Aktuelle europapolitische Debatten tauchen im Wahlkampf nur am Rande auf. Die Innenpolitik dominiert. Wie sprechen Parteien die EU-müden Bürger an?

„Stell Dir vor, es ist Wahl, und keiner geht hin.“ Kürzer kann man die politische Stimmungslage wenige Tage vor der Europawahl am 13. Juni wohl kaum zusammenfassen. Glaubt man den Prognosen der großen Meinungsforschungsinstitute, so dürfte sich die Wahlbeteiligung in diesem Jahr bei einem historischen Tiefstand einpendeln. Kein Wunder – erweist sich die überwiegende Mehrheit der wahlberechtigten Bundesbürger doch als notorische „EU-Muffel“. Eine Umfrage vom Februar diesen Jahres ergab, dass sich 47 Prozent der Deutschen für (Bundes-) Politik, aber lediglich 22 Prozent für Europapolitik interessieren. Eine alarmierende Situation für die Wahlkampfstrategen der Parteien, denen in Zeiten schwindender Stammwählerschaft mehr denn je daran gelegen sein muss, die eigene Klientel an die Urne zu treiben.

Europathemen
sind rar

Mit welchen Mitteln die Parteien die Wählerinnen und Wähler für die Europawahl begeistern wollen, kann man seit ein paar Wochen in Werbespots, Flugblättern, auf Plakaten, Kundgebungen und den eigens eingerichteten Internet-Seiten verfolgen. Auffallend ist dabei vor allem eins: Aktuelle europapolitische Fragen, wie zum Beispiel die Debatte über eine gemeinsame europäische Verfassung, tauchen in den Kampagnen der verschiedenen Parteien allenfalls am Rande auf. Im Mittelpunkt des Europawahlkampfs stehen statt dessen wie schon 1999 klassische innenpolitische Themen wie die Sozialreformen.

Gegen den Kanzler

Insbesondere die Union versucht, die Europawahl zu einer „Denkzettelwahl“ gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung zu machen: „Deutschland kann mehr“ ist der
CDU Slogan, während die
CSU „Zeichen setzen für Deutschland“ verspricht. Inhaltlich setzen die Kampagnenmacher der CDU/CSU neben der Kritik an der Regierung vor allem auf zwei Themen: Den möglichen EU-Beitritt der Türkei und die Osterweiterung der Europäischen Union. Eine strategische Entscheidung, die sich für die CDU/CSU am Wahltag bezahlt machen könnte – wie Umfragen belegen, steht die überwiegende Mehrheit der Deutschen einer schnellen Aufnahme der Türkei in die Europäische Union ähnlich ablehnend gegenüber wie der Osterweiterung. Also alles nur Populismus?

Auf der CDU-Homepage gibt Spitzenkandidat Hans-Gert Pöttering jedenfalls zu Protokoll, dass im Falle der Türkei „noch erheblicher Handlungsbedarf bei Menschenrechten und grundsätzlichen Freiheiten“ bestünde. Ein klarer Seitenhieb auf SPD und Grüne, die sich für eine baldige Aufnahme der Türkei in die EU stark machen. Schärfere Geschütze fährt die CSU in der Frage der EU-Osterweiterung auf: Diese sei zwar grundsätzlich zu begrüßen, allerdings habe die Bundesregierung auch hier kläglich versagt. Parteichef Edmund Stoiber kritisiert, dass Kanzler Schröder Deutschland „miserabel“ auf die Osterweiterung vorbereitet habe: „Das Land wird untergehen, wenn wir uns nicht auf die neue Konkurrenz einstellen.“

„Friedensmacht“

Die Sozialdemokraten treten angesichts des Frontalangriffs der Union die Flucht nach vorne an. Die
SPD versucht sich als „Friedenspartei“ zu profilieren. Als „Friedensinitiative“ soll der Wählerschaft die unpopuläre EU-Osterweiterung schmackhaft gemacht werden. Die von der Union geschürten Ängste vor dem Beitritt seien unbegründet. Aus Sicht der SPD gibt es „keine Anzeichen“, dass Firmen nach Osteuropa abwandern könnten. In all diesen Staaten sei Deutschland Nummer eins beim Export.

Vor allem aber will die SPD die Europawahl zu einer „Volksabstimmung über Krieg und Frieden“ machen. „Deutschlands Haltung in der Irakfrage war und ist richtig", lautet einer der Kernsätze der SPD-Wahlkampfmanager in der Europakampagne. Klare Worte findet SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz: „Mit Angela Merkel als Kanzlerin stünden nun Tausende deutscher Soldaten im Irak.“ Das klare Nein der SPD zum Irak-Krieg hatte während des letzten Bundestagswahlkampfs zu einem Überraschungssieg von Rot-Grün geführt. Diesmal soll es die eigenen Stammwähler mobilisieren.

Grüne Politik als Marke

Ist die Europawahl 2004 also nicht mehr als eine Neuauflage der Bundestagswahl 2002? Wenn man sich die Kampagnen von Union und SPD ansieht, liegt dieser Schluss nahe. Allerdings hält der Europawahlkampf fernab der beiden großen Volksparteien doch Überraschungen bereit: So dürften die
Grünen mit der am 22. Februar diesen Jahres gegründeten Partei „
Eurogreens“ neue Maßstäbe gesetzt haben. Interessant ist dabei weniger die Parteigründung als solche: Länderübergreifende Kooperationen innerhalb der jeweiligen politischen Lager existieren schon seit Jahren. Den Grünen ist es als erster Partei gelungen, mit einer europaweit einheitlichen Kampagne an den Start zu gehen.

Ein Umstand, auf den Steffi Lemke, die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, merklich stolz ist: „Mit einer gemeinsamen Kampagne wollen wir demonstrieren, dass wir Europa ernst nehmen.“ Noch deutlicher wird Bernd Heusinger, der Geschäftsführer der Agentur „Zum Goldenen Hirschen“, die die Europa-Kampagne der Grünen betreut: „Diese Kampagne hat einen europaweiten Wiedererkennungseffekt, und damit vermitteln wir ganz klar die Botschaft: Bei diesen Wahlen geht es um Probleme, die nur europaweit gelöst werden können – und die Grünen haben dafür als einzige politische Kraft auch europaweite Lösungen.“ Allerdings mussten auch die von Kopf bis Fuß auf Europa eingestellten Grünen Zugeständnisse machen: Innerhalb der einheitlichen Corporate Identity bleibt es den einzelnen Ländern vorbehalten, regionale oder nationale Schwerpunkte zu setzen. Politik als Markenkommunikation mit regionalen Spezialitäten.

Brüder und Schwester zur Kampagne

Auf die europäische Schiene setzen auch die Wahlkampfmacher der
PDS. Sie hofft, von der Anfang Mai gegründeten „Partei der Europäischen Linken“ (EL) profitieren zu können. Bei der Europäischen Linkspartei handelt es sich um einen Zusammenschluss aus 15 Parteien mit insgesamt mehr als 500.000 Mitgliedern. Anders als bei den Grünen gibt es keinen gemeinsamen Wahlkampf der verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Parteien. „Es reicht“, sagt ein PDS Wahl-Slogan. Damit kann sie nicht den Einzug ins Parlament meinen, wird sie laut Umfragen an der 5-Prozenthürde scheitern. Ob die Inszenierung als Anti-Kriegs- und Anti-USA-Partei ausreicht, ist fraglich. Denn gerade die Schwäche im Osten gefährdet den Einzug ins Parlament.

Profilsuche mit Frontfrau

Die FDP bemüht sich unterdessen um eine Fortsetzung des „Projektes 18“ mit anderen Mitteln: Im Unterschied zu den anderen Parteien steht Silvana Koch-Mehrin, die Spitzenkandidatin der Liberalen, im Zentrum der Kampagne. Auf der Homepage der
FDP meldet sich



Frau Koch-Mehrin regelmäßig per SMS zu Wort: „Tour durch McPom. Die Menschen hier haben viele Sorgen. Die Osterweiterung bringt mittelfristig neue Jobs, wenn wir in Deutschland vernünftige Politik machen.“ Politisch geht es bei der FDP allerdings nicht immer zu: So erfährt man weiter oben auf der Seite, dass die 33-jährige Unternehmensberaterin ihre Croissants selbst schmiert und ihr „ganz persönliches Glück“ mit Lebensgefährte und kleiner Tochter gefunden hat. Offenbar eine erfolgversprechende Strategie, denn über mangelndes Medieninteresse kann sich Silvana Koch-Mehrin nicht beklagen. Die bundespolitische Zwitterlage, einerseits an der Seite der Union im Lager der Opposition, andererseits auf der Suche nach eigenem Profil, macht der FDP auch bei der Europawahl zu schaffen. „Wir können Europa besser“ ist der liberale Slogan. Doch die Führerschaft bei der Kritik an der rot-grünen Sozialpolitik und am Türkei-Beitritt hat die Union inne, während das „pazifistische“ Boot durch Rot-Grün besetzt ist. Aber das letzte Wort haben am 13. Juni immer noch die Wählerinnen und Wähler.

Erschienen am 03.06.2004

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