US-Präsident Barack Obama hat zugegeben, Twitter persönlich gar nicht zu nutzen. Mit diesem Geständnis sorgt er bei seinen Anhängern für Aufregung. Bröckelt der digitale Mythos? Wohl kaum, denn das Geheimnis seines Erfolges liegt woanders.
Bei Barack Obamas Frage- und Antwort-Stunde mit Studenten der Universität Schanghai sorgte eine kleine Randbemerkung für Aufregung: "Ich habe Twitter noch nie benutzt", bekannte Obama auf die Frage, ob das in China zensierte Twitter wieder für alle Chinesen zugänglich sein sollte. Im Nachsatz verriet Obama auch den Grund: "Meine Daumen sind zu ungeschickt, um all diese Dinge in ein Telefon zu tippen." Die meisten seiner Tweets werden über das Web abgesetzt.
Aufregung und Verständnis
Angefeuert durch einen Twitter-Feed von BNOnews mit Obamas Zitat, ließ die Reaktion seiner Follower nicht lange auf sich warten. "Das Twitterversum ist geschockt" oder "So traurig" beklagten sie sich. Politische Kommentatoren dagegen sahen Obamas Aussage gelassener: "Schockierend", schrieb Chef-Blogger Marshall Kirkpatrick vom ReadWriteWeb, fügte aber gleich an: "Natürlich braucht er nicht selbst zu schreiben, solange er Mitarbeiter, die in seinem Namen innovative Kommunikationstechnologien effektiv nutzen, einstellen kann. Und offensichtlich kann er das."
Der bittere Beigeschmack, den das Geständnis des Präsidenten verbreitet, resultiert aus der Aura, die Barack Obama in zwei Wahlkämpfen (Vorwahlen und Präsidentschaftswahlen) und durch seine e-Government Bemühungen um sich aufgebaut hat. Der Online-Wahlkampf – das e-Campaigning – hat sich 2008 durch ihn neu definiert. Mobilisieren, Organisieren, Finanzieren: Alle klassischen Wahlkampfelemente wurden von seiner Wahlkampfmaschinerie online gespiegelt, verfeinert, perfektioniert. Obama positionierte sich als digitaler Kommunikator, als Anstups-Buddy, als der Black-Berry-Präsident.
Zum Twittern keine Zeit
Aber Barack Obama ist auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der größten Wirtschaftsnation der Welt, dem Land mit einem der größten Atomwaffenarsenale der Welt. Obama ist, wenn man so will, der mächtigste Mann der Welt. Natürlich ist er Teil eines Systems, eine einzelne Figur in einem großen Führungsapparat, dessen Tagesablauf vom Aufstehen bis zum Schlafengehen nahtlos durchorganisiert ist. Aber es ist sein System.
Er ist der Very Important President, der an hundert verschiedenen Orten zugleich sein müsste. Kann er nicht. Muss er auch nicht. Denn da wo er fehlt, greift das System Obama. Und das steht für digitale Ansprache, für erweiterte Transparenz, für Rückkanäle und Interaktion. Letztendlich ist es der Gedanke, der zählt, nicht der Daumen, der tippt.
Mythos in Gefahr?
Ein wenig Wehmut schwingt sicherlich mit ob der verflogenen romantischen Fantasie. Gerne hätten wir geglaubt, dass Obama morgens beim Frühstück die Nachricht vom Gewinn des Friedensnobelpreises mit den Worten "Humbled" kommentiert. "Ein Teil von uns will es für wahr halten, dass solche Nachrichten wirklich vom Präsidenten gesendet wurden", beschreibt MGSiegler von TechCrunch die Sehnsucht nach authentischen Präsidenten-Tweets. Dabei hatte Obama seinen Account bereits nach seiner Wahl an das DNC – der nationalen Organisation der Demokratischen Partei – abgetreten.
Der digitale Mythos von Barack Obama fällt dennoch nicht zusammen, dafür ist sein System zu stabil. Den chinesischen Studenten liefert er auch den Grund dafür: "Ich glaube fest an Technologie und ich glaube fest an Transparenz, wenn es um Informationsflüsse geht. Ich glaube daran, dass das eine Gesellschaft noch stärker macht."