Das Open Government Camp war nach Einschätzung der Initiatoren des government 2.0 Netzwerk Deutschland ein voller Erfolg und hätte neue Informationen und Ideen gebracht. Wie der angestrebte Kulturwandel in Politik und Gesellschaft jedoch zu bewerkstelligen ist, wurde nicht hinreichend diskutiert.

Das diesjährige Open Government Camp startete am Donnerstagabend mit einem "Stammtischgespräch" und der erstmaligen Verleihung des Preises für den "Open Government Hero 2011" in der bayerischen Vertetung. Nominiert waren elf so genannte "change agents", die sich beispielsweise durch die Implementierung von Bürgerhaushalten um die Idee des Open Government verdient gemacht hatten. Die Gewinnerin war Karin Engelhardt (im Bild links) in ihrer Funktion als Online-Managerin der oberfränkischen Stadt Coburg. Engelhardt hatte unter anderem das Projekt eines kollaborativ erstellten digitalen Stadtgedächtnisses initiiert. Im Rahmen dieses Projektes wurde die Stadtgeschichte von den Bürgern und der Verwaltung gemeinsam erforscht und virtuell nacherzählt.

An die Preisverleihung schloss sich das Stammtischgespräch "Von Government 2.0 zu Open Government" an. Martin Hagen, Referatsleiter "Zentrales IT-Management und IT-Government" des Bremer Senats für Finanzen, machte deutlich, dass die Bemühungen um Open Government noch immer in den Kinderschuhen steckten. Nach einer ersten innovativen Phase, die hauptsächlich von zivilgesellschaftlichen Netzwerken geprägt worden sei, brauche es zur Durchsetzung der Ziele des Open Government "Institutionen mit längerem Atem". Der Begriff des Open Government müsse weiter gefasst werden und nicht nur als Internetphänomen, sondern als Modernisierungsstrategie begriffen werden, meinte auch Renate Mitterhuber, die sich als Leiterin der Stabsstelle E-Government in der Hamburger Finanzbehörde schon seit einigen Jahren mit diesem Thema auseinandersetzt. Open Government sei konsequenterweise vielmehr eine Kulturfrage als eine Auseinandersetzung mit der Technik. Die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär (CSU) skizzierte mögliche Grenzen des offenen Regierens. So wagte sie unter anderem zu bezweifeln, dass Bürger ihre Gehaltsdaten gerne publiziert sähen. Auch in der Frage der Öffentlichkeit bei Ausschussitzungen des Bundestages sei sie "hin und hergerissen". Die fehlende Öffentlichkeit ermögliche es, auch Kollegen anderer Parteien zu loben und zu unterstützen. Wären die Sitzungen öffentlich, könne sie Probleme mit ihrer Wählerschaft bekommen oder sich den Vorwurf eines konfliktarmen Kuschelkurses einhandeln.

Häufig wird Open Government noch immer auf die technische Ausgestaltung von Transparenz und twitternde Abgeordnete reduziert. Doch konsequent und sinnvoll umgesetzte "offene" Regierungs- und Politkprozesse setzen viel mehr voraus: nämlich  ein Umdenken und die Entwicklung neuer gesellschaftlicher Strukturen. Dafür gab die isländische Parlamentarierin Brigitta Jónsdóttir ein gutes Beispiel, die in ihrer Keynote von Erfahrungen in ihrer Heimat berichtete. Die Finanzkrise habe 2008  in Sachen Bürgerbeteiligung in Island als Katalysator gewirkt. Krisen seien überhaupt die einzigen Zeiten, in denen große Veränderungen möglich seien. Am Beispiel der Erstellung einer neuen isländischen Verfassung zeigte Jónsdóttir die Möglichkeiten der Bürgerpartizipation auf. Diese wurde unter Einbeziehung aller interessierten Isländer in einem kollaborativen Verfahren über das Internet gestaltet. Die Bürger konnten mit Hilfe des Kommentarfeldes bei Facebook Änderungsanträge einbringen und an der Diskussion teilnehmen. Die isländische Open Government-Bewegung habe die Möglichkeit erkannt, mit der Tradition der Geheimhaltung zu brechen."Es war eigentlich so einfach, das zu ändern – wenn Leute sagen, dass hier Änderungen nicht so einfach zu realisieren sind, dann sind sie einfach nur faul", so Jónsdóttir. Alle Regierungsdokumente müssten offen gelegt werden, da es keine Begründung für die Geheimhaltung von staatlichen Dokumenten gebe. Bereits im Bildungswesen müssten die nötigen Grundlagen geschaffen werden, um Kinder und Jugendliche zu mündigen Bürgern zu erziehen und sie zur dauerhaften politischen Partizipation zu animieren. Leider wurden die isländischen Vorbilder im weiteren Verlauf der Veranstaltung kaum noch aufgegriffen.

Erklärtes Ziel des BarCamps war zwar ein Wandel der Diskussionsthemen weg von technischen Fragestellungen hin zu den notwendigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die meisten angebotenen Sessions beschäftigten sich jedoch auch in diesem Jahr lediglich mit Einzelprojekten und methodischen Aspekten. Vielversprechend klang die Session "Wofür Open Governemment?". Die Sessiongeber Sebastian Haselbeck, Ole Wintermann und Maik Bohne hatten im Vorfeld sechs konfrontative Thesen formuliert. Dabei wurden die Legitimation der aktiven Internetnutzer zur Disposition sowie die Frage gestellt, ob internetbasierte Open Government-Konzepte nicht zu viele Menschen von der Partizipation ausschlössen. Zusätzlich wurden offene Fragen zur Diskussion formuliert. Wie kann in der Bevölkerung für Open Government geworben werden? Ist die Beschränkung auf den nationalen Bezugsrahmen richtig? Wie viel Beteiligung verträgt die Demokratie eigentlich? In Anbetracht der geringen zur Verfügung stehenden Zeit (maximal eine Stunde pro Session) erwies sich die Fülle an Input seitens der Sessiongeber schnell als zu groß – konkrete Erkenntnisse blieben Mangelware. Weder die Kernfrage der Session, was Open Government den Bürgern und der Verwaltung eigentlich bringt, noch die Frage, wie mehr Menschen zur Beteiligung angeregt werden könnten, wurden eingehend diskutiert.

Wie Open Government erfolgreich sein kann, zeigten britische Vertreter der Open Government- Bewegung. Die Session "Fix my society – mehr Bürgerbeteiligung durch OpenGovernment" stellte einige erfolgreiche Beispiele aus der britischen Verwaltungspraxis vor. Am Beispiel der Webseite für Sozialhilfe der Stadt Stockport wurden die Potenziale eines gemeinsam mit einer Zielgruppe entwickelten Verwaltungsportals dargelegt: Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen für die Verwaltung sowie neu geschaffene Informationsangebote für die Bürger. Die Verwaltung habe die Bürger reden lassen und nicht einfach nur gefragt, wie sie bestimmte Angebote bewerten. Vom passiven Kunden zum Bürger als Partner – diese Entwicklung könne auch für Deutschland ein gutes Beispiel sein. Denn die Innovationen lägen auf der Straße – Opensource-Projekte seien für alle Seiten von Vorteil. Die Bürger wären vielleicht sogar irgendwann bereit, Geld zu bezahlen, um ihre Meinung kundtun zu dürfen. Die bisherigen Projekte hätten jedoch auch offenbart, dass eine Rückmeldung seitens der Behörden zu den Vorschlägen wichtig sei und dass zur Evaluierung der Initiativen ökonomische Daten gebraucht würden. Nur so könne bewiesen werden, welche Vorteile Open Government für Verwaltung und Bürger bringen könnte.

In der abschließenden "final session" gab es reichlich Lob für die Organisatoren des BarCamps. "Ein super Treffpunkt für alle, die in die gleiche Richtung wollen". Das darin begründete Risiko wurde jedoch auch sogleich erkannt. "Wir laufen Gefahr, immer mit uns selbst zu sprechen." Vor allem die fehlende Einbindung politischer Entscheidungsträger ist daher bedauerlich. Zahlreiche interessante Projekte wurden präsentiert, eine ergebnisorientierte Diskussion über den von vielen Teilnehmern geforderten Kulturwandel in Gesellschaft und Politik fand jedoch nicht statt. Zudem kam die wichtige Frage, wie der weniger netzpolitisch engagierte Durchschnittsbürger einbezogen und zur Partizipation animiert werden könnte, zu kurz.

Die nächsten Gelegenheiten, über die Potenziale von Open Government zu diskutieren, gibt es bereits am 20. und 21. Oktober in Warschau. Dort findet in diesem Jahr das internationale "Open Government Data Camp 2011" statt. Außerdem startet am 3. Dezember in Wien das österreichische Pendant zum jüngsten BarCamp.

Privacy Preference Center