einfache digitale Vertriebswege. Wir Contentlieferanten und wir Nutzer. Und wir Künstler müssen ebenfalls die Chancen nutzen, die das Netz uns bietet, indem wir nämlich genauso vorgehen wie eine Band, die nachmittags umsonst in der Fußgängerzone spielt, um auf das bezahlte Konzert im Club am Abend aufmerksam zu machen: Wir müssen sichtbar sein und möglichst viele unserer Beiträge frei teilen. Dann werden wir für den Teil, den wir verkaufen wollen, auch unsere Bezahlung bekommen. Von begeisterten Verwertern, denen wir mit ganz anderem Preisbewusstsein gegenübertreten können, und von glücklichen Kunden.
Andreas Weck: Den Schirrmacher-Artikel habe ich auch gelesen. Er sagt ja auch, dass die Abmahnindustrie dahinter eigentlich nicht minder so ein wenig die Wurzel allen Übels in der Debatte ist, weil sie mit Ihren Anzeigen und ihren Strafen, den Nutzer auf der einen Seite kriminalisiert und auf der anderen Seite auch kräftig das Geld aus den Taschen leiert. Wie gehst du selber dagegen vor, wenn du siehst dass deine Bücher in Tauschbörsen nicht nur nachgefragt, sondern auch angeboten werden.
Pia Ziefle: Ich leite das an den Verlag weiter, dessen Rechtsabteilung die Bewertung vornimmt und gegebenenfalls Schritte einleitet – sehr gegebenenfalls. Einfach hinnehmen kann ich es persönlich nicht, aber ich möchte auch nicht, dass jemand, der das nur im allerkleinsten Stile tut, dafür exorbitante Strafen bezahlen muss. Mir reicht es, wenn demjenigen deutlich wird, dass wir das bemerken. Etwas anderes wären größere Dimensionen – und etwas ganz anderes sind die systematischen Abmahner, die da eine lukrative Einnahmequelle entdeckt haben. Das ist für mich überhaupt nicht akzeptabel.
Andreas Weck: Was ich mich in dem Kontext dann immer frage ist, ob der Urheber von diesen Abmahnungen eigentlich auch nur einen Cent sieht? Nun haben viele Verlage ja schon, wie du selber bemerkt hast, oftmals viele Rechte und zahlen wenig. Behalten diese dann auch noch die Strafen ein? Kennst du Personen, bei denen solch ein Fall eingetreten ist, oder ist bei dir selber schon solch ein Fall eingetreten?
Pia Ziefle: Üblicherweise werden Verwerter, also in meinem Fall der Verlag, mit der Wahrnehmung der urheberrechtlichen Nutzungs- und Leistungsschutzrechte an einem Werk beauftragt. Die Erlöse aus dieser Wahrnehmung werden entweder zu festgesetzten oder “zu branchenüblichen” Anteilen geteilt. Der Logik folgend sind Abmahnungserlöse ebenfalls Verwertungen, und wenn ich z.B. Jan Delay richtig verstanden habe, bekommt er Geld von seiner Plattenfirma und verschenkt es. Ich habe noch nie welches bekommen, aber ich bin nun nicht gerade die auflagenstärkste Autorin bei Ullstein. Es wäre interessant, dort mal direkt nachzufragen.
Andreas Weck: Lass uns noch einmal kurz auf politisches Terrain zu gehen. Um die teuren Abmahnungen zu vermeiden, schlagen viele Politiker schon seit längerer Zeit vor Warnmodelle einzuführen. Die Stichworte „Two-Strikes“ oder „Three-Strikes“ sind dir sicher bestens bekannt. Die Filesharer bekommen zwei oder drei Warnungen, bevor die Abmahnung ausgesprochen wird, oder sie sogar ihren Internetanschluss gesperrt bekommen. Hältst du diese Methoden für eine gelungene Alternative um den Abmahnwahn einzudämmen und den Nutzer zu erziehen?
Pia Ziefle: Naja, an sich klingt das ja vernünftig, man fährt zu schnell, wird verwarnt, bezahlt Strafzettel und verliert irgendwann den Führerschein für eine Weile. Aber die Analogie ist ein bisschen zu eindimensional, denn der springende Punkt ist ja: WER misst die Geschwindigkeit? Derjenige, der mir das Auto verkauft hat? Baut der Autohersteller ein Bordsystem ein, das automatisch meine Geschwindigkeit mit der erlaubten abgleicht und schaltet mir bei zu schnellem Fahren den Motor ab?
Nein, wir haben eine Polizei, und die misst nur. Strafe wird vor Gericht verhängt, oder nach Bußgeldkatalog, das gehört zu unserer Vorstellung von Gesellschaft und Demokratie. Wahrscheinlich ist der letzte Wunsch, der nach einer Internetpolizei, wie soll das auch gehen in einem weltweiten Netz? Ein paar Monate Finnland, ein paar Monate Syrien? Und nach welchen Gesetzen? Ich bin unbeirrbar: ich glaube fest an die Vernunft und daran, dass man immer zuerst miteinander sprechen kann. Weltweit. Freundliche Verwarnungen können ja ausgesprochen werden, vielleicht auch von Anwälten, aber ebenso wie im Straßenverkehr muss man nicht gleich 1.000 Euro, sondern erst mal nur 10 bezahlen. Übrigens werden Bußgelder an soziale Einrichtungen ausgeschüttet, so als Nebengedanke gar nicht so schlecht, denke ich gerade spontan und ganz unjuristisch.
Andreas Weck: Dass diese Debatte jedenfalls bald vernünftige Züge annimmt und im Sinne aller geregelt wird, bleibt zu hoffen. Da wir nun auch schon am Ende der Zeit angekommen sind, bedanke ich mich bis hier hin bei dir für dieses interessante Gespräch.
Pia Ziefle: Ich danke dir!
(Das Interview ist zuerst auf netzpiloten.de erschienen)