noPhoneBildSieht aus wie ein Smartphone, fühlt sich an wie ein Smartphone, ist aber keins. Das NoPhone kann nämlich: nichts. Und kostet deswegen auch nur etwa zehn Euro – 15 Euro für das „Upgrade“ mit Selfie-Funktion. Ist das nun die Lösung für Smartphone-Junkies oder schlicht eine weitere Idee, die die Welt nicht braucht?
Wer kennt das nicht: Eine Gruppe junger Menschen sitzt gemeinsam am Tisch, aber keiner spricht miteinander. Stattdessen starren alle auf die Displays ihrer Smartphones. Handy-Sucht ist zwar noch nicht als eigenständige Erkrankung anerkannt. Smartphone-Gebrauch kann aber nachweislich suchtähnliche Symptome auslösen.
Dafür gibt es jetzt ein Gegenmittel. Es heißt NoPhone und ist, wie der Name schon sagt, gar kein Telefon. Ein Block aus Plastik mit den Maßen eines 5,5 Zoll großen Smartphones, ist das NoPhone, laut seiner Entwickler, wasserdicht sowie bruch- und Toilettenschüssel-sicher. Aber sonst kann es: nichts. Keine SMS verschicken und niemanden anrufen. Auch die Notwendigkeit für das lästige Aufladen von Akkus und nervige Software-Updates entfällt. Komplett technologiefrei, ist das unterhaltsamste Element an dem CGerät“ sicher die Selfie-Funktion: Gegen fünf Euro Aufpreis kann man sich einen Spiegel auf die Vorderseite kleben lassen. Sonst kostet das NoPhone umgerechnet circa zehn Euro. Die als „satirischer Wink mit dem Zaunpfahl“ gedachte Alternative zu iPhone und Co. kommt an.
Die NoPhone-Crowdfundingkampagne auf Kickstarter bescherte den „Entwicklern“ des „The NoPhone-Teams“ – einer Gruppe aus den USA und den Niederlanden – umgerechnet über 14.000 Euro. Das Ziel waren 4.000 Euro gewesen. Ob man das Ding auch als Luftmatratze benutzen könne, lautet nur einer der ironischen Kommentare der Unterstützer und zeigt, dass weder Erfinder noch Spender die Sache allzu ernst nehmen.

Diagnose: Handysucht

Aber obwohl das NoPhone kaum Leben retten wird, trifft die Kritik an der traurigen gesellschaftlichen Entwicklung – von angeregter Konversation zwischen Freunden hin zu Smartphone-induziertem Schweigen unter Soziopathen – den Zahn der Zeit. Denn sie wirft berechtigte Fragen auf: Können wir wirklich nicht mehr anders? Brauchen wir ein Smartphone – oder gar eine Attrappe, die wir in der Hand halten, damit wir uns in der realen Welt sicherer fühlen? Sind unsere Smartphones die „erwachsene“ Version von Teddybär und Kuscheldecke? Oder geht es um weit mehr als das Gefühl, etwas in der Hand zu haben? Vielleicht um die Notwendigkeit, sich der eigenen „Wichtigkeit in dieser digitalen und schnellen Welt zu versichern”? Dafür reicht eine Attrappe, die weder SMS noch Social Media kann, wohl kaum aus.
Ob nun originäre psychologische Erkrankung oder „Spielwiese für vorhandenes Suchtverhalten“, die Abhängigkeit vom Smartphone ist ein reales Problem unserer zunehmend digitalisierten Gesellschaften. „Pathologischer Mediengebrauch“ lautet der Oberbegriff, unter den auch andere Mediensüchte fallen. Dieser findet dann Anwendung, wenn aufgrund krankhaft überhöhten Medienkonsums der geregelte Tagesablauf ins Wanken gerät, Familie, Freunde, Arbeit oder Schule vernachlässigt werden.
Das Problem ist Forschungsgegenstand an der Universität Bonn. Dort hat ein Team aus Wissenschaftlern und Psychologen gemeinsam die App Menthal entwickelt. Sie soll dabei helfen, den eigenen Handygebrauch besser einzuschätzen und mögliches Suchtverhalten zu erkennen. Das mag auf den ersten Blick eine gute Idee sein: Die durch die App erfassten Verhaltensmuster weichen oft stark von der Selbsteinschätzung der Nutzer ab und können so Aufschluss über Verhaltensauffälligkeiten geben, denen sich die Betroffenen selbst nicht bewusst sind. Datenschützern dürften sich dabei allerdings – trotz Anonymisierung – die Nackenhaare aufstellen: Denn Menthal übermittelt „Verbindungsdaten wie Zeitpunkt, Empfangszeit und Länge einer SMS“ – also die berüchtigten Metadaten. Andere Apps zur Diagnostik von Depressionen zeichnen unter anderem das Anrufverhalten auf oder nutzen die GPS-Funktion, um festzustellen, wie häufig Betroffene das Haus verlassen.
Psycho-Informatik nennt sich dieser Forschungszweig – und das Risiko für den Missbrauch der abgegriffenen Daten ist immens hoch. Bereits jetzt wollen nämlich nicht nur Mediziner Zugriff auf diese und vergleichbare Daten erhalten, sondern auch Unternehmen: Dahinter steckt die Idee des „gläserne Patienten“. Und das ist genauso gruselig wie es klingt. Zumal die Diagnose per App erwartungsgemäß nicht ohne Smartphone funktioniert. Und Handy-Süchtige werden kaum das echte Smartphone zuhause liegen lassen und stattdessen ein NoPhone mit sich herumtragen, mit dem man nicht einmal einen Arzt rufen kann.

Kein Handy, keine Überwachung – ganz so einfach ist es nicht

Dabei sollte gerade in Zeiten von NSA-Spionage und Eikonal klar sein, dass Smartphonenutzer, die ihr Telefon von früh bis spät bei sich haben, auch rund um die Uhr überwacht werden können. Netzaktivist Jacob Applebaum bezeichnet Mobiltelefone als „Überwachungsgeräte, mit denen man auch telefonieren kann“ und weist darauf hin, wie einfach es ist, an die gespeicherten Informationen heranzukommen. Auch die Electronic Frontier Foundation warnt vor den Gefahren unserer stetig zunehmenden Smartphone-Nutzung.
Der Markt für Überwachungstechnologie boomt, und dieselben Unternehmen, die grenzwertig legale Technologien herstellen, haben auch Regierungen in ihrer Kundendatei. CryptoPhone-Nutzer fanden angeblich in den USA ganze 17 als Mobilfunkmasten getarnte Stingray-Überwachungsgeräte, sogenannte IMSI-Catcher. Diese können auch dann herausfinden, wen man angerufen hat, wenn man gerade gar keinen Anruf tätigt – solange man sich nur in ihrer Nähe aufhält. Auch zwingen sie das Handy dazu, die Verschlüsselung abzuschalten, die den Datenaustausch zwischen Telefon und Funkmast schützen soll. Gegen die von Edward Snowden enthüllte Handy-Überwachung der Geheimdienste ist ohnehin kein Kraut gewachsen, „sofern man ein Mobiltelefon nutzen will“. Vielleicht ist NoPhone also doch eine Alternative. Ein Telefon, das keine Apps, Spiele, Anrufe oder Fotos kann, kann eben auch nicht von NSA, BND und GCHQ angezapft werden. NoPhone ist womöglich das weltweilt einzige zu 100 Prozent spionagesichere Smartphone.
Aber ob man nun das echte Smartphone zuhause im Kühlschrank liegen lässt oder eine Attrappe mit sich herumschleppt: Beide Lösungen sind keine dauerhaften Antworten auf die Datensammelwut der Großkonzerne und Nachrichtendienste oder den unbefugten Zugriff durch Hacker und die Exfreundin. Schließlich sollte eine Handyattrappe weder als Erinnerung daran nötig sein, dass es mehr im Leben gibt, als aufs Display zu starren, noch als Schutz vor Spionen.
Jedoch ist in Gesellschaften, in denen sich Menschen nächtelang vor Applestores anstellen, um die neueste Version des iPhones zu ergattern, und in denen Regierungen sich schwer tun, ihre Wähler ausreichend vor technologischem Missbrauch zu schützen, ein satirischer Wink mit dem Zaunpfahl vielleicht ein kleiner Schritt zu mehr Achtsamkeit. Eine witzige Alternative zum Taschenspiegel ist das NoPhone allemal. Und betrunkene Anrufe beim Ex nach Mitternacht sind damit auch passé.
Bild: Ashwin Kumar
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