Auf der Arbeit haben wir jetzt eine Tischtennisplatte, wir machen nämlich New Work.“ „Ich darf im Home Office arbeiten, dank New Work.“ „Und ich muss mich mit New Work nicht mehr an Stechzeiten halten.“ New Work – es ist das Buzzword in aller Munde. Doch woher kommt das Konzept und was ist damit wirklich gemeint? Ist New Work wirklich nur eine angenehme Arbeitsatmosphäre und flexible Arbeitszeiten?
Where it all started
Flint (Michigan), USA in den frühen 80er-Jahren. Die Stadt ist durch die Automobilindustrie geprägt. Konzerne wie General Motors, Chevrolet und Buick lassen hier ihre Wagen herstellen. Die Einwohner der Stadt sind auf die Branche angewiesen. Doch es verändert sich etwas zu dieser Zeit. An den Enden der Fließbänder stehen plötzlich keine Menschen mehr, sondern Computer. Die Automatisierung der Arbeit hält weltweit Einzug in die Industrie und führt auch in Flint zu Massenentlassungen. Wo sollen die Menschen hin und was sollen sie stattdessen tun?
Hier kommt Prof. Dr. Frithjof Bergmann ins Spiel. Der Philosoph, der heute als Urvater der New Work gilt, gründete 1984 das erste Zentrum für neue Arbeit in der amerikanischen Autostadt. Er wollte jenen Menschen, die nach jahrzehntelanger harter Arbeit am Fließband entlassen wurden, neue berufliche Perspektiven aufzeigen. Gemeinsam mit seinem Team und in Verhandlungen mit den Arbeitgebern fand Bergmann eine Lösung für das Problem: die Arbeiter sollten von nun an, statt entlassen zu werden, nur noch 6 Monate des Jahres im Unternehmen beschäftigt werden und den Rest der Zeit eine Beratung im Zentrum für neue Arbeit erhalten. Mithilfe dieser Beratung sollten sie herausfinden, was sie „wirklich, wirklich wollten“.
„Das Wollen ist ein problematisches Etwas.“
Das Gelächter sei laut gewesen damals, erzählt Bergmann auf der XING New Work Experience 2017. Man glaube doch nicht ernsthaft, dass Fließbandarbeiter wüssten, was sie „wirklich, wirklich wollten“, so die Reaktion auf seine Ideen. Bergmann jedoch ist sich sicher: „Man muss nicht 25 Jahre am Fließband gearbeitet haben, um nicht zu wissen, was man wirklich, wirklich will. Den meisten Menschen fehlt die Kapazität, etwas zu wollen. Denn das Wollen ist ein problematisches Etwas.“ Er nennt dieses Phänomen die „Armut der Begierde.“
„Wir verschnüren den größten Teil unseres Lebens in einem Paket und geben es für 40 Jahre an der Gepäckaufbewahrung auf.“
Woher kommt diese Armut der Begierde? Ist sie angeboren? Oder verlernen wir das Wollen mit der Zeit? Das Organ, mit dem man will, würde den Menschen durch die Sozialisierung im Lohnarbeitssystem abgetötet, meint Bergmann: „Arbeiten wird als eine milde Krankheit verstanden. Als eine Art Erkältung. Man hält es eben aus bis zum Wochenende … bis zum Ruhestand. Aber es ist und bleibt eine Krankheit.“
Doch was passiert, wenn man Menschen, die sonst nie nach ihrem eigenen Willen gefragt werden, Gehör schenkt? Was, wenn man sich ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt? Mit ihren Potentialen, ihren Neigungen und Talenten. Bergmann habe die Erfahrung gemacht, dass diese Menschen nach einer gewissen Zeit in der Beratung fast alle zum gleichen Resultat kamen: Sie wollen etwas machen, das Sinn stiftet, oder – im Englischen pointierter ausdrückbar – „They want to make a difference.“
Frithjof Bergmanns Grundannahme ist, dass das Jobsystem, wie wir es kennen, am Ende ist. „Wir verschnüren den größten Teil unseres Lebens in einem Paket und geben es für 40 Jahre an der Gepäckaufbewahrung auf.“ Mit der New Work hätten die Menschen aber die Möglichkeit, sich von der Lohnarbeit zu befreien. Die zentralen Werte dieser Neuen Arbeit: Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft
„Lohnarbeit im Minirock“ –
– so bezeichnet Bergmann das, was heutzutage in vielen Unternehmen als New Work bezeichnet wird. Die eigentliche Arbeit bleibe die gleiche und würde lediglich „appetitlicher“ gestaltet. Bunte Büros mit Tischtennisplatten und Remote Working vom Urlaubsort – mit der Neuen Arbeit im Sinne Bergmanns hat das nicht allzu viel zu tun. Denn um „Spaß“ gehe es laut Bergmann bei der Neuen Arbeit nicht: „Spaß ist beliebig und leicht zu bekommen.“ Authentisch sei die Umsetzung der New Work nur dann, wenn der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten, nicht die Gewinnmaximierung, im Mittelpunkt stehe.
In Deutschland haben sich Unternehmen wie die Otto Group, Airbus oder Bosch New Work auf die Fahne geschrieben. Das sind Firmen, die Milliardenumsätze zu verzeichnen haben. Der Profit ist daher sicherlich kein unwichtiger Faktor für sie. Es lässt sich von außen jedoch schwer beurteilen, welche Intention Konzerne haben, New Work einzuführen. Ist es für sie eine Marketingkampagne, um die besten Mitarbeitenden zu gewinnen, bei Laune zu halten und so den wirtschaftlichen Erfolg nachhaltig zu sichern? Oder liegt ihnen tatsächlich die Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe der Einzelnen am Herzen? Kann es auch Beides sein?
Sicher ist: Mit der Bezeichnung New Work verhält es sich wie mit jedem Containerbegriff. Sie lädt dazu ein, inflationär genutzt, weiterentwickelt und bewusst in einem anderen Sinne verwendet zu werden und sich vom Gründungsgedanken zu entfernen. Es lohnt sich deshalb, einen Blick darauf zu werfen, was Unternehmen und Einzelpersonen heute unter dem Konzept der New Work verstehen und wie sie es umsetzen.
Titelbild: Ford Assembly Line, 1953 by Alden Jewell via Flickr, CC-BY 2.0
Text: CC-BY-SA 3.0