Im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel wird die Frage, was der Staat darf und was nicht, wieder heiß diskutiert. Doch die eigentliche Bedrohung der bürgerlichen Freiheit geht an großen Teilen der Bevölkerung vorbei: Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen finden wenig Beachtung. Ein Kommentar von Killian Beutel.
Im Zuge der Vorbereitungen des G8-Gipfels in Heiligendamm haben die Sicherheitsbehörden die alten Grenzwachtürme der DDR in Stand setzen lassen. Die Fahndungsmethode der Hamburger Polizei mittels Geruchsproben schlägt hohe Wellen, da sie an eine alte Stasi- Praxis erinnert. Und dann wird auch noch die Polizei dabei ertappt, wie sie sich in einem Hamburger Postamt einrichtet um systematisch die Post bestimmter Hamburger Stadtteile zu durchsuchen. Es ist vielleicht nur ein Symbol und der unwillkürliche Gedanke, ob sie vielleicht auch wieder die Selbsschußanlagen aus dem Museum holen, allzu polemisch. Jedenfalls scheint der Staat gerade alles zu tun um dem Eindruck Vorschub zu leisten, mit der neuen Sicherheitsarchitektur ziehe auch ein neues Rechtsstaasverständnis ein.
Gut, die Sache mit den Briefen war in Ordnung, Peter Schaar, der sonst nicht gerade zurückhaltende Datenschutzbeauftragte des Bundes konnte, keine Rechtsverstöße sehen: Es gab eine richterliche Anordnung. Auch bei den „Schnüffelproben" geht es nicht um die Methode an sich, die kennen wir schließlich aus vielen Krimis, sondern um die vorsorgliche Speicherung der Geruchsproben. Die ist höchst umstritten.
Was hat die Stasi mit dem Innenministerium zu tun?
Angesichts des im Internet wachsenden Protests gegen die zunehmende Sammelwut kann man sich ein Schmunzeln über die ungewollten Parallelen nicht verkneifen. Im Netz ist nämlich die sogenannte Schäublone, eine Grafitti-Vorlage, die das Konterfei Schäubles und darunter den Text „Stasi 2.0" zeigt, der heimliche Star der Bürgerrechtler 2.0.
Was ist eigentlich passiert? Was hat denn der Wolfgang Schäuble mit der Stasi zu tun? Nun, im Grunde genommen nichts. Die Stasi diente der Staatssicherheit eines autoritären Unrechtsregimes. Schäuble ist als Innen- und Verfassungsschutzminister dem Schutz der Verfassung, also dem Schutz der Abwehrrechte des Bürgers vor dem Staat, genauso wie dem Schutz des Staates selbst verpflichtet.
Im Zuge des G8- Gipfel wird nun jedoch deutlich, was die Möglichkeiten der als Schäuble-Katalog bezeichneten neuen Sicherheitsarchitektur für Folgen haben könnten. Für den Schutz des Bürgers wird alles getan: Daten gesammelt, präventiv Verbrechen bekämpft und notfalls auch Grundrechte außer Kraft gesetzt.
Der Schäuble-Katalog
Der so genannte Schäuble-Katalog umfasst Gesetzesänderungen, die den Staat in die Lage versetzen sollen, Terroristen und deren Anschläge, aber auch nicht politisch motivierte Kapitalverbrechen, schneller aufzuklären oder bereits im Vorfeld zu verhindern. Zu den neuen Instrumenten der Verbrechensbekämpfung soll unter anderem Folgendes zählen: Die Online-Durchsuchung von privaten PCs sowie die Vorratsdatenspeicherung privater Kommunikationseckdaten. Auch Rasterfahndung, die Nutzung der Mautdaten, Lauschangriffe, Videoüberwachung sowie die Speicherung biometrischer Daten stehen auf der Wunschliste Schäubles.
Kritiker sehen in der Summe dieser Forderungen einen Angriff auf das Grundgesetz und die freiheitliche Grundordnung. Burkhardt Hirsch (FDP) kritisierte Schäuble in der Süddeutschen Zeitung als Verfassungsfeind, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling bezeichnete der bei der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2007 am 21.5. in Karlsruhe den Befund als "insgesamt beunruhigend".
Die Online-Dursuchung gestaltet den Rechtsstaat um
Die Gängelung der Proteste zum G8-Gipfel ist nur der sichtbare Teil der bevorstehenden Veränderungen. Mit Protest verbunden sind in erster Linie die unmittelbar sichtbaren Grundrechtseinschränkungen wie Bannmeilen oder Demonstrationsverbote. Weithin unbemerkt von der Öffentlichkeit und nur in einschlägigen „Informationselitekreisen" findet jedoch eine viel tiefgreifendere und grundlegendere Umgestaltung des Rechtsstaats statt.
Mit dem „Gesetz zur Neuregelung der Telefonüberwachung" erreicht der Umbau zum Präventivstaat eine neue Qualität. 2008, so die Planung, soll das Gesetz in Kraft treten, welches mit Vorratsdatenspeicherung und der so genannten Online-Durchsuchung neue Maßstäbe im Verständnis des Grundrechtsschutzes setzt. Geplant ist die Speicherung von Telekommunikationsdaten: Also wer mit wem, wann und wie lang in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung stand. Ausnahmslos und ohne das ein konkreter Verdacht gegen ihn besteht. Allein der Gedanke, man könnte diese Daten irgendwann mal brauchen rechtfertigt die Speicherung. Genauso könnte man die Post dazu zwingen, Sender und Empfänger-Adressen der von ihr beförderten Briefe zu protokollieren, oder Bürger auffordern, Gedächtnissprotokolle zu erstellen und sechs Monate aufzubewahren. Das geplante Gesetz greift dabei massiv in die Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Auch werden berufliche oder politische Tätigkeiten, die Vertraulichkeit voraussetzen, beeinträchtigt oder verunmöglicht – das betrifft etwa Ärzte, Anwälte, Journalisten, Oppositionelle oder Geistliche.
Kritik an den geplanten Maßnahmen
Zudem ergibt sich eine Situation, in der der Staat, „rein präventiv" Bewegungsprofile erstellen, soziale und berufliche Kontakte identifizieren und Rückschlüsse auf Lebenssituation und Umfeld ziehen kann. Dagegen regt sich unter Juristen und Verbänden deutlicher Widerstand. Die Online-Durchsuchung ist eine ungeheure Bedrohung für die Freiheit des Einzelnen. Es geht gar nicht darum, ob ich tatsächlich mal durchsucht werde. Alleine das Wissen, dass es passieren könnte, wird uns zu Konformisten machen und zu ängstlichen Menschen." prophezeit Udo Vetter im politik-digital-Chat vom 22.Mai 2007.
Auch der Deutsche Anwaltsverein (DAV) ergriff in ungewohnt scharfer Form Partei. In der auf dem 58. Deutschen Anwaltstag verabschiedeten Resolution heißt es, „Die sorgsam austarierte Balance zwischen den beiden Grundwerten [Freiheit und Sicherheit d.A.] droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) stellt mit großer Sorge fest, dass durch die von der Bundesregierung geplante Verschärfung der Sicherheitsgesetze Freiheit weiter verloren geht. Der DAV […] wehrt sich dennoch dagegen, dass die Bundesrepublik Deutschland von einem Freiheits- und Rechtstaat zu einem Sicherheits- und Überwachungsstaat zu werden droht."
Auch der Bundesverband der freien Berufe, die Humanistische Union, der Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (BdWi) und nicht zuletzt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung stellen sich gegen das geplante Gesetz.
Es droht der Verlust der Privatheit
Doch was ist eigentlich daran so schlimm? Schließlich werden die meisten Menschen niemals von den Neuregelungen tatsächlich betroffen sein. Die wenigsten kümmern sich um die Spuren, die sie im Internet hinterlassen. Bereitwillig geben die meisten Konsumenten private Daten preis. Den Verlust ihrer Privatsphäre werden die meisten nicht einmal bemerken. Genau da liegt jedoch das Problem. Die Grundlagen unserer Gesellschaft liegen nicht im teilnahmslosen Vorsichhinleben, sondern im Bilden und Austauschen von Urteilen und Meinungen auf Grundlage einer freien und geschützten Privatsphäre. Diese allein konstituiert eine freie Gesellschaft.
Wenn wir nicht aufpassen, stellen wir jetzt, gewissermaßen aus Versehen, die Weichen hin zu einem Überwachungsstaat jenseits Orvellscher Vorstellungskraft. Denn der Verlust der Privatheit, durch Online-Überwachung und Kommunikationsprotokolle, geht einher mit dem Verlust von Öffentlichkeit durch Privatisierung und Videoüberwachung. Für diese neue gesellschaftliche Organisationsform, die die zwei bisher streng getrennten Sphären Öffentlichkeit und Privatheit verschmilzt, gibt es noch keinen Begriff. Ich schlage daher zwei Alternativen vor, je nach dem, wie wir in Zukunft mit dieser Problematik umgehen wollen: „Informationsgesellschaft" oder „Überwachungsstaat".