Wenn am 13. Mai ein neuer Landtag in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, müssen die Kandidaten der Partei DIE LINKE zittern. Die Demoskopen bescheinigen der Partei eine schwierige Ausgangslage, DIE LINKE droht an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Im fünften Teil der Interviewreihe zum NRW-Onlinewahlkampf sprach politik-digital mit Irina Neszeri, Leiterin Kommunikation bei DIE LINKE Nordrhein-Westfalen.
politik-digital.de: Frau Neszeri, durch die vorgezogenen Neuwahlen sind keine lang angelegten Kampagnen möglich. Welche Schwierigkeiten und Besonderheiten ergeben sich
aus dem kurzen Zeitfenster?
Irina Neszeri: Tatsächlich stellt so ein kurzer und vor allem plötzlicher Wahlkampf eine
kleinere Partei wie DIE LINKE vor enorme Herausforderungen. Drei Tage nach der
Landtagsauflösung musste die Summe der Plakate feststehen, um ein entsprechendes
Kontingent zu buchen, einige Tage später mussten die Layouts fertig sein.
Wir benötigten außerdem einen Landesparteitag, um das Programm zu beraten und zu
beschließen und eine Landesliste aufzustellen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass beides in angemessener demokratischer Weise eigentlich in so kurzer Zeit gar nicht zu machen ist. In NRW gibt es 53 Kreisverbände, in denen die Mitglieder miteinander Programm und Personal beraten, bevor ihre Delegierten dann beim Parteitag dazu Beschlüsse fassen. Diese Einbindung der tatsächlichen Basis, also der Mitglieder in den Städten und Kreisen, ist nicht möglich, wenn schon zwei Wochen nach der Landtagsauflösung ein Parteitag mit verkürzter Ladungsfrist stattfindet. Was sich der Gesetzgeber da wohl gedacht hat?
politik-digital.de: Spielt der verkürzte Wahlkampf Ihres Erachtens eher großen oder kleinen Parteien, eher Regierungs- oder Oppositionsparteien in die Hände?
Neszeri: Die Regierung hat einen größeren Amtsbonus bei solch kurzfristigen Wahlen. Und nutzt ihn in NRW auch schamlos aus – wie mit der steuerfinanzierten “Tatkraft-Tour” von Hannelore Kraft. Einen noch erheblicheren Vorteil aber haben reiche gegenüber ärmeren Parteien und solche Parteien, die von bestimmten Medien hofiert werden.
Alle Parteien außer der LINKEN erhalten erhebliche Summen an “Spenden”. Der Wahlkampf der LINKEN ist ein harter Kampf gegen die Zeit und das Geld.
politik-digital.de: Welche spezifischen Vorteile haben Online- gegenüber Offline-
Wahlkämpfen?
Neszeri: “Offline” alleine funktioniert nicht mehr. Wenn wir Printmaterialien produzieren, denken wir dabei die Onlinedarstellung immer schon mit. Wenn wir Fotos machen, sind die sowohl für Plakate als auch für Internetseiten. Unseren Fotografen sage ich immer „Bitte auch an Bilder denken, die Ihr mir dann in 600 x 350 Pixel zugeschnitten schnell rübermailen könnt“, weil wir dieses Format auf der Internetseite benutzen. Der Vorteil für eine schnelle, neugierige und kreative Partei wie DIE LINKE in NRW liegt auf der Hand. Schnell und schlau kann im Netz eben auch gegen reich und korrupt gewinnen
politik-digital.de: Wie fügt sich ihr Online-Wahlkampf in die Gesamtstrategie ein?
Neszeri: “Online” greift doch in so gut wie alles ein, zumindest bei uns. Pressemitteilungen etwa schreiben wir gleichermaßen für die JournalistInnen wie für unsere Internetseiten, für unseren Facebook-Auftritt und für den großen Mailverteiler unserer Aktiven in den Kreisverbänden. Und gefaxt wird ja auch längst nicht mehr, sondern gemailt. In unserem Kommunikationsbüro spielt Papier fast keine Rolle – es ist nur wichtig, dass wir das richtige für Plakate, Postkarten, Flyer auswählen…
politik-digital.de: Inwiefern konkurrieren Sie mit den Piraten um Wählerstimmen? Hat deren Umfragehoch Einfluss auf ihre Strategie?
Neszeri: Ja, natürlich sind die Piraten wichtig. Für die politische Landschaft, für uns und auch für unsere Strategie, aber in genau dieser Reihenfolge. Wir sind ja IdealistInnen, und Politik ist für uns kein Selbstzweck. Wählerstimmen sammeln wir nicht für Macht und Geld, sondern weil wir wirklich die Welt verbessern wollen. Dass es solche PolitikerInnen überhaupt geben kann, glaubt ja heute kaum noch jemand, das ist eins unserer größten Probleme beim Gewinnen von NichtwählerInnen.
Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin kamen die Piraten sehr sympathisch rüber, und ihr “Claim”, wie man so sagt, Basisdemokratie, kann ja nicht hoch genug wertgeschätzt werden. Und wenn sie der alten Politikerkaste netzpolitisch Beine machen, kann das auch nicht schaden. Inzwischen wirken die Piraten aber immer stärker wie eine Horde orientierungsloser Männer mit Rasierklingen unter den Achseln.
politik-digital.de: Wie stark setzen Sie in ihrer Online-Kampagne auf die Kandidatin, wie stark auf Themen? Inwieweit holen Sie sich prominente Unterstützung aus den eigenen Reihen?
Neszeri: Zu sogenannten “Promis” haben wir als LINKE eher ein gespaltenes Verhältnis. Das war schon bei Che Guevara so. Alle verehrten ihn, aber einen Führer wollte niemand.
Eigentlich stehen bei uns die Inhalte im Mittelpunkt, und eigentlich wollen wir so viel
Demokratie und Selbstbestimmung für unsere Mitglieder wie irgend möglich. Uneigentlich
gibt es selbstverständlich auch bei uns bekannte und weniger bekannte, bühnenbegabte und weniger bühnenbegabte Menschen. Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht und auch unsere Spitzenkandidatin Katharina Schwabedissen gehören eindeutig zu den großen Bühnentalenten der politischen Republik.
Online gibt es bei uns daher eine gesunde Mischung aus inhaltlichem Angebot und der
Verknüpfung mit den Menschen, die dafür stehen. Den Löwenanteil an der Zuspitzung von
Politik auf Einzelpersonen haben aber eindeutig die Macher der Massenmedien.
politik-digital.de: Welche Sozialen Netzwerke nutzen Sie für den Wahlkampf? Wie werden Facebook, Twitter und Co. eingesetzt?
Neszeri: Wir twittern weniger als andere, vielleicht weil wir so gern lange Ausführungen machen. Facebook nutzen wir als Plattform, werben aber nicht für die individuelle Benutzung. Wir versuchen stärker, dort Links zu setzen und die Leute einzuladen, auf unserer Internetseite zu stöbern oder dort unser Newsblog mit Kommentarfunktion zu nutzen. Facebook ist eine fiese Datenkrake. Insgesamt werden die sozialen Netzwerke zu wenig kritisch gesehen.
politik-digital.de: Ihre Spitzenkandidatin in NRW nutzt bislang Twitter und Facebook nicht, um direkt mit den Bürgern zu interagieren. Wird sich das noch ändern?
Neszeri: Unsere Spitzenkandidatin ist persönlich nicht besonders Web 2.0-affin. Sie gehört zu denen, die viele persönliche Kontakte face-to-face pflegen, die abends lieber mit ihrer Familie zusammen ist als zu adden oder zu posten. Als Angebot für den Wahlkampf hat sie sich (selbst!) aber ein Facebookprofil zugelegt und kommt damit auch sehr gut zurecht.
politik-digital.de: Werden Sie ihr Newsblog nach der Wahl weiterführen oder ist es ein reines Wahlkampf-Tool?
Neszeri: Wir wollen das sehr gerne weiterführen. Im Netz waren, sind und werden wir sehr aktiv sein. Wir haben in NRW eine ganze Crew von “Nerds”, die Spaß an der LINKEN und am Netz haben.
Interviewreihe zum Online-Wahlkampf #nrw12:
Piraten: “Ein mangelndes finanzielles Budget fördert die Kreativität der Mitglieder”
FDP: “Wer Onlinekommunikation verschläft, kann die Wahl verlieren”