So berief der nationale Dachverband der Demokraten im August einen
einwöchigen Workshop an der Universität Cleveland ein,
um ehrenamtliche und hauptberufliche Wahlkämpfer mit der neuen
Wunderwaffe der Partei vertraut zu machen: dem VoteBuilder.
Das System des VoteBuilders besteht aus einer Community-ähnlichen
Internetplattform, auf der sich Unterstützer des demokratischen
Präsidentschaftskandidaten austauschen können, Wählerdaten
miteinander teilen und Wählerprofile erstellen.
Die Republikaner, schon einige Jahre länger auf gleiche Weise
aktiv, bieten ihrerseits ein sehr ähnliches datenbankgestütztes
System auf. Die Voter
Vault wurde überregional erstmals bei der Wiederwahl von
George W. Bush 2004 eingesetzt und als entscheidend für den
Sieg gegen John Kerry gefeiert.
Daten sammeln an der Haustür
Eines haben VoteBuilder und Voter Vault gemeinsam: Sie beinhalten
beide Daten von mehr als 165 Millionen Amerikanern. Tausende Helfer
sammeln diese in den einzelnen Wahlbezirken an der Haustür
– oder Marketing-Agenturen kaufen die Daten im großen
Stil an. Religiöse Ausrichtung, Zeitungs- und Zeitschriftenabonnements
oder die bevorzugten TV-Sendungen, den aktuellen Wert des Eigenheims,
eine mögliche kriminelle Vergangenheit oder Informationen über
eine Vorliebe für Schneemobile sind nur einige Beispiele für
die gewaltige Datenfülle, die zusammengetragen wird.
Dabei ist Marketing-Experten der Begriff “Microtargeting”
abseits der Politik schon seit über 40 Jahren bekannt. Die
Vorgehensweise blieb die gleiche, egal ob für Waschmittel oder
Parteiprogramme geworben wird. Man erstellt eine qualitative statistische
Stichprobe mittels Umfrage, die die Interessen und Charakteristika
der umworbenen Zielgruppe identifiziert. Das so erstellte Zielgruppenprofil
identifiziert etwa den typischen Abtreibungsgegner in Columbus,Ohio
als 42-jährigen Weißen, der ein überdurchschnittlich
teures Haus besitzt, gerne Golf spielt, regelmäßig die
Kirche besucht und dessen Kinder auf eine Privatschule gehen.
Kaum Datenschutzbedenken in den USA
Nach diesem Profil wird nun in der Wählerdatenbank gefiltert,
ähnliche Personen werden über E-Mail, Telefon oder an
der Haustür kontaktiert und für die eigene Partei geworben.
Für 2008 kündigten US-Parteien bereits individuelle Wahlwerbung
auf dem Mobiltelefon und über digitales Fernsehen an. Dabei
werden spezifische Themen besonders betont, von denen man sich ein
starkes Interesse des angesprochenen Bürgers erhofft. Befürworter
der Methode feiern Microtargeting in der Politik als den Königsweg,
um endlich gezielt auf Wählerinteressen eingehen zu können
und das politische Interesse der US-Bürger zu erhöhen.
Kritiker warnen vor mangelnder statistischer Verlässlichkeit
und zu hohen Kosten.
Datenschutzbedenken kommen in den USA kaum auf, obwohl bereits
aus 2001 ein Hackerangriff auf einen IT-Dienstleister der republikanischen
Partei bekannt ist. Einträge aus Voter Vault wurden angeblich
nicht entwendet, exakte Details über den Vorfall halten das
betroffene Unternehmen und die Partei jedoch zurück.
In Deutschland findet Microtargeting wenig Freunde
Eine ähnliche Entwicklung in Deutschland beobachten Experten
kritisch. “Viele Bürger wollen nicht mit ihren persönlichen
Vorlieben in Datenbanken gespeichert werden. Es muss immer eine
Einwilligung vorliegen, dass personenbezogene Daten und vor allem
Vorlieben gespeichert und verarbeitet werden dürfen,”
sagt etwa der Betreiber von netzpolitik.org
und Datenschützer Markus Beckedahl.
Ralf
Bendrath, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen,
meint: ”Der Wähler wird nicht ehrlich und als ganzer
Mensch behandelt, sondern nur anhand seines Profils. Wahlkampf wird
so dem Gebrauchtwagenhandel immer ähnlicher.”
Grundsätzlich scheinen die Voraussetzungen für Microtargeting
in Deutschland wesentlich schlechter zu sein. In den USA ist der
Datenschutz im privaten Sektor, zu dem auch Parteien gehören,
kaum geregelt. “Deutschland hat eine andere Datenschutztradition
als die USA. Hier haben wir noch mit die strengsten Richtlinien,
was den Schutz personen-bezogener Daten betrifft”, so Beckedahl.
Wahlwerbung mit gekauften E-Mail-Adressen
Zudem verfügen die deutschen Parteien über wesentlich
weniger Finanzkraft als Republikaner oder Demokraten und könnten
nur schwerlich solch kostenintensive Systeme aufziehen. Bendrath
fügt an: "Generell gilt in der EU, dass etwa eine direkte
Ansprache per Telefon nicht erfolgen darf, wenn nicht bereits eine
Geschäftsbeziehung besteht. Das gilt auch für politisches
Marketing."
Jedoch stimmen deutsche Internetuser und Kunden häufig einem
Weiterverkauf ihrer Daten zu, etwa bei der Teilnahme an Gewinnspielen.
Und vereinzelt verwendeten auch deutsche Parteien bereits technologiegestützte
Direktmarketinginstrumente. Ronald Schill rief während der
Hamburger Senatswahl 600.000 Bürger per Telefoncomputer an.
Die Union kaufte 2005 vier Millionen E-Mail-Adressen an, um Wahlwerbung
zu verschicken.
Die Aktionen riefen große Proteste hervor. Generell seien
deutsche Bürger Direktmarketing gegenüber kritischer eingestellt
als US-Bürger: ”Viele Bürger empfinden diese unerwünscht
zugesendeten Werbeinformationen zurecht als Spam. Die so erworbenen
Datensätze und ihre Verwendung gelten oftmals als unseriös”,
gibt Markus Beckedahl zu bedenken.