PiratenparteiWahlkampfEine aktuelle Studie des Branchenverbands Bitkom gibt die Richtung vor: Gut ein Drittel der Befragten sagt, dass der Internet-Wahlkampf entscheidend für den Ausgang der Bundestagswahl ist, jeder Dritte informiert sich auf Social-Media-Plattformen über Politik. Auch wenn der klassische Wahlkampf damit nicht ersetzt wird, sollte 2013 keine Partei ohne Online-Kampagne in den Kampf um Stimmen ziehen. Wie man Wähler am besten im und ins Netz lockt, darüber haben wir mit den Verantwortlichen gesprochen. Welche Bedeutung hat der Online-Wahlkampf? Kann der User mitmachen? Was tun im Shitstorm?
Die Reihe startet mit Christophe Chan Hin. Er ist Beisitzer im Piraten-Vorstand und Verantwortlicher für die Wählerwerbung im Internet – dem Revier seiner Partei. Chan Hin verrät, wie eine Internetpartei Internetwahlkampf führt, wenn das eigene Überleben auf dem Spiel steht.
politik-digital.de: Welche Wählergruppe wollen Sie mit der Online-Kampagne ansprechen?
Christophe Chan Hin: Es gibt drei wichtige Gruppen für uns. Zum einen natürlich die netzpolitischen Gruppen, die außerhalb der Partei agieren. Die müssen online sehen: Hey, die Piraten können schlagkräftig als Partei kommunizieren. Wir haben das Problem, dass Teile der bekannten netzpolitischen Akteure bereits aus ihrer persönlichen Historie mit einer Partei verbandelt sind. Dazu kommt noch, dass ja viele ganz bewusst einen ganz anderen Weg als die Piraten eingeschlagen haben: Sie setzen auf Lobbyismus im positiven Sinne, also Bürgerrechtsgruppen, die versuchen, von außen auf die Parteien einzuwirken, eventuell auch einen Gesetzesvorschlag direkt an einen Mandatsträger zu tragen. Das Konzept, eine eigene Partei zu gründen, ist natürlich ein gänzlich anderes. Wenn wir es schaffen, uns nicht als Konkurrenten zu sehen, sondern als „Jellyfish Cluster“ mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, können wir enorme Schlagkraft entwickeln. Dafür müssen wir aber auch selbstbewusst auftreten. Es wird uns gerade aus der Richtung vorgeworfen, dass wir einerseits zu oft das Piratenlogo platzieren, auf der anderen Seite aber Positionen nicht offensiv genug vertreten, insbesondere netzplitische. Es ist ein schmaler Grat, hier die richtige Tonlage zu treffen: Wir haben es mit einer Gruppe mit einem extrem kritischen Blick auf Medien – eben auch auf Parteimedien -, aber gleichzeitig hohem Konsum zu tun. Das heißt: Wir müssen eigentlich den Gedankengang “Wow, das ist verdammt richtig was die sagen, aber doof dass die da ihr Parteilogo dahinklatschen” hinbekommen. Mehr können wir gar nicht erwarten. Klare Aussagen, keine Pseudo “Wie seht ihr das Social Media Fishing-for-Compliments” Spielchen, wo man doch genau weiß, dass man einer Meinung ist. Und wenn man es nicht ist, mit diesen klaren Aussagen einen Dialog initiieren.
Die nächste wichtige Gruppe sind natürlich die Piraten selber, denn für Social Media sind sie unser primärer Verbreitungskanal – ein bei den Piraten beliebtes Social Media Motiv beispielsweise wird sehr schnell auf Twitter und Facebook von unseren Mitgliedern geteilt. Das ist ein großer Bonus: Verbreitung ist nicht das Problem bei uns. Wir müssen nur den Nerv von 3-4 Piraten mit vielen Followern treffen, und dann rollt die Lawine los. Andere Parteien haben es da sehr viel schwerer.
Und dann haben wir natürlich das ambitionierte Ziel, große Teile der jungen Menschen für unsere Sache zu begeistern. Das sind die unglaublich vielen Leute, die durch Bildungsstreik, ACTA und Freiheit statt Angst-Demos politisiert wurden, und um die sich natürlich auch die anderen Parteien bemühen. Ich glaube, da können wir authentischer auftreten.
politik-digital.de: Wie wichtig ist der Online-Wahlkampf, verglichen mit anderen Werbekanälen?
Christophe Chan Hin: Den Online-Wahlkampf trennen wir nicht so klinisch vom Offline-Wahlkampf. Insofern priorisieren wir nicht wirklich, sondern versuchen, das Ganze in einem Kontext zu sehen: Wenn ich auf Facebook und Twitter merke, viele Piraten begeistern oder empören sich über ein Thema, dann muss da natürlich schnell Material für die Infostände gemacht werden. Sonst besteht die Gefahr, dass zwar eine große Handlungsmotivation da ist, diese aber verpufft. Auch eine kreative Aktion auf der Straße, die erfolgreich war, müssen wir natürlich online verbreiten: Die Videodokumentation auf Youtube von eben dieser Aktion motiviert Menschen, diese Aktion selber vor Ort auch auszuführen.

Der 31jährige Christophe Chan Hin arbeitet als Kommunikationsdesigner und wurde erst im Mai 2013 als Beisitzer in den Piraten-Bundesvorstand gewählt. Er bloggt im „Mannheimer Salon“, ist auf der Hedonistischen Plattform unterwegs und leitet nun den Online-Wahlkampf der Piraten.

politik-digital.de: Welchen Anteil am Gesamtbudget hat die Online-Kampagne?
Christophe Chan Hin: Die Online-Kampagne kostet uns sehr wenig bis gar nichts. Die größten Kostenpunkte sind zusätzliche Kapazitäten bei der IT, die neben den innerparteilichen Parteiangeboten jetzt auch die ein oder andere Wahlkampfseite hostet. Da hilft uns natürlich auch unsere Mitgliederstruktur, für die anderen Parteien stellt sich oft auch die Frage, wie sie ihre Nachrichten im Netz verbreiten sollen. Sie müssen sich dafür koordinierte Strategien überlegen. Bei uns ist das zweite Natur: Unsere Mitglieder sind sowieso zahlreich in Sozialen Kanälen vertreten.
politik-digital.de: Welcher Teil des Online-Wahlkampfes ist das Herzstück der Kampagne?
ChristopheChanHinChristophe Chan Hin: Unsere Social Media Kampagne. Sie ist im Prinzip eine visuelle Pressemeldung: Wir versuchen, herauszufinden, was an dem Tag das wichtigste Thema ist. Dazu machen wir einen Kommentar. Hier sind drei Dinge wichtig: Klare Aussagen, eine gute Text/Bild Kombination, und natürlich Geschwindigkeit. Wir wollen unseren Kandidierenden und Mitgliedern die Möglichkeit geben, etwas zum Teilen zu haben. Etwas, dass sie selber auch gerne verteilen. Und das unmissverständlich unsere Position kommuniziert. Der Dialog passiert dann ganz von selbst.
Und dazu gehören natürlich dann Inhalte, die in die Tiefe gehen: Blogeinträge, Kommentare von Kandidaten, oder auch einfach mal ne Handlungsaufforderung, z.B. eine Petition. Die Social Media Motive sind da eigentlich nur ein Baustein, aber eben der, der die Einstiegsdroge zu den anderen Inhalten darstellt.
politik-digital.de: Hat der User die Möglichkeit, mitzumachen? Falls ja: wie wird er dazu animiert? Kann die Parteibasis Einfluss nehmen auf die Kampagne?
Christophe Chan Hin: Wir haben unser Mitmach-Portal, da können konkrete Jobs und Events reingestellt werden. Die Parteibasis kann natürlich Einfluss auf die Kampagne nehmen und z.B. direkt bei der Servicegruppe “Gestaltung”, also unserem Designernetzwerk, anfragen, wenn sie einen konkreten Umsetzungswunsch für ein Design hat. Allerdings muss sie dann schon auch selber bereit sein, an den Inhalten zu arbeiten – einfach einen Wunsch reinschmeißen und warten, das klappt manchmal bei Social Media, aber das können wir natürlich nicht versprechen. Gleichzeitig werden Vorlagen zur Verfügung gestellt: Unser Design ist mit sehr starken Elementen sehr robust, und wir haben eine eigene Headline-Schrift, die Politics Head. Man kann einiges an Unfug damit machen und es ist trotzdem noch klar als Piratenkampagne erkennbar.
politik-digital.de: Beobachten Sie, wie die Konkurrenz online vorgeht? Kann ggf. flexibel reagiert werden?
Christophe Chan Hin: Ja, wobei wir mehr agieren wollen als reagieren. Unsere Strukturen sind denke ich schneller als die der anderen Parteien. Wir müssen es eigentlich schaffen, dass die Konkurrenz irgendwie auf uns reagieren muss. Also wollen wir in unserer Strategie nicht zu defensiv sein: Flexibel reagieren ist eigentlich unsere Stärke. Unsere Schwäche ist, in der Kakophonie aus Tweets und Pinnwandeinträgen auch mal gemeinsam ein Thema zu halten. Hier versuchen wir mit einer Kombination aus Social Media Motiven, Blogeinträgen und Dokumentationen von Offline-Aktionen auch mal länger präsent zu sein.
politik-digital.de: Räumen Sie dem Internet einen großen Stellenwert bei der Mobilisierung von Nichtwählern ein? Wenn ja, wie funktioniert die Mobilisierung im Netz?
Christophe Chan Hin: Ja, wobei wir das nicht auf Nichtwähler beschränken. Wir haben ja auch Parteimitglieder, die wenig aktiv sind und Sympathisanten aus anderen Parteien oder NGOs. Das geht am besten über Themen. Online können wir sehr gut politisieren, wenn wir uns trauen, klar unsere Themen anzusprechen – und dann in Dialog treten, die Leute also wirklich abholen. Ganz wichtig wird auch in der heißen Phase des Wahlkampfs sein, konkret zu sagen: Das könnt ihr tun! Hier wollen wir noch Plakate hängen, Flyer verteilen, eine Straßenaktion machen! Teilt unsere Social Media Motive, da könnt ihr sie finden!
Wir müssen klarmachen, dass auch eine kleine Aktion eine große Hilfe ist. Und offline müssen wir die Leute dann auch abholen: Wenn die sich dann mal zum lokalen Piratentreffen trauen, sehen sie viele Mitglieder, die sehr aktiv sind und tausende Dinge tun. Das ist oft einschüchternd – der eigene Beitrag wird als sehr klein und sinnlos eingeschätzt. Diese Hemmschwelle haben wir online nicht so sehr. Aber zehn Leute, die jede Woche eine Stunde in die Partei investieren, sind eine robustere Basis als eine Person, die zehn Stunden investiert, und dann plötzlich die Stadt wechselt oder einen Vorstandsposten bekommt und dann lokal wegfällt. Das müssen wir auch uns selber klar machen und klare Handlungsangebote online- wie offline machen. Hier werden wir online wie offline einfache Mittel, um Wahlkampf zu machen, an die Hand geben.
politik-digital.de: Wo online um Wähler geworben wird, ist der Shitstorm nicht weit. Haben Sie eine „Eingreiftruppe“? Wie wird die intervenieren?
Christophe Chan Hin: Mittlerweile gibt es viele Piraten, die bei solchen Dingen schlichten. Es geht letztlich nicht zuletzt darum, dass die Mechanismen, die zu einem Shitstorm führen, auch positiv genutzt werden können. Unsere täglichen Social Media Motive können durchaus auch einen Shitstorm unterbrechen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Rolle unserer Social Media Kampagne. Mein Ziel ist es auf jeden Fall, dass die Shitstorms als das dastehen, was sie sind: Oftmals eigentlich nicht besonders relevante Neuigkeiten, die aber aufgrund fehlender oder unzureichender Öffentlichkeitsarbeit der Partei eine massive Aufmerksamkeit bekommen.
politik-digital.de: Soll mit der Online-Kampagne auch versucht werden, gezielt das ramponierte Image der Piratenpartei aufzubessern? Falls ja, wie?
Christophe Chan Hin: Ja. Die Online-Kampagne soll klarmachen, dass wir erstens zu jedem tagespolitischen Thema etwas sagen können. Damit entkräften wir den Vorwurf, kein Programm zu haben. Zweitens lässt ein zeitlich gut gesetztes Social Media Motiv einen parallel startenden Shitstorm in sich zusammenfallen. Ein einfaches Bild wirkt da wie ein Aufruf: “Leute, das hier ist heute unsere gemeinsame Aussage. Konzentriert euch!”.
 
Hier finden Sie Teil 2 der Reihe: Uwe Göpel (CDU) im Interview
Hier finden Sie Teil 3 der Reihe: Interview mit Tommy Diener von der FDP.
Hier finden Sie Teil 4 der Reihe: Interview mit Marion Heinrich, Die Linke.
Auch unser 3. Berliner Hinterhofgespräch hatte das Thema “Auf Stimmenfang im #Neuland – Die Online-Kampagnen zur Bundestagswahl”. Hier geht’s zum Video.
 
Bilder: Piratenpartei Deutschland (CC BY 2.0), Piratenpartei Baden-Württemberg (CC BY 3.0 DE)

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