Der Wahlkampf in NRW ist in vollem Gange. Nach fast zweijähriger Minderheitsregierung kämpfen Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann für eine rot-grüne Regierungsmehrheit im Düsseldorfer Landtag. Im zweiten Teil der Interviewreihe zum NRW-Onlinewahlkampf sprach politik-digital mit Benjamin Jopen, Referent für Online-Kommunikation von Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen.

politik-digital.de: Durch die vorgezogenen Neuwahlen sind keine lang angelegten Kampagnen möglich. Welche Schwierigkeiten und Besonderheiten ergeben sich aus dem kurzen Zeitfenster?

Benjamin Jopen: Herausforderungen ergaben sich vor allem durch die sehr verkürzten Fristen, z.B. zur Einreichung der Landesreserveliste und deren kurzfristige Bekanntgabe. Uns blieben lediglich zwei Wochen, um einen Parteitag zu organisieren und KandidatInnen zu wählen. In der Praxis heißt das, dass der Entwurf des Programm-Updates in nicht einmal eineinhalb Wochen verfasst werden musste. Das machte einen Online-Beteiligungsprozess unmöglich, weil der nötige zeitliche Korridor dafür einfach nicht vorhanden war.

politik-digital.de: Spielt der verkürzte Wahlkampf Ihres Erachtens eher großen oder kleinen Parteien, eher Regierungs- oder Oppositionsparteien in die Hände?

Jopen: Die Größe oder Rolle einer Partei ist nicht entscheidend, vielmehr ihre Einstellung. Für uns Grüne ist eine glaubwürdige und intensive Online-Kommunikation eine permanente Querschnittsaufgabe und dabei haben wir hohe Ansprüche an uns selbst. Wir wollen kommunizieren, statt bloß zu informieren, wir wollen auf Kritik eingehen und Rede und Antwort stehen – auch jenseits von Facebook und Twitter. Wir begreifen die authentische Kommunikation als Gesamtstrategie, das haben wir zuletzt mit einer breiten Beteiligung zum Thema Ladenöffnungszeiten gezeigt. In unseren Entscheidungs- und Handlungsstrukturen ist das Netz also fest verankert, und wir verfügen über die entsprechende Infrastruktur. Wir sind deshalb jederzeit  in der Lage, sehr schnell zu reagieren, wie wir auch am Tag der Auflösung des Landtages mit unserem Liveblog gezeigt haben – der Online-Wahlkampf hat in diesem Moment  für uns begonnen.

politik-digital.de: Welche spezifischen Vorteile haben Online-Wahlkämpfe gegenüber Offline-Wahlkämpfen?

Benjamin Jopen

Jopen: Ist die nötige Infrastruktur etabliert, ist man als Partei online sofort kampagnen- und sprachfähig. Während die Werbemittel für klassische Wahlkämpfe wie Plakate und Infomaterial längere Produktionszeiten haben, kann eine Kampagne online sehr kurzfristig gestartet werden.
Der große Vorteil eines Online-Wahlkampfs ist, dass Kommunikation bi-direktional stattfinden kann, also als Austausch in beide Richtungen. Man bekommt in der Regel unmittelbare Rückmeldungen, Stimmungen und Trends mit – wenn man es zulässt und will. Dann kann der Online-Wahlkampf ein wichtiger Seismograph für die gesamte Kampagne werden.


politik-digital.de:
Wie fügt sich der Online-Wahlkampf in die Gesamtstrategie ein?

Jopen: Der Online-Wahlkampf bildet zum einen die komplette Kampagne ab und führt alle Elemente an einer zentralen Stelle zusammen. Innerhalb der Gesamtstrategie reagiert die Online-Kampagne auf aktuelle Entwicklungen, schreibt die Chronologie des Wahlkampfes fort und schafft für den Wahlkampf ein inhaltliches Fundament.

politik-digital.de: Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim kommt zu dem Ergebnis, dass das Internet in der NRW-Wahl noch nicht wahlentscheidend sein wird. Sehen Sie das auch so?

Jopen: Gerade während eines so drastisch verkürzten und beschleunigten Wahlkampfes ist es für uns unerlässlich, in Echtzeit zu kommunizieren, die Website ist der Puls unserer Kampagne und spielt deshalb eine wichtige Rolle. Auch für die Binnenkommunikation innerhalb der Partei mit unseren Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern ist das Internet unverzichtbar. Neben der Bereitstellung von Layout-Material und Argumentationshilfen bieten wir die Möglichkeit,  online ein Plakat zu spenden oder passende Banner für die eigene Website oder das Facebook-Profil herunterzuladen. Die Website ist also Informations-, Mobilisierungs- und Kampagnenplattform in einem.

politik-digital.de: Inwiefern konkurrieren Sie mit den Piraten um Wählerstimmen? Hat das Umfragehoch der Piraten Einfluss auf die Strategie?

Jopen: Die Piraten sind ein politischer Mitbewerber wie die anderen Parteien auch. Wir setzen uns deshalb inhaltlich mit Ihnen auseinander, wie wir es auch mit der CDU oder der SPD machen.

politik-digital.de: Welche Themen werden online stärker gewichtet?

Jopen: Mehr Bildung, eine wirkliche Energiewende, solide Haushaltpolitik und mehr Transparenz sind die inhaltlichen Schwerpunkte unseres Grünen Wahlkampfes. Im Netz konzentrieren wir uns ebenfalls auf diese Schwerpunkte, haben aber den notwendigen Raum, um die ganze Bandbreite der Grünen Politik darzustellen.

politik-digital.de: Welche Sozialen Netzwerke nutzen Sie für den Wahlkampf? Wie werden Facebook, Twitter und Co. eingesetzt?

Jopen: Insgesamt sind wir in einer Vielzahl von Netzwerken aktiv. Wir orientieren uns dabei an den individuellen Besonderheiten eines Netzwerkes, z.B. was Posting-Frequenz oder Besonderheiten bei den Nutzungsbedingungen der Inhalte betrifft.
Twitter und Facebook sind die primären Netzwerke bei der Kommunikation mit Nutzerinnen und Nutzern. Auf Twitter berichten wir quasi in Echtzeit über die Kampagne. Auf Facebook teilen wir Inhalte mit etwas weniger hoher Frequenz, dafür entstehen hier wesentlich öfter inhaltliche Diskussionen.

Zentral ist für uns auch unser YouTube-Kanal, da wir sehr viele Videoinhalte selbst produzieren. Von vielen unserer Veranstaltungen stellen wir auch kurzfristig entsprechend lizenziertes Fotomaterial auf Flickr ein. Sowohl Journalisten, als auch grüne WahlkämpferInnen können so auf das Material zurückgreifen.
Interessante und lesenswerte Artikel anderer Online-Medien speichern wir über delicious und haben diesen Dienst auch direkt auf unserer Website und in Twitter eingebunden.
Auf Soundcloud bieten wir Reden als Audioversion zum Download an. Auch auf Google Plus sind wir vertreten, wenngleich dort die Resonanz insgesamt deutlich geringer ist als auf Facebook und Twitter.

politik-digital.de: Mobilisieren Sie mittels ihrer Kampagnenseite andere Bürgerinnen und Bürger als über die sozialen Netzwerke?

Jopen: Über soziale Netzwerke können wir viele Menschen dort erreichen, wo sie sich auch täglich im Netz aufhalten und bewegen.  Der eigene digitale Freundeskreis übernimmt heute auch eine wesentliche Funktion, die der Informationsfilterung. Inhalte, die meine digitalen Bekanntschaften teilen, nehmen die Nutzer als vertrauenswürdiger wahr.
Von besonderer Bedeutung für uns ist jedoch, dass Menschen nicht von Informationen und Teilhabe ausgeschlossen werden, nur weil sie nicht Mitglied in einem sozialen Netzwerk sind. Deshalb stellen wir auch alle Informationen auf unserer zentralen Website zur Verfügung.

politik-digital.de: Experimentieren die Grünen mit neuen Inhalten und Konzepten? Welche Ideen setzen Sie in diesem Wahlkampf um? Welche stoßen bereits auf Resonanz?

Jopen: Wir verstehen uns als digitaler Vorreiter in der deutschen Parteienlandschaft und sind stets bemüht unsere bestehenden Konzepte weiterzuentwickeln und neue auszuprobieren. Zuletzt haben wir eine öffentlich zugängliche sozialwissenschaftliche Umfrage zum Thema Ladenöffnungszeiten erstellt und auf einer Microsite sämtliche Informationen zum Thema aufbereitet. Den Fragebogen haben über 10.000 Menschen ausgefüllt und damit direkten Einfluss auf die Positionierung der Grünen Regierungspartei gehabt.
Teilhabe und Partizipation an unserer Politik sind uns insgesamt sehr wichtig – online und offline, zwischen Wahlkämpfen und natürlich auch während eines Wahlkampfes.  Was andere Parteien eventuell nur in Wahlkampfzeiten praktizieren, ist für uns politischer Alltag und alltäglicher Anspruch.


Interview-Reihe zum Online Wahlkampf #nrw12:

CDU: „Wir führen keinen bunten ‘Gute-Laune-Wahlkampf‘“

FDP: „Wer Onlinekommunikation verschläft, kann die Wahl verlieren“

Linke: “Unser Wahlkampf ist ein harter Kampf gegen Zeit und Geld”

Piraten: “Ein mangelndes finanzielles Budget fördert die Kreativität der Mitglieder”