Der Internet-Wahlkampf in Baden Württemberg
Landesvater Erwin Teufel oder Senkrechtstarterin Ute Vogt? Am 25. März
entscheiden Wählerinnen und Wähler im Ländle, wer künftig im
Stuttgarter Landtag das Zepter schwingt. Bevor der Wahlkampf in die
heiße Phase geht, eine Bestandsaufnahme: Kommt die digitale Kampagne in
Baden-Württemberg auf Touren? Setzen die Parteien auf Netz und
Newsletter oder verteilen sie nur Flugblätter in der Fußgängerzone?
CDU: Die Gelassenen
Sie
zeigen Gelassenheit, die regierenden Christdemokraten in
Baden-Württemberg: Die heiße Wahlkampfphase eröffnen sie bewusst später
als alle anderen Parteien. Erst Anfang März werden flächendeckend
Plakate geklebt. "Die Wähler wollen kein langes Trara", meint der
Pressesprecher der CDU, Tobias Bringmann, "vor Fastnacht interessiert
sich kaum jemand für Wahlkampf". Dementsprechend feilen die
Christdemokraten noch am Konzept für den Webwahlkampf, der mit dem
Landesparteitag in Mannheim am 27. Januar startet. Der Webauftritt des
amtierenden Ministerpräsidenten Erwin Teufel unterstreicht diese
Haltung: Seine Site verharrt im Embryonalstadium. Sie beschränkt sich bislang auf Foto und e-Mail-Adresse des Regierungschefs.
Ganz
grundlos ist dieser zögerliche Start allerdings nicht. Teufels Truppe
hat nämlich ein Problem: Geldnot. Für den Landtagswahlkampf stehen drei
Millionen Mark zur Verfügung, 1996 waren es vier Millionen. Darunter
leidet auch der digitale Wahlkampf, für den nur ein kleiner Teil vom
Kuchen bleibt: "Wir würden unsere Aktivitäten im Internet gerne
ausbauen, aber uns fehlen die Ressourcen", klagt Bringmann. Das zeigt
sich deutlich: SPD und Grüne haben längst eigenständige Wahlkampfsites gestartet, die F.D.P. folgt Anfang Februar, nur die CDU hat bisher lediglich ihre Parteiseiten
erweitert – mit kurzen Kandidatenportraits, Programmen und
Positionspapieren als Download sowie aktuellen Pressemeldungen. Leider
ist die Navigation etwas unübersichtlich und versteckt das solide
Informationsangebot, anstatt es zu präsentieren.
Nicht
nur der verspätete Wahlkampfbeginn, auch die Zielgruppe der
christdemokratischen Internetauftritts fällt aus dem Rahmen. Natürlich
wird sich Teufels Team wie alle Parteien via WWW um die Jungwähler
bemühen, vor allem mit Hilfe der Jungen Union. Doch entgegen
verbreiteten Annahmen reagieren ältere Mitbürger überdurchschnittlich
häufig auf das bereits bestehende CDU-Angebot. "Das sind die stillen
User im Hintergrund. Frührentner und Senioren sind heutzutage viel
fitter und nutzen längst das Internet", verrät Bringmann. Selbst der
ehemalige christdemokratische Ministerpräsident Hans Filbinger ist mit seinen 87 Jahren längst online.
Trotz
der großen Resonanz bei älteren Wählern – für die CDU in
Baden-Württemberg bleibt viel zu tun. Eine eigenständige Wahlkampfsite
und die Homepage des Spitzenkandidaten sind noch in Arbeit, kommen also
viel später ins Netz als die der anderen Parteien und Politiker. Ob sie
dann noch genügend Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, bleibt
abzuwarten.
SPD: Die Ehrgeizigen
Die
Sozialdemokraten im Ländle haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Mit
ihrer Spitzenkandidatin Ute Vogt wollen sie die Regierungsbänke
erobern. Dafür haben sie nach Vorbild der Bundespartei eine
Wahlkampfzentrale aufgebaut, die "Kampa" – und ihre Webpräsenz
verstärkt: Mit ihrer Wahlkampfsite
sind sie seit November online. Per Intranet und E-Mail-Informationsnetz
sind Funktionäre und ehrenamtliche Helfer im ganzen Schwabenland
miteinander vernetzt. Über die Kosten des ambitionierten
Internetprojekts schweigen sich die Genossen aus. Ob die Parteizentrale
im Berliner Willy-Brandt-Haus ihnen unter die Arme greift, wie häufig
kolportiert wird? Die Genossen im Südwesten dementieren, halten sich
die Möglichkeit aber offen: "Die Bundespartei unterstützt uns derzeit
noch nicht bei unserem Webauftritt", so Peter Steinhilber,
verantwortlich für den Webauftritt der baden-württembergischen SPD.
Wie
auch immer, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die SPD bietet nicht
nur Veranstaltungskalender, Pressestimmen und das Wahlprogramm als
Download, sondern auch eine "Kandidatenbank", in der sich alle 69
Genossen präsentieren, die um ein Direktmandat kämpfen: Lebenslauf und
politische Positionen werden dort feilgeboten, dazu der Link zur
eigenen Homepage; das ganze übersichtlich geordnet nach Wahlkreisen und
Namen der Kandidaten. Ein praktisches Feature für Wähler, die sich
bisher wenig für Politik interessiert haben, und sich so mit den
Kandidaten des eigenen Wahlkreises vertraut machen können.
Zudem bietet die Website in puncto Interaktivität interessante Ansätze,
namentlich das e-Forum, eine Mailingliste zum Meinungsaustausch. Ferner
hat die SPD angekündigt, den Entwurf zum Regierungsprogramm diskutieren
zu lassen. Ob die Beiträge tatsächlich in der Schlussfassung auftauchen
und die angekündigte Diskussionsbereitschaft auf fruchtbaren Boden
fällt, bleibt bis zum 10. Februar abzuwarten. Dann wird der
SPD-Landesparteitag das Regierungsprogramm beraten und beschließen.
Aufgelockert
und abgerundet wird das Informationsangebot durch
Unterhaltungselemente, mit Seitenhieben und Attacken auf die CDU
garniert. Ein kleines Spiel zum Runterladen gehört dazu: "Angriff der Bimbeskanone".
Vor der Kulisse des Brandenburger Tores beschießt der Spieler die
Hauptakteure der CDU-Affäre mit Spendenkoffern: Wer Belastete wie
Kanther oder Kohl trifft, streicht Bonuspunkte ein; die Aufklärer
Merkel und Thierse ziehen den Punktestand ins Minus.
Mit
dieser Mischung aus Information, Interaktivität und Unterhaltung ist
die SPD für den Webwahlkampf gewappnet. Zumal die Spitzenkandidatin Ute Vogt
– ebenso wie alle Landtagskandidaten der Partei – mit einer sehr guten
Homepage vertreten ist. Damit sticht die Pforzheimerin aus den üblichen
Angeboten hervor: eine rundum gelungene, sehr übersichtliche
Präsentation mit toller Navigation und ansprechender Gestaltung.
Prädikat: siegestauglich.
Grüne: Die Aufgeschlossenen
Der virtuelle Parteitag
war der Auftakt: Die Grünen im Ländle setzen aufs WWW – um ihr Image
aufzupolieren. "Intern sind wir bereits heftig vernetzt", so der
Landesvorsitzende Andreas Braun. "Trotzdem gelten wir noch immer als
technologiefeindlich. Dabei steht niemand sonst den Neuen Medien so
aufgeschlossen gegenüber." Mit einem guten Internetauftritt will die
Ökopartei nun Interesse wecken bei Kritikern, die an ihrer digitalen
Kompetenz zweifeln. Um sich im Netz als "www.die-treibende-kraft.de" zu
präsentieren, investieren die Grünen laut Braun "einen relativ hohen
Anteil" ihres niedrigen Gesamtbudgets. Es umfasst gerade mal eine halbe
Million Mark.
Dabei
zielt die Partei mit der Sonnenblume vor allem auf jüngere Wähler, denn
ihre Stammklientel ist gealtert. Besonders die unter 30-jährigen sollen
ihnen ins Netz gehen. Wie sie das anstellt? Im Bereich Jugend bietet
die Site krawallige E-Mail-Postkarten
mit markigen Sprüchen: "Grün fickt besser", wird dort behauptet. Eine
digitale Karte zeigt gar ein Krankenhauszimmer, das suggerieren soll,
ein überalterter Ministerpräsident Teufel sei der schnell-lebigen Zeit
nicht mehr gewachsen und daher verunglückt. Eine fiktive
Zeitungsmeldung verkündet dazu: "Erwin Teufel: Schwerer Unfall. Alles
ging für ihn ein bisschen zu schnell."
Ihre
Themenschwerpunkte und Kandidaten setzen die Grünen angemessen knapp
und übersichtlich in Szene. Gestaltung und Navigation sind ansprechend.
Durch Chats mit Landtagskandidaten und Bundesprominenz aus der Region,
Rezzo Schlauch und Fritz Kuhn, wird die Site ab Anfang Februar
komplettiert. Für ihre Kandidaten haben die Grünen einen geschlossenen
Bereich mit Flugblattentwürfen und Argumentationspapieren aufgebaut.
Die
Grünen machen ernst mit dem Thema Internet. Der Auftritt ist
professionell. Insgeheim lobte gegenüber politik-digital sogar ein
Pressesprecher der Konkurrenz die Site. Die Homepage des
Spitzenkandidaten Dieter Salomon
erfüllt höchste Ansprüche. Übersichtlich, einfach und beeindruckend
verbindet der Freiburger Politologe politisches Informationsangebot und
persönliche Präsentation.
Kurzum:
Den Stimmanteil der letzten Wahl zu verbessern und an die Regierung zu
gelangen – sollten die Grünen im Ländle diese Wahlziele verfehlen, die
Wahlkampfsite der Partei und des Spitzenkandidaten werden nicht der
Grund sein.
FDP: Die Möllemänner
Im
Wahlkampf der Liberalen steht das Netz im Mittelpunkt: "Für uns ist das
Netz zentrales Werbemittel", sagt Markus Lochmann, der Pressesprecher
der F.D.P., "damit können wir schneller und flexibler reagieren. Wir
werden sogar die URL plakatieren." Aus dem Etat von zwei Millionen Mark
stehen 100 000 Mark für das Internet zur Verfügung. Die Wahlkampfsite
ist noch in Arbeit, aber ein Vorbild haben die Liberalen schon: Jürgen
Möllemanns Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. "NRW braucht Tempo!" –
diese Kampagne wollen die Südwestliberalen übertreffen: mit neuen
Kampagnen im Zwei-Wochen-Rhythmus, aufwändigen Flash-Animationen sowie
aktuellen Foren und Chats.
Bis zum Start der Wahlkampfsite Anfang Februar müssen sich politische Interessierte mit der Website des F.D.P.-Landesverbandes
zufrieden geben. Hier präsentieren die Liberalen ein
Informationsangebot, das dem der anderen Partei ähnelt: Parteiprogramm,
Kandidatenvorstellung, politische Statements. Allerdings legen sie
traditionell mehr Wert auf die Interaktivität als andere Parteien: Im
Sommer letzten Jahres veranstalteten sie unter dem Titel "12 liberale
Forderungen für die Generation @" eine Online-Umfrage, die in ihr
Wahlprogramm eingeflossen ist. Zuletzt hat der Landesverband
Baden-Württemberg eine neue Umfrage zur Ökosteuer angeregt und mit
einer Protestmailaktion verbunden. Im Forum florieren seit Monaten rege
Diskussionen, während die Foren anderer Parteien gerade erst aufgebaut
werden oder schon wieder verwaist sind. Schließlich verschicken die
Liberalen per Newsletter neue Pressemeldungen an Journalisten. Bei so
viel Interaktivität gibt es allerdings eine kleine Panne: Der
Terminkalender in der Rubrik "aktuell" verzeichnet als einzigen Hinweis
das Dreikönigstreffen, das vor drei Wochen veranstaltet wurde.
Mit
ihrer Webpräsenz verfolgen die Liberalen zwei Ziele: Zum einen wollen
sie jüngere Wähler erreichen. Die unter 35-jährigen wählen traditionell
überproportional F.D.P. und können via WWW am besten mobilisiert
werden. Zum anderen will die württemberigische F.D.P. die interne
Kommunikation verbessern, die eigenen Mitglieder stärker beteiligen.
Deshalb gibt es auf der FDP-Site ein umfangreiches internes Forum. Dort
können Parteimitglieder am Wahlprogramm mitschreiben, interne
Mitteilungen lesen und im Organisationsverzeichnis blättern.
Ergo:
Die Liberalen werden sich wacker schlagen im Webwahlkampf. Eine gute
Basis haben sie durch die Seiten des Landesverbandes. Wenn die
Kampagnen-Website der Partei wie angekündigt umgesetzt wird und die
Homepage des Spitzenkandidaten Walter Döring dazu kommt, wird die
F.D.P. problemlos mit den Frühstartern SPD und Grüne mithalten können.
Fazit
Knapp
zwei Monate vor der Wahl stehen die Oppositionsparteien, SPD und Grüne,
längst in den Startblöcken. Sie setzen das Netz gezielt ein, um
frühzeitig mit forschen Tönen auf sich aufmerksam zu machen. Die
F.D.P., Juniorpartner in der Landesregierung, wird ähnlich agieren, mit
einer Mischung aus politischer Informationsarbeit und interaktiven
Features – allerdings gezielt auf eine Wählergruppe konzentriert: die
Jungwähler. Nur der Regierungsdinosauerier CDU, in Baden-Württemberg
seit fast einem halben Jahrhundert ununterbrochen an der Macht, lässt
es gemächlich angehen: aus finanzieller Not und traditioneller
Siegesgewissheit. Die Christdemokraten haben einen defensiven
Netzwahlkampf angekündigt. Solide Informationsarbeit, keine lauten
Kampagnen. Ob sich die CDU bei diesem späten Start durchsetzen kann
gegen aggressive Konkurrenz, gegen den "Angriff der Bimbeskanone" und
"Grün fickt besser"? Es wird spannend im Südwesten!