Eine aktuelle Studie des Branchenverbands Bitkom gibt die Richtung vor: Gut ein Drittel der Befragten sagt, dass der Internet-Wahlkampf entscheidend für den Ausgang der Bundestagswahl ist, jeder Dritte informiert sich auf Social-Media-Plattformen über Politik. Auch wenn der klassische Wahlkampf damit nicht ersetzt wird, sollte 2013 keine Partei ohne Online-Kampagne in den Kampf um Stimmen ziehen. Wie man Wähler am besten im und ins Netz lockt, darüber haben wir mit den Verantwortlichen gesprochen. Welche Bedeutung hat der Online-Wahlkampf? Kann der User mitmachen? Was tun im Shitstorm?
Unsere Fragen an die Partei Bündnis90/Die Grünen beantwortete Robert Heinrich, der Wahlkampfmanager der Grünen für die Bundestagswahlkampf 2013.
politik-digital.de: Welche Wählergruppe wollen Sie mit der Online-Kampagne ansprechen?
Robert Heinrich: Unser Wahlkampf richtet sich an unser gesamtes Wählerpotential. Wir machen da keinen Unterschied zwischen online und offline, auch weil wir wissen, dass die Grünen-Wähler überdurchschnittlich online-affin sind. Zwar ist die Grünen-Wählerschaft im Netz im Schnitt etwas jünger als diejenigen Grünen-Wähler, die zum Beispiel Lokalzeitungen lesen. Aber wir haben den Ehrgeiz, über das Internet einen großen Teil unserer Wählerschaft anzusprechen.
politik-digital.de: Wie wichtig ist der Online-Wahlkampf, verglichen mit anderen Werbekanälen? Hat sich bezüglich der Priorisierung etwas im Vergleich zu 2009 geändert?
Robert Heinrich: Ich lehne den Begriff Online-Wahlkampf inzwischen ab, denn er bedient ein Klischee: Da gibt es den „richtigen“, „harten“ Wahlkampf auf der einen Seite, mit Plakaten, Infoständen und Tagesschau – und dann gibt es noch den Online-Wahlkampf: Der läuft quasi als Beiboot, witzig, kreativ, aber letztendlich irrelevant. Das wird der Relevanz des Mediums längst nicht mehr gerecht, deswegen sage ich: wir führen einen integrierten Wahlkampf in allen Kanälen. In diesem integrierten Wahlkampf ist Online inzwischen das Herzstück. Wir nutzen das Internet heute, um die Kampagne zu organisieren, unsere eigenen Anhänger zu mobilisieren, für unsere Inhalte zu werben und um mit den Bürgern in Dialog zu treten.
politik-digital.de: Welchen Anteil am Gesamtbudget hat die Online-Kampagne? Gibt es eine Veränderung, verglichen mit 2009?
Robert Heinrich: Das kann man in einer integrierten Kampagne in Zahlen eben nicht klar sagen. Jeder Mitarbeiter im Basislager betreibt Online-Kommunikation, ebenso ist eine E-Mail an Kreisverbände mit einer Datei, die Mitglieder vor Ort nutzen können, eine Form des Wahlkampfes im Netz. Trotzdem: 2013 geben wir noch einmal deutlich mehr für die Online-Kommunikation aus als noch 2009.
politik-digital.de: Welcher Teil des Online-Wahlkampfes ist das Herzstück der Kampagne?
Robert Heinrich: Das Herzstück unserer Kampagne ist nach wie vor die eigene Website. Sie ist digitaler Infostand, Stammtisch, Mitmachzentrum und Wahlkampfzentrale in einem. Dort können sich Wähler informieren, einmischen und mitmachen. Aber natürlich warten wir nicht darauf, dass die Menschen zu unserer Seite finden, sondern sind im Netz präsent: Bei Facebook, Twitter, Google+ und YouTube haben wir deshalb Angebote geschaffen, die für unsere Inhalte werben. Die sozialen Medien sind wichtige Kanäle für uns, um Wähler zu mobilisieren und die eigene Reichweite zu vergrößern. Und wir stecken einen erheblichen Teil unseres Media-Etats ins Online-Marketing.
politik-digital.de: Kann die Parteibasis Einfluss nehmen auf die Kampagne?
Robert Heinrich: Unsere Kampagne setzt so konsequent wie nie zuvor auf die Beteiligung unserer Mitglieder. Deshalb haben wir unsere Spitzenkandidaten per Urwahl bestimmt und einen Mitgliederentscheid über die neun wichtigsten Projekte einer möglichen Regierungsbeteiligung durchgeführt. Wir werden im Netz massiv mit diesen neun Projekten um Stimmen werben und sie dafür spannend, unterhaltsam und verständlich aufbereiten – als eine Art interaktives Wahlprogramm! Ich kann ihnen versprechen: In diesem Wahlkampf wird es Spaß machen, sich mit grünen Inhalten zu beschäftigen!
politik-digital.de: Auch dieses Mal soll direkt vor der Wahl eine „3 Tage wach“-Aktion stattfinden. Wie genau wird das ablaufen? Wie war die Resonanz der Bürger bisher bei ähnlichen Aktionen?
Robert Heinrich: „3 Tage wach“ ist das ambitionierteste politische Dialog-Event, das mir bekannt ist: Rund um die Uhr werden mehrere Hundert ehrenamtliche Wahlkämpfer/innen in den drei Tagen vor der Wahl politische Fragen beantworten. Vor der Bundestagswahl 2009 wurden so insgesamt 12.000 Fragen beantwortet, über eine Viertel Million Nutzer haben die Seite in diesen drei Tagen besucht. Danach wurde „3 Tage wach“ bei jeder einzelnen Landtagswahl eingesetzt, heute ist es bei den Grünen fast so selbstverständlich wie Plakate kleben. Es zeigt, dass die Partei immer stärker in den Wahlkampf im Netz hineinwächst. Natürlich sind wir in diesem Wahlkampf wieder „3 Tage wach“ – und wir haben uns dafür auch etwas ganz Besonderes einfallen lassen, Sie können gespannt sein.
politik-digital.de: Welche Möglichkeiten bietet ihr Mitgliederportal Wurzelwerk?
Robert Heinrich: Das Wurzelwerk ist in erster Linie eine interne Plattform für die politische Arbeit, mit deren Hilfe sich z.B. Basisgruppen vor Ort miteinander vernetzen und ihre Arbeit organisieren können. Wir als Bundesverband stellen unseren Mitgliedern im Wurzelwerk exklusive Tools zur Verfügung, damit diese eigenständigen Wahlkampf machen können: von Argumentationshilfen über Druckvorlagen bis hin zu Design-Manuals. Wichtig: Das Wurzelwerk ist kein reines Wahlkampf-Werkzeug, sondern ein Netzwerk für die politische Arbeit. Es ist eine grüne Community wie auch ein grünes Intranet, bietet Kalender, Etherpad, Abstimmungstools und Dokumentenverwaltung.
politik-digital.de: Insbesondere für Nicht-Mitglieder haben sie online das Portal „Meine Kampagne“ eingerichtet. Welche Möglichkeiten eröffnet diese Plattform den Unterstützern ihrer Partei? Wie ist die Resonanz der Bürger?
Robert Heinrich: „Meine Kampagne“ ist ein Mitmachangebot das sich sowohl an Nicht-Mitglieder als auch an Mitglieder richtet. Sie bietet die Möglichkeit, die Grünen – z.B. durch die Teilnahme an bestimmten Aktionen – unkompliziert zu unterstützen. Sie können dort bei Peter Altmaier gegen Fracking protestieren, eine Petition für Edward Snowden unterschreiben – oder aber den Grünen einen Kinospot spenden. „Meine Kampagne“ besteht bereits seit 2009. Im Gegensatz zu den anderen Parteien haben wir unsere Plattform nicht nach der letzten Wahl vom Netz genommen. Auch während der laufenden Legislaturperiode haben wir dort Aktionen und Kampagnen gestartet. So gelang es uns, die Mitgliederzahl der Plattform seit der Bundestagswahl 2009 von 7.000 Unterstützern auf über 15.000 Unterstützer zu erhöhen. Und wir werden die Plattform im Laufe des Wahlkampfes noch populärer machen können.
politik-digital.de: Welche Erfahrungen wurden mit Veröffentlichung unter Creative Commons und der offenen Kommentarfunktion gemacht? Wurde das missbraucht? Mussten Kommentare später gelöscht werden?
Robert Heinrich: Insgesamt machen wir sehr gute Erfahrungen mit Offenheit. Ein Beispiel: Über Spread-Shirt haben wir einen T-Shirt-Shop laufen, der es Menschen ermöglicht, T-Shirts mit eigenen grünen Mottos zu gestalten. Dort gab es bisher nahezu keinen Missbrauch. Natürlich müssen wir bei bestimmten Kommentaren eingreifen. Wir haben klare Nutzungsbedingungen. Kommentare, die beleidigen oder diskriminieren, werden gelöscht. Unsere Kommentarfunktion ist aber insgesamt ein Signal an die User, dass wir den Dialog nicht in versteckte Foren verbannen, sondern überall dort anbieten, wo wir mit Inhalten an die Öffentlichkeit treten. Dialog und Inhalt bilden eine Einheit.
politik-digital.de: Werden Kommentare der User verwertet/ in das Wahlprogramm miteinbezogen?
Robert Heinrich: Kommentare sind ein hilfreiches Feedback, das wir sehr ernst nehmen. In der Wahlkampfzentrale beobachtet ein grüner Social-Media-Manager die Kommentare, geht auf Kritik ein und beantwortet Fragen. Eine direkte Verwertung im Wahlprogramm, dessen Erstellung ja das Recht der Parteimitglieder ist, findet nicht statt.
politik-digital.de: Ist der Abwählkalender eine Form des „Dagegen-Wahlkampfs“?
Robert Heinrich: Der Abwählkalender ist Attacke-Wahlkampf mit Witz und Substanz. Dort wird nicht einfach gepöbelt, sondern es wird mit Fakten die Bilanz einer Regierung gezogen. Wir bieten den Menschen dort jeden Tag ein neues Argument, die aktuelle Regierung abzuwählen. Das ist natürlich „dagegen“. Aber wir sagen gleichzeitig auch immer, wofür GRÜN steht. Eine Opposition hat im Wahlkampf zwei Aufgaben: Zum einen aufzuzeigen, wofür sie steht und was sie anders machen möchte. Das tun wir in diesem Wahlkampf mit viel Aufwand. Zweitens eine kritische Bilanz der Regierung ziehen. Nur so werden Alternativen deutlich.
politik-digital.de: Beobachten Sie, wie die Konkurrenz online vorgeht? Kann ggf. flexibel reagiert werden?
Marion Heinrich: Wir beobachten das. Aber wir reagieren nur selten, denn meistens wertet es die Aktionen der Konkurrenz nur unnötig auf.
politik-digital.de: Räumen Sie dem Internet einen großen Stellenwert bei der Mobilisierung von Nichtwählern ein? Wenn ja, wie funktioniert die Mobilisierung im Netz?
Robert Heinrich: Bei denjenigen Nichtwählern, die sich des politischen Geschehens sehr bewusst sind, sich aber momentan von keiner Partei repräsentiert fühlen, oder Menschen, die bei jeder Wahl neu entscheiden, ob es sich lohnt, diesmal wählen zu gehen – bei denen haben wir im Netz die Chance Überzeugungsarbeit zu leisten. Durch einen inhaltlich fundierten Dialog-Wahlkampf kann man versuchen, diese Gruppen auch im Netz anzusprechen. Insbesondere ein authentisches Format wie „3 Tage wach“ kann in diesem Zusammenhang hilfreich und ein Mittel gegen Politikverdrossenheit sein.
politik-digital.de: Wo online um Wähler geworben wird, ist der Shitstorm nicht weit. Haben Sie eine „Eingreiftruppe“? Wie wird die intervenieren?
Robert Heinrich: Wir haben für diesen Fall eine „freiwillige Feuerwehr“. Diese Netzaktivisten helfen uns, bei Shitstorms zu reagieren und unsere Argumente und Reaktionen im Netz zu verbreiten.
Hier finden Sie Teil 1 der Reihe: Christophe Chan Hin von den Piraten im Interview.
Hier finden Sie Teil 2 der Reihe: Interview mit Uwe Göpel (CDU).
Hier finden Sie Teil 3 der Reihe: Tommy Diener, FDP, im Interview.
Hier finden Sie Teil 4 der Reihe: Marion Heinrich, stellvertretende Pressesprecherin der Linken im Interview.
Bild: gruenenrw (CC BY-SA 2.0), Robert Heinrich